Einen Hof, nein, ein riesiges Anwesen mitsamt Ländereien in Frankreich zu erben, klingt für viele wie ein Traum. Simon Baumann zeigt in seinem Dokumentarfilm «Wir Erben», was für eine Last dies auch sein kann.
Die Autofahrt scheint lange zu sein. Zuerst befindet man sich in einem Schweizer Dorf, dann auf einer Autobahn, umgeben von industriellen Gebäuden. Doch je länger die Fahrt dauert und je dunkler es wird, desto ländlicher wird die Umgebung – bis das Auto schliesslich in einen Kiesweg einbiegt und vor einem schönen Haus zum Stehen kommt, das schon fast als kleines Schloss beschrieben werden könnte. Simon Baumann, Regisseur, Kameramann und Sohn in einem, steigt aus und wird von seinen Eltern begrüsst.
Die Eltern sind keine Unbekannten. Beide engagierten sich insbesondere früher politisch: Stephanie Baumann unter anderem als Nationalrätin für die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, Ruedi Baumann als Grünen-Präsident und -Nationalrat. Anfang der 2000er Jahre wanderten sie nach Frankreich aus. Wenn die Schweiz nicht der EU beitritt, dann gehen sie halt zur EU, sagten sie damals. Den Bauernhof im heimischen Suberg vermachten sie ihrem Sohn Kilian. Simon bekam im Gegenzug eine schöne, aber ausbaubedürftige Scheune.

Stephanie Baumann in «Wir Erben» / © Filmcoopi Zürich AG
In Frankreich kauften sie sich einen Hof mit beträchtlichen Ländereien, pflanzten Blumenwiesen, bauten Gemüse und Früchte an und leben bis heute noch in dieser Idylle. Da sie sich jedoch im fortgeschrittenen Alter befinden, machen sie sich Gedanken über das, was danach kommt. Irgendwann werden sie in eine altersgerechte Wohnung ziehen müssen und den Hof müsste jemand anderes übernehmen. Doch wer?
«Man gewinnt einen tiefen Einblick ins Leben dieser Familie: ruhig, ganz ohne Action – und doch will man mehr sehen.»
Simon Baumann beschliesst, über diese Frage einen Dokumentarfilm zu drehen. Er fängt alltägliche Gespräche zwischen seinen Eltern ein. Er zeigt, wie sie versuchen, einen Efeubefall loszuwerden, wie sie stolz auf ihr Land sind und wie sie, als eingefleischte Linke, mit dem moralischen Dilemma, etwas vererben zu können, umgehen. Denn allen Beteiligten ist klar: Sie haben hier ein Luxusproblem.
Dadurch, dass nur Simon Baumann als Sohn den Szenen beiwohnt und nicht etwa eine gesamte Filmequipe, hat das Publikum das Gefühl, private Momente miterleben zu können. Man gewinnt einen tiefen Einblick ins Leben dieser Familie: ruhig, ganz ohne Action – und doch will man mehr sehen.

Ruedi Baumann in «Wir Erben» / © Filmcoopi Zürich AG
Baumann lässt sich viel Zeit mit den einzelnen Szenen. Langweilig wird es jedoch nicht einmal dann, wenn man seinen Eltern auf ihrem Spaziergang zuschaut. Die schöne Landschaft ihres Hofs hilft da natürlich auch. Gekonnt erzählt er die Geschichte seiner Familie. Keine Information kommt zu früh, sodass Pointen entstehen und gelingen.
«Simon Baumann ist ein wunderbarer Dokumentarfilm gelungen, der das Publikum mit einem wohligen, aber dennoch nachdenklichen Gefühl das Kino verlassen lässt.»
«Wir Erben» ist nicht bloss wie das echte Leben, sondern es ist das echte Leben. Es wird gelacht, in Erinnerungen geschwelgt und auch geweint. Simon Baumann ist damit ein wunderbarer Dokumentarfilm gelungen, der das Publikum mit einem wohligen, aber dennoch nachdenklichen Gefühl das Kino verlassen lässt.
Über «Wir Erben» wird auch in Folge 81 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 30.1.2025
Filmfakten: «Wir Erben» / Regie: Simon Baumann / Mit: Ruedi Baumann, Stephanie Baumann, Kilian Baumann / Schweiz / 96 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
«Wir Erben» von Simon Baumann ist ein intimer Dokumentarfilm, der auf humorvolle und mitunter melancholische Art aufzeigt, wie vielschichtig Erben ist.
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