Nach dem Tod des Afroamerikaners Freddie Gray und den darauf folgenden Strassenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus in Baltimore wagen sich einige Polizisten kaum noch auf die Strasse. Nicht so Wayne Jenkins, der mit seiner «Gun Trace Task Force» einen erfolgreichen Einsatz nach dem anderen durchführt. Doch bald schon wird dieser hochdekorierte Ordnungshüter als korruptester Polizist Amerikas Schlagzeilen machen. Dabei ist er nur die Spitze eines Eisbergs aus Korruption und Rassismus, der Baltimores Polizei fest im Griff hat. «We Own This City» arbeitet die wahre Geschichte auf erschütternde Weise auf.
Am 12. April 2015 wurde der 25-jährige Afroamerikaner Freddie Gray in Baltimore von der Polizei wegen illegalen Messerbesitzes und wegen eines Fluchtversuchs festgenommen. Während der Verhaftung und des anschliessenden Transports zum Polizeirevier erlitt Gray schwere Verletzungen, die ihn ins Koma versetzten und an deren Folgen er schliesslich am 19. April verstarb. Es folgten schwere Strassenproteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Keiner der sechs angeklagten Polizist*innen, die an Grays Verhaftung beteiligt waren, wurde verurteilt.
Grays Tod ist in der sechsteiligen Miniserie «We Own This City» allgegenwärtig. Rund vier Jahre nach danach wird nämlich einer der grössten Korruptionsskandale in der Geschichte der amerikanischen Polizei öffentlich: Acht Mitglieder einer Spezialeinheit des Baltimore-Polizeidepartements, der «Gun Trace Task Force», werden wegen Vergehen wie Diebstahl, Überstundenbetrug, Drogenhandel und Korruption zu Haftstrafen zwischen sieben und 25 Jahren verurteilt. Die längste Haftstrafe erhält Wayne Jenkins (in der Serie gespielt von Jon Bernthal), den die Presse als den korruptesten Polizisten Amerikas bezeichnet. Eben dieser Jenkins hatte sich über Jahre hinweg mit zahlreichen erfolgreichen Einsätzen innerhalb der Polizei von Baltimore einen geradezu legendären Status erarbeitet.
David Simons Rückkehr nach Baltimore
Über den Fall der «Gun Trace Task Force» und die ihm zugrunde liegenden institutionellen Probleme hat der Polizeireporter Justin Fenton das Buch «We Own This City» geschrieben, auf dem die gleichnamige HBO-Serie beruht. Als Autoren verpflichtete man für die TV-Adaption George Pelecanos und David Simon; Regie führte Reinaldo Marcus Green («King Richard»). Simon ist indes kein unbeschriebenes Blatt: Immerhin gilt die von ihm geschriebene Serie «The Wire», die ebenfalls in Baltimore spielt und von HBO produziert wurde, als eine der besten TV-Serien aller Zeiten. Im Laufe von fünf Staffeln seziert Simon darin verschiedene Facetten vom zwiespältigen amerikanischen Kampf gegen die Drogenkriminalität.
Als Autoren verpflichtete man für die TV-Adaption George Pelecanos und David Simon; Regie führte Reinaldo Marcus Green («King Richard»). Simon ist indes kein unbeschriebenes Blatt: Immerhin gilt die von ihm geschriebene Serie «The Wire».
Anstatt über fünf Staffeln erstreckt sich «We Own This City» bloss über sechs Episoden. In diesen rekapituliert die Serie die Karriere von Wayne Jenkins und dokumentiert seine zahlreichen Vergehen als Polizeibeamter und wie er dabei immer korrupter und skrupelloser agierte. Ähnlich wie in «The Wire» versuchen die Autoren auch hier, ein komplexes Bild aus unterschiedlichen Perspektiven zu zeichnen. Neben Jenkins und seinen Komplizen, wird die Ermittlungstätigkeit jenes Teams von Beamt*innen nacherzählt, das Jenkins und seine Komplizen schliesslich zu Fall gebracht hat. Dann ist da noch die Bürgerrechtsanwältin Nicole Steele (Wunmi Mosaku), welche für einen Bericht Fakten über den grassierenden Rassismus innerhalb des Polizeidepartements von Baltimore recherchiert und dabei immer Schockierenderes zutage fördert. Ein dritter Handlungsstrang folgt dem Mordermittler Sean Suiter (Jamie Hector), der einige Jahre zuvor mit Jenkins zusammenarbeitete und dabei in dessen illegale Aktivitäten hineingezogen wurde.
