Müde und gelangweilt von Berufs- und Familienleben, versteckt sich in «Wild Men» ein Mittvierziger irgendwo in den norwegischen Bergen, um zu seiner Männlichkeit zurückzufinden, deren er sich durch das kommerzielle, gutbürgerliche Leben zunehmend beraubt fühlt. Mit Fellen bekleidet und mit Pfeil und Bogen bewaffnet, soll das neue Leben als Jäger und Sammler zur inneren Ruhe führen, wie es schon bei den Ururahnen, den Wikingern, der Fall war. Doch nach wenigen Tagen ist es auch schon wieder vorbei mit der Stille, als ein flüchtender, verletzter Drogenschmuggler im Wald auftaucht.
Zur Bewältigung einer Midlife-Crisis, so glaubt man, gehört die Beschaffung eines Porsches oder einer Harley oder einer Frau, die nur halb so alt ist wie man selbst. Martin (Rasmus Bjerg) entscheidet sich, das heimische Dänemark zu verlassen und die nordische Bergwelt aufzusuchen, wie es einst seine Vorfahren vor 3’000 Jahren taten, um fortan ein Leben als Wikinger zu führen. Dass er mit Pfeil und Bogen gar nicht umgehen kann, erweist sich erst dann als Problem, als die Vorräte aufgebraucht sind und er nicht einmal mehr eine Ziege trifft. Vom Hunger getrieben, steigt er durch die Wälder hinab und versucht sein Glück an einer Tankstelle. Doch der Verkäufer ist an einem Tauschgeschäft – Wurst, Bier, Zigaretten gegen Martins Axt – nicht einverstanden und es kommt zu einer ungewollten Schlägerei; Martin haut mit dem Einkaufskorb ab.
«Martin entscheidet sich, das heimische Dänemark zu verlassen und die nordische Bergwelt aufzusuchen, wie es einst seine Vorfahren vor 3’000 Jahren taten, um fortan ein Leben als Wikinger zu führen.»
Derweil werden drei junge Drogenschmuggler mit dem Auto in einen spektakulären Unfall mit einem Elch verwickelt. Nachdem einer von ihnen, Musa (Zaki Youssef), wieder zu sich kommt und denkt, dass seine beiden Kumpels tot sind, schnappt er sich kurzerhand die Tasche voller Geld und humpelt schwerverletzt in den Wald, wo er von Martin gefunden und, im wahrsten Sinne des Wortes, wieder zusammengeflickt wird. Eine eklige Szene, die selbst den stärksten Chirurgen umhauen dürfte – und der Beginn einer unbeabsichtigten Freundschaft zweier Antihelden, die nun gemeinsam auf der Flucht sind. Einerseits vor der Polizei, andererseits vor Martins Frau Anne (Sofie Gråbøl), die sich mitsamt Töchtern und Kaninchen auf dem Weg gemacht hat, um Martin heimzuholen. Und auch die beiden anderen Drogenschmuggler, die doch überlebt haben, sind hinter Musa her und auf Rache gesinnt.
Martin scheint durch Musas Gesellschaft richtiggehend aufzublühen. Er redet und philosophiert ununterbrochen, überschüttet den fiebernden jungen Mann mit Weisheiten und Gedanken auf ihrer Reise über die Berge, um zu einer Fähre zu gelangen, die Musa und das Geld in Sicherheit bringen soll. Interessant dabei ist, dass Martin seiner Frau gegenüber stets geschwiegen hat, alles in sich hineingefressen hat, anstatt mit ihr zu reden – bis er schliesslich den Entschluss fasste, zu verschwinden.
«Immer wieder nimmt ‹Wild Men› überraschende Wendungen, welche die Irrungen falsch verstandener Männlichkeit aufzeigen und das Ganze von der Satire in einem schwarzhumorigen Thriller gleiten lassen.»
Doch Martin ist nicht der Einzige, der mit seinem «entmannten» Dasein hadert. Da ist noch der Dorfpolizist Øyvind (grandios: Bjørn Sundquist), der sich kurz vor seiner Pensionierung nun erstmals mit richtigen Verbrechern auseinandersetzen muss, während er gleichzeitig seiner verstorbenen Frau nachtrauert, der er zu Lebzeiten nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dann ist da auch sein Kollege, der keine Überstunden wegen eines Wikingers oder eines Drogenschmugglers machen will, da er heim zu Frau und Kindern muss und sauer ist, dass der Polizeihund andauernd frei hat. Und zu alledem begegnet das Publikum noch einem Paar, das sich im Auto streitet, weil die Frau dem Mann mangelnden Altruismus vorwirft. Dieser will das sofort ändern, indem er zwei blutüberströmte Anhalter mitnimmt, was damit endet, dass das Paar am Ende ohne Auto mitten im Nirgendwo steht.
Immer wieder nimmt «Wild Men» überraschende Wendungen, welche die Irrungen falsch verstandener Männlichkeit aufzeigen und das Ganze von der Satire in einem schwarzhumorigen Thriller gleiten lassen. Rasmus Bjerg als unbeholfener, liebenswürdiger Held hält die verästelte Geschichte indes zusammen: Seine Loyalität gegenüber Musa ist ungebrochen, was sich auch nicht ändert, als Anne ihn endlich findet und die Polizei ihn mitnimmt.
«Diese Betrachtungen, etwa dass sich ein Mann lieber in die Steinzeit zurückzieht, als sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, wird in dieser skurrilen, ‹Coen-esken› Tragikomödie mit schillernden und sympathischen Figuren fassbar gemacht.»
Der erst 33-jährige Regisseur Thomas Daneskov («The Elite») hat zusammen mit dem nicht viel älteren Schriftsteller Morten Pape das Drehbuch zu «Wild Men» geschrieben, basierend auf der Beobachtung, dass die beiden immer wieder Männer erleben, die unfähig sind, ihre Gefühle anzusprechen, und bei denen sich stattdessen hartnäckig die Neigung hält, alles schwieriger zu machen, um sich nicht abgestumpft zu fühlen. Diese Betrachtungen, etwa dass sich ein Mann lieber in die Steinzeit zurückzieht, als sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, wird in dieser skurrilen, «Coen-esken» Tragikomödie mit schillernden und sympathischen Figuren fassbar gemacht.
Über «Wild Men» wird auch in Folge 42 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 24.3.2022
Filmfakten: «Wild Men» («Vildmænd») / Regie: Thomas Daneskov / Mit: Rasmus Bjerg, Zaki Youssef, Bjørn Sundquist, Sofie Gråbøl / Dänemark / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH
In dieser satirischen tiefschwarzen Thrillerkomödie «Wild Men» lernt man, was «richtige» Männer ausmacht und warum man keine Frösche essen sollte.
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