Das Schwarzweiss-Drama «Tikkun» von Avishai Sivan ist ein glaubenskritisches Meisterwerk.
Es liegt eine Strenge in der Luft in diesem bitterbösen, messerscharfen Film von Avishai Sivan. Kaum auszuhalten sind sie, diese wunderschön arrangierten Schwarzweiss-Bilder vom Leben des jungen ultraorthodoxen Juden Haim-Aaron (Aharon Traitel) aus Israel. Nach einer «Wiedergeburt» – einer Nahtod-Erfahrung – kehrt er dem Glauben den Rücken zu und wendet sich auf wundersame Weise dieser spannenden, neuen Welt zu, in der ihm Sex, Liebe und Freiheit dargeboten werden.
Bilder wie Peitschenhiebe, die man minutenlang ertragen muss, bis man sie anfängt zu mögen. Die strengen Stilelemente wie die starren Kameraeinstellungen und die Abwesenheit von Musik und Sprache unterstützen die inhaltliche Wiedergabe des ultraorthodoxen Glaubens. Die Familienverhältnisse und auch die weiteren zwischenmenschlichen Beziehungen im Film werden ebenso kühl formuliert wie die Einstellungen, die sie zeigen. Brillant in der Kadrage und der lakonischen Inszenierung – brillant in der Umgesetzt durch die hervorragenden Darsteller.
Neben der stringenten Wandlung des Protagonisten, die chronologisch unspektakulär erzählt wird, finden sich immer wieder feine Elemente, die den Film abstrahieren und dem Zuschauer die Möglichkeit geben, kurz aus der unaushaltbaren Atmosphäre auszusteigen. Die Traumszene mit einem Krokodil, das zum Vater aus der Kloschüssel spricht, bricht mit den ansonsten realitätsnahen Erzählung und lässt einen kurz schmunzeln in einer Welt, wo Humor ansonsten nicht gross geschrieben wird.
Mit «Tikkun» ist Avishai Sivan ein Meisterwerk gelungen, das neben der glaubenskritischen Erzählung durch seine unnahbare Schwarzweiss-Atmosphäre, seine strenge Bildsprache und einen fantastischen Cast besticht. Sivan gibt uns durch seine stilistischen Abstraktionselemente aber auch klar zu verstehen, dass wir hier nur einen Film sehen und das wahre Leben sich nicht hinter einem Schwarz-weiss Nebel versteckt.
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Filmfakten: «Tikkun» / Regie: Avishai Sivan / Mit: Aharon Traitel, Khalifa Natour, Riki Blich, Gur Sheinberg / Israel / 119 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Kino Lorber
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