Faktentreue auf Kosten des Erzählens
«We Own This City» springt immer wieder zwischen diesen Erzählsträngen und ihren jeweiligen Zeitebenen hin und her, und verlangt so vom Publikum ein hohes Mass an Aufmerksamkeit, um nicht die Orientierung zu verlieren. Dadurch gelingt es der Serie, die unterschiedlichen Perspektiven und Facetten des komplexen Problemgemenges aus Polizeigewalt, Korruption und strukturellem Rassismus herauszuarbeiten. So erhält man eine Idee davon, wie es überhaupt möglich war, dass die Polizist*innen über einen so langen Zeitraum schier ungehemmt ihrer kriminellen Energie freien Lauf lassen konnten.
Das alles ist hochinteressant und inhaltlich präzise und umfassend dargestellt. Doch gleichzeitig leiden darunter die eigentliche Erzählung, ihre Dramaturgie und die Figurenentwicklung. Über weite Strecken ist die Serie vor allem eine Nacherzählung von Fakten und Ereignissen, die aufklärt und informiert. Doch eine dramaturgisch ausgereifte Geschichte, in der diese verschiedenen Ebenen so grossartig verknüpft werden wie in «The Wire», gelingt «We Own This City» nicht. Wenn die Serie dann in ihren letzten beiden Episoden den Fokus etwas mehr auf die Figuren und ihr persönliches Schicksal richtet, fehlt dem Ganzen der Unterbau, um richtig bewegend zu sein.
Das ist der Fall, obwohl die gesamte Darstellerriege fantastische Arbeit abliefert. Jon Bernthal («The Walking Dead», «The Punisher») holt gerade in diesen letzten beiden Episoden alles aus sich heraus. Ihm gelingt das faszinierend ambivalente Bild eines Mannes, der einerseits von seiner eigenen fast schon übermenschlichen Rechtschaffenheit überzeugt zu sein scheint, gleichzeitig aber die denkbar übelsten Machenschaften betreibt.
Auch wenn den Macher*innen mit «We Own This City» kein Meisterwerk wie «The Wire» gelungen ist, so reicht es dennoch für eine dringende Empfehlung. Was die Serie an polizeilichen Verfehlungen ans Licht bringt, ist bis ins Mark erschütternd.
Auch wenn den Macher*innen mit «We Own This City» kein Meisterwerk wie «The Wire» gelungen ist, so reicht es dennoch für eine dringende Empfehlung. Was die Serie an polizeilichen Verfehlungen ans Licht bringt, ist bis ins Mark erschütternd. Simon, Pelecanos und Green schaffen es einerseits, Empörung zu entfachen und zugleich über diese hinauszugehen – Hintergründe ernsthaft und differenziert zu beleuchten. In diesem Sinne ist «We Own This City» ein Paradestück und eine ganz wichtige Serie.
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Jetzt auf Sky Show
Serienfakten: «We Own This City» / Creators: George Pelecanos, David Simon / Regie: Reinaldo Marcus Green / Mit Jon Bernthal, Wunmi Mosaku, Jamie Hector, Josh Charles, McKinley Belcher III, Darrell Britt-Gibson / USA / 6 Episoden à 58 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2022 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.
David Simon kehrt mit «We Own This City» nach Baltimore zurück und liefert mit seinem Team eine komplexe Studie über Rassismus und Polizeigewalt ab. Spannend, empörend, lehrreich.
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