Teenager können Eltern zum Verzweifeln bringen. Vom Machtkampf mit dem Nachwuchs erzählt «Wir Eltern» – scheinbar dokumentarisch und schliesslich ins Groteske kippend.
Filme übers Erwachsenwerden gibt es wie Sand am Meer. Allerdings wird meist die Perspektive der rebellierenden, sich ihren Weg suchenden und auf einen Roadtrip verabschiedenden Töchter und Söhne eingenommen. «Wir Eltern» – der Titel sagt’s – dreht das Ganze um.
Vero und Michael sind sich sicher: Sie haben in Erziehungsfragen das Meiste richtig gemacht und leben den Kindern Toleranz und Gleichberechtigung vor. Als das Zusammenleben mit den 19-jährigen Zwillingen Romeo und Anton immer schwieriger wird, suchen sie die Schuld deshalb nicht bei sich. Stattdessen drohen sie bald einmal mit Zwangsauszug und Lehrerin Vero führt dazu ein Bewertungssystem samt Strichliste ein. Der Umgang der Eltern mit dem jüngeren Sohn Benji («unser Petit Prince») oder auch der Umstand, dass sich Vater und Mutter mit Vorschlägen für Maturarbeitsthemen überbieten und gleich ein paar Kapitel dafür selbst verfassen, lassen vermuten: Vielleicht trug die Erziehung doch etwas dazu bei, dass die Kinder das bequeme Nest nicht verlassen wollen.
Zwischen (Auto-)Fiktion und Realität
Mit «Wir Eltern» haben sich Dokumentarfilmer Eric Bergkraut («Ein Artikel zu viel», «Zimmer 202. Peter Bichsel in Paris») und Schriftstellerin Ruth Schweikert («Tage wie Hunde»), seit 25 Jahren ein Paar, erstmals gemeinsam an die künstlerische Arbeit gemacht. Sie schöpfen dazu aus dem eigenen Leben: Gefilmt wurde «Wir Eltern» in ihrer eigenen Wohnung im Hürlimann Areal in Zürich, Eric Bergkraut spielt den Vater und die drei gemeinsamen Söhne (Ruben, Elia und Orell Bergkraut) den filmischen Nachwuchs. Nur Schweikert bleibt hinter der Kamera, die Film-Mutter wird von Elisabeth Niederer («Die Wolke») verkörpert. Neben der Zusammensetzung des Casts sorgen auch die Kameraführung, die den Eltern oft durch die Wohnung folgt, als auch die mit Zitaten zu Erziehungsfragen gestaltete Einteilung in Kapitel und die wohltuend wenig nach Drehbuch klingenden Dialoge für ein dokumentarisches Feeling.
Der Verdacht, dass den Eltern im Publikum der Spiegel vorgehalten werden soll, stört das Vergnügen.
Zu diesem pseudodokumentarischen Stil gehört auch, dass drei sogenannte «Erziehungsexperten» zu Wort kommen. Familientherapeut Henri Guttmann sitzt am Küchentisch und zeichnet die Glückskurve von Eltern in Relation zum Alter der Kinder auf und Kinderarzt Remo Largo, der mit den Bestsellern «Babyjahre» und «Kinderjahre» internationalen Ruhm erlangte, fachsimpelt auf dem Badewannenrand sitzend über das Kindsein in einer Leistungsgesellschaft.
Gesellschaftsjournalistin Michèle Binswanger hat es sich derweil auf einem Bett bequem gemacht, um von Rollenmustern zu sprechen. Das ist witzig. Auch, dass der Konflikt zwischen Eltern und Kindern überspitzt dargestellt wird und die Handlung immer mehr ins Groteske abgleitet, macht zeitweise Spass. Allerdings wird man den Verdacht nicht los, dass den Eltern im Publikum der Spiegel vorgehalten werden soll – das stört das Vergnügen. Denn für gewitzte Kritik am modernen Familienleben verläuft die Eskalation doch etwas zu sehr in geordneten Bahnen. Da wäre mehr möglich gewesen, man denke an die vergleichbare französische Komödie «Tanguy», in der ein ein verzweifeltes Elternpaar den bereits 28-jährigen Sohn mit immer drastischeren Methoden loszuwerden versucht. Mehr Übertreibung, mehr Groteske, mehr Biss bitte!
–
Kinostart Deutschschweiz: 10.10.2019
Filmfakten: «Wir Eltern» / Regie: Eric Bergkraut, Ruth Schweikert / Mit: Eric Bergkraut, Elisabeth Niederer, Ruben Bergkraut, Elia Bergkraut, Orell Bergkraut
Trailer- und Bildquelle: P.S. 72 PRODUCTIONS
Dokufiktion zum modernen Familienleben - überspitzt und doch zu brav
No Comments