Aline Locher von Maximum Cinema war am 36. Tokyo International Film Festival, das vom 23. Oktober bis zum 1. November stattfand, und präsentiert ihre Highlights.
Unser erster Film war «My (K)night» von Ryūtarō Nakagawa. Nach dem eher kitschigen Trailer waren wir allerdings eher skeptisch, und auch das Muster der Geschichte ist altbekannt: Drei Escort-Männer verbringen einen Abend in Tokio mit je einer Kundin. Da gibt es die verheiratete Frau in ihren Dreissigern, die von ihrem Mann mit einer Jüngeren betrogen wird, die Instagram-Fanatikerin, die nur Augen für ihr Handy und die Anzahl Follower hat, und die Prüde, die ihrer Mutter ihren vermeintlichen Verlobten vorstellen möchte.
Doch so klischeebeladen die Synopsis auch klingen mag: Der Film überrascht mit Tiefgang und Vielschichtigkeit und spricht Problematiken an, die gerade in Japan relevant sind – etwa den Umgang mit todkranken Familienmitgliedern, das Ausbrechen aus einer unglücklichen Ehe oder die Abhängigkeit von sozialen Medien. «My (K)night» wird den Sprung in die europäischen Kinos zwar kaum schaffen, da er wohl zu sehr auf den japanischen Markt zugeschnitten ist – doch wer trotzdem über den Film stolpert, kann sich auf ein wahres Feelgood-Erlebnis freuen.
In «Twilight Cinema Blues» von Hideo Jōjō wiederum sehen wir Kondo (Keisuke Koide), einen Mann, der alles verloren hat, der in ein kleines, unrentables Kino zieht, das fast ausschliesslich alte Hollywoodstreifen wie «Casablanca» (1942) zeigt. Zusammen mit den grundverschiedenen Kinoangestellten versucht er, das Kino mit der Veranstaltung eines Festes zu retten.
«Twilight Cinema Blues» braucht zwar eine gewisse Anlaufzeit, doch sobald das Publikum die einzelnen Figuren genauer kennengelernt und in sein Herz geschlossen hat, nimmt die Geschichte Fahrt auf und lässt einen mitfiebern, ob die Rettung des Kinos gelingen wird oder nicht. Jōjō erzählt mit seinem Film eine sentimental-berührende Geschichte über die Bedeutung des Kleinkinos und die Beziehungen, die deswegen entstehen.
«‹Twilight Cinema Blues› erzählt eine sentimental-berührende Geschichte über die Bedeutung des Kleinkinos und die Beziehungen, die deswegen entstehen.»
Trotz unseres Vorhabens, uns ausschliesslich japanische oder allerwenigstens ostasiatische Filme wie «My (K)night» und «Twilight Cinema Blues» anzuschauen, konnten wir aber nicht widerstehen, für den spanischen Animationsfilm «Robot Dreams» von Pablo Berger («Blancanieves») ein Auge zuzudrücken. Immerhin war der Regisseur mitsamt eines beträchtlichen Teils des Produktionsteams anwesend.
«Robot Dreams», der auf dem gleichnamigen Comic von Sara Varon basiert, handelt von einem in New York lebenden Hund, der vor lauter Einsamkeit einen Roboter bestellt. Schnell entwickelt sich eine einzigartige Freundschaft zwischen den beiden – doch als sich der Roboter nach einem Sprung ins Meer nicht mehr fortbewegen kann, sieht sich der Hund gezwungen, ihn zurückzulassen.
Der Film kommt ohne Dialog aus und schafft es, eine herzzerreissende Geschichte über Freundschaft zu erzählen, die kein Auge trocken lässt. Untermalt wird die liebevolle Zeichentrickanimationen mit exzellenter Musik: Ob Disco oder Jazz – Berger und sein Team haben für jeden Moment den richtigen Sound gefunden. «Robot Dreams» ist eine wunderschöne Hommage an das New York der Achtzigerjahre und an die Freundschaft, mit all ihren Höhen und Tiefen.
«Ein Besuch in Tokio wäre aber nicht vollständig, wenn man nicht einen Blick auf Godzilla erhaschen würde.»
Ein Besuch in Tokio wäre aber nicht vollständig, wenn man nicht einen Blick auf Godzilla erhaschen würde – sei es auf der Leinwand oder über den Dächern von Shinjuku. Und tatsächlich hatten wir das Glück, dass der Abschlussfilm des diesjährigen Filmfestivals von Tokio «Godzilla Minus One» von Takashi Yamazaki war, der erste japanische «Godzilla»-Film seit «Shin Godzilla» (2016) von Hideaki Anno und Shinji Higuchi.
In «Godzilla Minus One», der ab dem 1. Dezmeber in den Deutschschweizer Kinos zu sehen ist, ist der Zweite Weltkrieg gerade erst zu Ende gegangen, und der desertierte Kamikaze-Pilot Kōichi (Ryūnosuke Kamiki) ist einer der wenigen Überlebenden aus seinem Tokioter Quartier. Während alle mit dem Wiederaufbau von Tokio beschäftigt sind, wird die drohende Gefahr, die von Godzilla ausgeht, verkannt und vom Staat geleugnet, bis es zu spät ist und die nukleare Monsterechse so gross ist, dass sie ganze Stadtteile dem Erdboden gleichmacht.
Dieser neue «Godzilla»-Film schafft mit Naoki Satōs Musik und Kōzō Shibasakis ansprechenden Aufnahmen vom Nachkriegs-Japan sehr viel Stimmung. Doch die Szenen, in denen Godzilla nicht vorkommt, ziehen sich immer wieder in die Länge und wirken mitunter auch etwas gar pathetisch; und es ist auch von Anfang an ist klar, dass sich Kōichi vom feigen Kamikaze-Piloten zum glorreichen Helden entwickeln wird. Aber selbst mit diesen Abstrichen ist und bleibt es trotzdem eine Freude, Godzilla beim Zerstören zuzusehen.
«Das 36. Tokyo International Film Festival bestach mit einem vielseitigen Angebot und bewies, dass der asiatische Raum – und insbesondere Japan – eine breite Auswahl an anregenden Filmen zu bieten hat.»
Am Ende der 36. Ausgabe des Tokyo International Film Festivals lässt sich konstatieren: Das Festival bestach mit einem vielseitigen Angebot und bewies, dass der asiatische Raum – und insbesondere Japan – eine breite Auswahl an anregenden Filmen zu bieten hat. Mit Blick auf die anhaltenden Streiks in Hollywood ist das auch ein wenig tröstend: Uns werden die Filme bestimmt nicht ausgehen.
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Titelbild aus «Godzilla Minus One» / © Praesens Film
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