Mit dem wunderbar wilden «Turning Red» über eine 13-Jährige, die sich plötzlich in einen roten Panda verwandelt, bringt Regisseurin Domee Shi dringend nötigen frischen Wind in den Pixar-Kanon. Dass dabei nicht alles klappt, ist nicht weiter tragisch.
Es sollte 25 Filme dauern, bis bei Pixar endlich eine weibliche Filmemacherin auf dem Regiestuhl Platz nehmen durfte. Im Grunde hätte mit Brenda Chapman schon 2012 eine Regisseurin einen Film des Studios umsetzen sollen, doch daraus wurde nichts – und die Art und Weise, wie Chapman der Abenteuerfilm «Brave» mitten in der Produktion weggenommen wurde, festigte den Ruf von Pixar als «Boys Club» nur noch mehr.
Zehn Jahre später kann nun Domee Shi mit «Turning Red» eine persönliche Geschichte über das Erwachsenwerden und die Suche nach sich selbst erzählen. Der Film nimmt uns mit ins Toronto der frühen Nullerjahre, wo die 13-jährige Mei (Stimme: Rosalie Chiang) versucht, ihren Eltern – speziell ihrer strengen Mutter Ming (Sandra Oh) – eine gute Tochter zu sein. Als sie eines Morgens als übergrosser roter Panda erwacht, stellt das jedoch das Leben des Teenagers gehörig auf den Kopf.
«Der Film nimmt uns mit ins Toronto der frühen Nullerjahre, wo die 13-jährige Mei versucht, ihren Eltern – speziell ihrer strengen Mutter Ming – eine gute Tochter zu sein. Als sie eines Morgens als übergrosser roter Panda erwacht, stellt das jedoch das Leben des Teenagers gehörig auf den Kopf.»
Dass der rote Panda eine Metapher für die Pubertät und das Erwachsenwerden ist, stellt «Turning Red» sehr schnell selber klar. Überhaupt scheint Shi wenig von subtilen Botschaften zu halten: Ihr Film ist direkt, für Pixar-Verhältnisse geradezu unverblümt. Wo «Inside Out» (2015) noch mit grosser Bemühtheit um das Thema «Pubertät» herumtänzelte und das Ganze in möglichst schnusige Bilder zu verpacken versuchte, zeigt «Turning Red» die Teenie-Jahre in all ihrer chaotischen Pracht: Hier wird mit einer wohltuenden Offenheit und Unverkrampftheit über Menstruation gesprochen, für sexy Jungs geschwärmt und sich in hochnotpeinlichen Elternmomenten gesuhlt. «Turning Red» ist wild, laut und unordentlich – in jeder Hinsicht.
Diese Krassheit hat natürlich auch für Kritik gesorgt – ebenso die Tatsache, dass der Film mit seinem Blick auf das Leben eines Teenagers der asiatischen Diaspora die «Dreistigkeit» hat, eine bestimmte Zielgruppe deutlicher anzusprechen als andere. Dass Pixar in seinen Filmen während fast drei Jahrzehnten einen starken Fokus auf die Schicksale weisser Männer legte, wird dabei gerne grosszügig ausgeblendet. Und auch wenn vielen die Möglichkeit zur Identifikation mit Mei und ihren Problemen fehlen mag, so schafft Shi mit der Figurenzeichnung auf alle Fälle genug Gelegenheiten zur Empathie mit dieser herrlich liebenswerten Teenagerin, die zwischen zwei Welten und zwei Leben hin- und hergerissen ist.
Liebenswert ist nicht nur die menschliche Mei, sondern auch ihr knuffiges, maximal flauschiges Panda-Alter-Ego, mit dem Pixar einmal mehr eindrücklich beweist, über welche technischen Möglichkeiten man dort verfügt. Und auch Meis drei beste Freundinnen – die schlaksige Miriam (Ava Morse), die zynische Priya (Maitreyi Ramakrishnan) und die völlig überdrehte Abby (Hyein Park) – sind alles Figuren, die man sofort ins Herz schliesst. Dass es Domee Shi gelingt, jeder einzelnen von diesen Nebenfiguren Charakter und emotionale Tiefe zu verleihen, ist bewundernswert. Einzig, dass «Turning Red», bei all seinen Bemühungen, neue Sichtweisen in die Pixar-Welt zu bringen, ausgerechnet einmal mehr das Klischee der strengen und erbarmungslosen chinesischen Helikoptermutter bestärkt, ist unglücklich, wenn auch verzeihlich.
«‹Turning Red› hat seine Qualitäten im Kleinen. Das Panda-Pubertäts-Abenteuer besticht durch seinen kompromisslosen und ehrlichen Zugang zu seinen Figuren und seine neue, ungestüme Sprache.»
Obwohl der Film in Zeiten ähnlich grosser und wesentlich experimentierfreudigerer Produktionen wie «Spider-Man: Into the Spider-Verse» (2018), «The Mitchells vs. the Machines» (2021) oder «The Bad Guys» (2022) gestalterisch mutiger sein könnte, gefällt der verspielte Look mit seinen übertriebenen, überzeichneten Mimiken, die perfekt zur allgemeinen Wildheit der Geschichte passen.
Doch in der Geschichte liegen eben auch die Schwächen. Der Film stolpert regelrecht durch das Drehbuch und über Plot-Points, die «einfach so» passieren. Domee Shi ist offensichtlich mehr an den Figuren interessiert als an der Geschichte – was an sich auch gar kein Grund zur Kritik sein müsste, wäre das Erzählte nicht so schaurig beliebig.
«Turning Red» ist dann am besten, wenn er durch alltägliche Sequenzen Identifikationspotenzial schafft, und schwächelt immer dann, wenn er – wie etwa im überdramatischen Blockbuster-Finale – die Pixar’sche Gefühlskeule schwingen will. Denn an die emotionale Schlagkraft früherer Pixar-Werke kann der Film leider nicht anknüpfen. Doch das muss das Debüt von Domee Shi auch gar nicht, denn «Turning Red» hat seine Qualitäten im Kleinen. Das Panda-Pubertäts-Abenteuer besticht durch seinen kompromisslosen und ehrlichen Zugang zu seinen Figuren und seine neue, ungestüme Sprache.
Über «Turning Red» wird auch in Folge 42 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Filmfakten: «Turning Red» / Regie: Domee Shi / Mit: Rosalie Chiang, Sandra Oh, Ava Morse, Maitreyi Ramakrishnan, Hyein Park, Orion Lee, Wai Ching Ho, James Hong / USA / 99 Minuten
Bild- und Trailerquellen: © 2022 Disney/Pixar, All Rights Reserved
Der Pixar'sche Panda-Pubertäts-Plausch «Turning Red» gefällt. Domee Shis Regiedebüt punktet mit schonungsloser Ehrlichkeit und glaubwürdigen Figuren. Da verzeiht man die fade Story gerne.
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