Zwei junge Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Eine wohnt unterm Dachboden in einem Nest aus Matratzen und Schlafsäcken, vermöbelt gerne Typen und holt sich, was sie will. Die Andere versucht möglichst nicht aus dem Rahmen zu fallen, immer nett und lieb zu allen zu sein und irgendwann die Polizeiprüfung zu bestehen, um für Recht und Ordnung im Land zu sorgen. Das sind Tiger (Ella Rumpf) und Vanilla Tequila (Maria Dragus), zusammen eine hochexplosive Kombo.
Gegensätze ziehen sich an, heisst es, und auf dieses Motiv baut «Tiger Girl» auf. Tiger ist fasziniert von Vanillas unbeholfenen und naiven Art, genauso wie diese den rebellischen und starken Punk-Charakter von Tiger bewundert. Tiger will Vanilla aber mehr Feuer verleihen und ihr zeigen, dass das echte Leben nicht so funktioniert, wie es die strikte Gesellschaft vorzugeben scheint. Zusammen ziehen die beiden immer öfter durch die Stadt und stellen schlittern in Aktionen, die hart an der Toleranzgrenze des Gesetzes streifen. Doch trotz des ganzen Spasses erkennt Tiger bald, dass Vanilla ausser Kontrolle gerät und muss eines lernen: Wer Samen sät, muss früher oder später auch das Unkraut jäten.
Null Toleranz gegenüber der klassischen Filmkunst: Hello Martial Arthouse!
Für «Tiger Girl» hat Regisseur Jakob Lass wieder mit dem gleichen Team zusammengearbeitet, mit dem er 2014 den radikal-frischen Kracher «Love Steaks» erschaffen hat. Zusammen nennen sich Lass, Ines Schiller und Golo Schultz die FOGMAs, eine Gruppe junger innovativer Filmemacher gegen jede Regel des klassischen Kinos, und kreieren mit «Tiger Girl» gleich ein neues Genre des deutschen Kinos: Martial Arthouse, eine Mischung aus Fiktion und Improvisation im Dok-Stil, abgerundet mit explosiven Action-Improvisationen. Ein strukturiertes Drehbuch mit vorgefertigten Dialogen hat das Drehbuch-Kollektiv nicht geschrieben, bei Drehbeginn war der gesamten Crew und den Schauspielern (Darunter die Schweizerin Ella Rumpf aus «Chrieg») nur das Skelett des Skripts bekannt. Die Schnitte erinnern an experimentelle Jump Cuts, wie sie Godard ins Leben erweckt hat, auf eine klassische Narration und alle möglichen Regeln des Hollywoodkinos wird gepfiffen.
Auf dem Set arbeiteten meist nur 12 Personen, um dem Film möglichst viel Freiraum zu geben und die Flexibilität möglichst nicht einzuschränken. Die Fiktionalität des Spielfilms wird durch die Realität geschleust, was soviel bedeutet, dass an echten Drehplätzen gefilmt wurde, wie der realen Securitas-Schule, die Vanilla besucht.
«Tiger Girl» ist ein Film für alle, die sich nach einem frischen Touch im deutschen Kino sehnen und von Hollywood und Arthouse gelangweilt sind, ein gewagter Film, der lange bleibt und Lust auf mehr Martial Arthouse macht.

Elle Rumpf spielt Tiger
Frischer Wind für das brave deutsche Kino
Und genauso aufregend wie das klingt, wirkt der Streifen auch beim Zuschauer. Der Trailer hat zwar mehr Kritik als Lob und Enthusiasmus gesammelt: Der rasante Schnitt des Trailers verrät wenig über die Geschichte und spricht die grossen Emotionen nicht an. Einige Youtube-Nutzer echauffierten sich ebenfalls über den Assi-Touch des Films, bei dem es wohl nur um gesetzwidrige Zerstörung vom Eigentum anderer geht. Wer aber den ganzen Film sieht, wird diese Vorwürfe schleunig wieder zurücknehmen, denn der Film zieht mit seinem gewagten, coolen und radikal-frechen Flow alle, die offen für Neues sind, in seinen aufregenden Bann. Die entstandenen Dialoge sind ungezwungen, Kamera und Schnitt ein rasanter Augenschmaus, die Story um die Freundschaft der beiden unterschiedlichen Mädchen faszinierend, auch wenn sie ins Groteske abschweift.
Somit ist «Tiger Girl» ein Film für alle, die sich nach einem frischen Touch im deutschen Kino sehnen und von Hollywood und Arthouse gelangweilt sind, ein gewagter Film, der lange bleibt und Lust auf mehr Martial Arthouse macht.
Kinostart: 6.4.2017 / Streambar auf myfilm
Regie: Jakob Lass / Mit: Ella Rumpf, Maria Drăguș, Enno Trebs, Franz Rogowski, Ulrik Bruchholz
Trailer- und Filmquelle: Pathé Films
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