Disney feiert sein 100-Jahr-Jubiläum mit «Wish», seinem 62. abendfüllenden Animationsfilm. Was als zukunftsweisende Hommage an die eigene Geschichte gemeint ist, erweist sich aber als ideenlose Selbstbeweihräucherung aus der Retorte.
Am 16. Oktober 1923, also vor fast genau 100 Jahren, gründeten die Brüder Walt und Roy O. Disney im noch jungen Hollywood das Disney Brothers Studio – das Animationsstudio, das ein paar Jahre später nur noch Walts Namen tragen, mit Mickey Mouse und Donald Duck Filmgeschichte schreiben und schliesslich zum weltweit mächtigsten Unterhaltungskonglomerat aufsteigen sollte.
Das will gebührend gefeiert werden, sagte sich die heutige Disney-Teppichetage – irgendwo zwischen Sitzungen über die Zukunft des Marvel Cinematic Universe, die nächsten «Star Wars»-Serien auf Disney+ und die weitere Integration des unlängst aufgekauften Ex-Konkurrenten 20th Century Fox – und rief die Produktion von «Wish» ins Leben: eines Märchenfilms, der sich sowohl vor der hehren Firmengeschichte verneigt als auch den Weg ins zweite Disney-Jahrhundert weist.
Und die Hommagen fallen in «Wish», dem 62. Projekt der Walt Disney Animation Studios, inszeniert von «Frozen»– und «Frozen II»-Co-Regisseur Chris Buck und der «Raya and the Last Dragon»-Skriptkollaborateurin Fawn Veerasunthorn, tatsächlich nicht zu knapp aus: Der Film spielt im magischen Mittelmeer-Inselkönigreich Rosas, in dem die junge Asha (gesprochen von Ariana DeBose) als Fremdenführerin in bester Disneyland-Manier arbeitet; ihre besten Freund*innen zeichnen sich, wie die Zwerge aus «Snow White and the Seven Dwarfs» (1937), der ersten abendfüllenden Disney-Produktion, durch dominante Charakterzüge wie Intelligenz, Griesgrämigkeit, Tollpatschigkeit, Schläfrigkeit und Niesfreude aus; und der Plot kommt erst dann so richtig ins Rollen, wenn Asha, wie Meister Geppetto in «Pinocchio» (1940), einen funkelnden Stern am Firmament darum bittet, ihr einen Wunsch zu erfüllen.
Doch Wünsche, wie man sie auch aus «Cinderella» (1950) und «The Little Mermaid» (1989) kennt, sind in Rosas an sich das Spezialgebiet von König Magnifico (Chris Pine), einem mächtigen Zauberer, der die innigsten Wünsche aller Bewohner*innen bei sich aufbewahrt und jeden Monat einen davon erfüllt. Als jedoch Ashas 100-jähriger (!) Grossvater Sabino (Victor Garber) seinen Wunsch – «die nächste Generation zu inspirieren» – schon wieder nicht erfüllt bekommt, wird klar, dass Magnifico es mit seiner Herrschaft nicht so gut meint, wie alle glauben.
Inmitten einer Flut aus Anspielungen, Querverweisen und Andeutungen, dass alle Disney-Klassiker in einem einzigen Universum spielen – Ashas Ziege Valentino (Alan Tudyk) etwa träumt von einem «Zootopia» für anthropomorphe Tiere –, verbergen sich aber auch die Ansätze einer durchaus anregenden Auseinandersetzung mit dem Phänomen Disney. Ashas Versuch, die Macht des immer finsterer werdenden Magnifico zu brechen, läuft letztlich auf den Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen Visionen hinaus: Hier Sabino, schon seines Alters wegen ein offensichtlicher Disney-Avatar, der davon träumt, die Welt zu verbessern, indem er sie ohne jeden Eigennutz unterhält und motiviert – dort Magnifico, der gierige Tycoon in seinem hervorragend vermarkteten Insel-Refugium, der sich geradezu vampirisch über die Wünsche seiner treuen Gefolgschaft hermacht.
«Es gilt, die bereits von ‹Uncle Walt› sorgfältig kuratierte Illusion zu wahren, man sei ein freundliches Familienunternehmen, welches sich das Wohl der Menschheit auf die Fahne geschrieben hat, obwohl die Realität weitaus weniger heimelig aussieht.»
