Auch im 21. Jahrhundert ist die Rollenaufteilung in Schweizer Familienhaushalten immer noch grösstenteils traditionell aufgegleist. Darum erzielt das Portrait dreier Modelle in Verena Endtners Dokumentarfilm «Von der Rolle» eine zum Nachdenken anregende, zeitgemässe Wirkung.
Drei Paare, drei unterschiedliche Familienhaushalte. Gemeinsam ist ihnen aber die unkonventionelle Haushaltsführung und Aufteilung der Erziehungsarbeit. Maja und Theo haben zusammen ein Kind und teilen sich die Familienarbeit – so gut es geht – gleichberechtigt auf. Für sie als Tänzerin ist es wichtig, im Beruf nicht allzu viel zurückstecken zu müssen, doch wird sie immer wieder von ihrem Umfeld als Mutter infrage gestellt. Theo, berufstätiger Musiker, geht mit seiner Vaterrolle gelassener um und findet, dass man zuerst halt die Dinge im Kleinen ändern muss, damit sie auch in der Gesellschaft breit getragen werden.
Sandro und Olivia leben wiederum die Umkehrung des traditionellen Familienmodells. Sie arbeitet zu 100% als Controllerin; er ist hauptsächlich für die zwei Kinder und den Haushalt zuständig. Für ihn ist dieses Modell aber ein Gewinn, da er der Ansicht ist, dass die Mutter sowieso immer eine sehr starke Bindung zu ihren Kindern hat, dem Vater aber, wenn er zu Hause bleibt, eine tiefe Beziehung zu seinen Kindern erst richtig ermöglicht wird.
Das dritte Paar sind Kathrin und Martin. Sie arbeitet zu 80% als Juristin, er zu 60% als Polymechaniker. Sie schaut einen Tag allein zum gemeinsamen Kind, er zwei Tage. Für sie stimmt das Modell auch, um sich beruflich entwickeln zu können. Allerdings machen Differenzen im Erziehungsstil den beiden die Aufteilung ab und zu etwas schwierig.
Umdenken.
Vom traditionellen Familienmodell, bei dem der Mann der Hauptverdiener ist und die Frau zuhause bleibt, sind wir in der Schweiz schon etwas weggekommen. Weit verbreitet in der Schweiz ist mittlerweile das Modell „Mann arbeitet vollzeit, Frau teilzeit“. Auch die Erziehungsarbeit wird meist nach diesem Modell geregelt: Der Frau obliegt der Hauptteil davon. «Von der Rolle» zeigt drei davon abweichende Modelle und lässt spüren, dass wir gesellschaftlich noch lange nicht frei von alten Mustern sind. So erscheinen die verschiedenen Entwürfe noch immer nicht alltäglich, sondern wirken durch ihre Abweichung vom althergebrachten Schema erfrischend – obwohl solche Formen schon längst zur Normalität hätten werden sollen. Die Frage stellt sich aber auch, inwieweit die drei Paare ihre jeweilige Rollenverteilung aus finanziellen statt ideologischen Gründen gewählt haben. Denn die Hauptverdiener*innen sind auch in finanziell stärkeren Berufen tätig, während dort, wo sich das Einkommen die Waage hält, die Arbeit geleichberechtigt aufgeteilt wird.
«Der Film regt zu spannenden Diskussionen über heutige Familienmodelle an und wie sie in der Gesellschaft aufgenommen und gelebt werden.»
Würde die Rollentaufteilung zum Traditionellen zurückkehren, wenn ein Mann plötzlich viel mehr verdienen würde? Dieser Frage geht der Film nicht nach. Gemäss den Statements der einzelnen Protagonist*innen scheint die Motivation zum gewählten Modell aber nicht finanziell motiviert, sondern ist das Resultat individueller Präferenz und gemeinsamer Absprache. Aufgezeigt wird im Film wie schwierig es noch immer ist für alternative Modelle in der Gesellschaft breite Akzeptanz zu finden. Männer wie Frauen sprechen im Film dieses Problem an und sprechen vor allem von Rollenstereotypen, die sich nach wie vor hartnäckig in der Gesellschaft halten. Aber auch die fehlende Infrastruktur für gleichberechtigte Elterntätigkeit wird als Problem thematisiert. Der Film regt zu spannenden Diskussionen über heutige Familienmodelle an und wie sie in der Gesellschaft aufgenommen und gelebt werden. Was sind die Hürden? Wo gibt es gesellschaftliche Vorbehalte, und warum? Muss man zuerst die Strukturen ändern, oder gelingt es erst, wenn die Gesellschaft als Ganzes umdenkt?
«Von der Rolle» lässt das Publikum am Leben der Protagonist*innen und ihrer gemeinsamen Erziehungsarbeit teilnehmen. So kann man sich selbst ein Bild machen, wird mit den eigenen Vorbehalten und traditionellen Vorstellungen von Familie konfrontiert und zum Denken angeregt. Filmisch spannend wird das Ganze noch durch die Animationsequenzen, die auf lustige und provokante Weise das Gezeigte und die gesellschaftliche Lage kommentieren.
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Kinostart Deutschschweiz: 5.3.2020 (Zürich: 27.2.2020)
Filmfakten: «Von der Rolle» / Regie: Verena Endtner / Schweiz / 88 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Aloco GmbH
Drei spannende Portraits von unkonventionellen Familienmodellen in der Schweiz, gespickt mit originellen Animationssequenzen. Sehenswert und regt zum Denken an!
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