In «Undine» vermengt der deutsche Regisseur Christian Petzold Legende und Geschichte zu einer magisch aufgeladenen Romanze. Es ist ein faszinierender Versuch, dem es aber an Konsequenz fehlt.
Christian Petzold, obwohl erst 60 Jahre alt, ist einer der letzten Fackelträger der experimentell-intellektuellen europäischen Filmavantgarde der 1970er Jahre. Der marxistische Essayfilmer Harun Farocki (1944–2014) war sein Mentor und langjähriger Drehbuchpartner; mit ihm hat er Dramen über Ex-Terroristen («Die innere Sicherheit»), DDR-Fluchten («Barbara») und Auschwitz-Überlebende («Phoenix») gedreht. Jemanden mit diesem Leistungsausweis der Nähe zur platten Gefühlsduselei zu bezichtigen, wäre also vermessen. Und dennoch legt Petzold in «Undine», seinem neuen Film, eine Tendenz zum romantischen Melodrama an den Tag, welche die an sich faszinierende Affiche an wahrer Grösse hindert.
Dabei beginnt das Ganze mit einer grandiosen Szene: Undine (grossartig: Paula Beer) und Johannes (Jakob Matschenz) sitzen sich in einem Berliner Café gegenüber und unterhalten sich. Die Stimmung ist gedrückt, das Gespräch will nicht vorankommen. Ihre feuchten Augen und sein verlegenes Auftreten legen nahe, dass er soeben mit ihr Schluss gemacht hat. Die Signifikanz des Moments und die Tiefe der Gefühle, die hier nur zu erahnen sind, liegen im Ungesagten, in den Auslassungen in Petzolds Drehbuch: Der innere Monolog wird angedeutet, aber nicht ausgesprochen, was exemplarisch für sein besonderes Talent steht, auf der Leinwand mit den erzählerischen Eigenschaften des Romans zu spielen. Gegen Ende der Szene sagt Undine, in unheimlicher Sachlichkeit: «Wenn du gehst, muss ich dich töten.»
«‹Undine› ist zugleich zeitgenössische Romanze und entrücktes Märchen.»
Der Satz ist der Taktgeber eines Films, der mit erfrischender Selbstverständlichkeit die Gesetzmässigkeiten des «realistischen» Dramas bricht. «Undine» ist zugleich zeitgenössische Romanze und entrücktes Märchen; die Titelfigur ist sowohl Historikerin mit Fokus Berliner Stadtentwicklung als auch der Wassergeist aus der deutschen Folklore, der männliche Untreue mit dem Tod bestraft.
In diesem Rahmen verhandelt Petzold Ideen, die ihn zuletzt schon in «Transit» (2018) – einer Zweitweltkriegsgeschichte vor moderner Kulisse – umtrieben: Er überlagert Vergangenheit und Gegenwart, lässt Mythos und Historie aufeinanderprallen. Undine referiert wiederholt über die sich stetig verschiebenden Zentren Berlins, die architektonischen Effekte des Mauerbaus und die Tatsache, dass die Stadt ihren Anfang im Osten nahm. Mit ihrem neuen Freund, dem enthusiastischen Taucher Christoph (Franz Rogowski), erkundet sie die versunkenen Ruinen in einem westfälischen Stausee. Die metaphorische Stossrichtung ist für Petzold, zu dessen Werk die sogenannte «Gespenster-Trilogie» gehört, kein Neuland: Die Geschichte lässt niemanden los, und ihre Echos verhallen niemals – gerade in Deutschland nicht.
«Somit bleibt der Film ein spannendes und intelligent aufgezogenes Konstrukt auf der Suche nach einem anregenderen erzählerischen Kern.»
Trotz dieser weitreichenden historischen Dimension bleibt der narrative Ausblick von «Undine» enttäuschend beschränkt. Petzold konzentriert sich zunehmend auf die simpel gestrickte Beziehung zwischen Undine und Christoph, die auch der eingeschobene magische Realismus und die daraus folgenden melodramatischen Verstrickungen nicht zu vertiefen vermögen. Somit bleibt der Film ein spannendes und intelligent aufgezogenes Konstrukt auf der Suche nach einem anregenderen erzählerischen Kern.
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Kinostart Deutschschweiz: 27.8.2020
Filmfakten: «Undine» / Regie: Christian Petzold / Mit: Paula Beer, Franz Rogowski, Jakob Matschenz, Maryam Zaree / Deutschland, Frankreich / 90 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
Christian Petzolds Genre-Mischung ist stimmungsvoll, der Subtext faszinierend. Doch die märchenhafte Romanze im Zentrum hätte besser ausgearbeitet werden können.
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