Für Disney-Verhältnisse ist das eine fast schon beeindruckend klarsichtige Darstellung des Drahtseilakts, den das Studio seit Jahrzehnten vollführt: Es gilt, die bereits von «Uncle Walt» sorgfältig kuratierte Illusion zu wahren, man sei ein freundliches Familienunternehmen, welches sich das Wohl der Menschheit auf die Fahne geschrieben hat, obwohl die Realität – vom gnadenlosen Ausschlachten von Nostalgie über das Niederschlagen von Streiks bis hin zur politisch zweckmässigen Selbstzensur – weitaus weniger heimelig aussieht.
Doch «Wish» lässt es bei dieser Gegenüberstellung bewenden; auf ihre auch für die Filmhandlung alles andere als irrelevanten Implikationen – etwa den Umstand, wie leicht sich die Bewohner*innen von Rosas von einem charismatischen Diktator blenden lassen – wird nicht eingegangen.
Das liesse sich verschmerzen, wenn der Film anderweitige Anstalten machen würde, das Studio-Jubiläum erinnerungswürdig zu begehen. Leider aber verwenden die Drehbuchautor*innen Buck, Veerasunthorn, Jennifer Lee und Allison Moore viel mehr Mühe darauf, die Vergangenheit zu «ehren» – sprich: das Publikum bei den Kindheitserinnerungen zu packen – als sich vorzustellen, wie die nächsten 100 Disney-Jahre aussehen könnten. Nicht nur ist die Geschichte um Asha, die einen Wunschstern vor Magnifico retten will, ein generisches Destillat aus vorangegangenen Disney-Märchen; die Figuren, die sie bevölkern, lassen auch jegliche Eigenständigkeit vermissen.
«Hier existiert alles als Referenz, nichts als Original.»
Die Musicaleinlagen indessen, nicht selten das Herzstück eines Disney-Animationsfilms, werden zwar wie gewohnt im Zehnminutentakt geträllert; doch das Songmaterial von Julia Michaels und Benjamin Rice schlägt in die gleiche Kerbe wie das Drehbuch: Hier existiert alles als Referenz, nichts als Original. Die wortreichen Broadway-Raps von Lin-Manuel Miranda («Hamilton», «Encanto») werden ebenso lustlos nachgeahmt wie die klassischeren Showtunes von Robert Lopez und Kristen Anderson-Lopez («Frozen», «Coco»). Dass nach dem Film keine einzige Melodie nachhallt, spricht Bände – und dürfte nicht zuletzt auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Songs immer wieder als plumpe Expositionsvehikel benutzt werden und so viele Plot-Elemente auf einmal erklären müssen, dass kaum noch Zeit für den Spass an der Musik selbst bleibt.
Wie weit «Wish» entsprechend davon entfernt ist, Opa Sabinos Prinzipien treu zu bleiben und «die nächste Generation zu inspirieren», macht die visuelle Ebene zusätzlich deutlich. Obwohl der Film durchgehend computeranimiert ist, geriert er sich als Mischung aus zweidimensionalen Zeichentrick-Hintergründen und dreidimensionalen CG-Figuren, wie sie seit den frühen 2000er Jahren zum Standard geworden sind. Was auf dem Papier spannend klingt und in Panoramaaufnahmen und Totalen mitunter sogar ganz gut funktioniert, erweist sich spätestens beim ersten Close-up als kapitale Fehlkalkulation: Vor den starren 2D-Kulissen wirken die 3D-Akteure mit ihren aufwendigen Bewegungsabläufen nicht selten so, als würden sie vor einem billigen Greenscreen agieren.
«‹Wish› ist ein Musterbeispiel für die kreative Sackgasse, in welche die von Disney inzwischen perfektionierte Instrumentalisierung von Nostalgie führt.»
Dass «Wish» seinen Namen mit einer Website teilt, die für ihre spottbilligen Marken-Nachahmungen berühmt geworden ist, entbehrt also nicht einer gewissen Ironie. Der bis in die kleinsten Details komplett austauschbare Film, den Disney der Welt zum eigenen 100. Geburtstag vorsetzt, ist ein Musterbeispiel für die kreative Sackgasse, in welche die vom Studio inzwischen perfektionierte Instrumentalisierung von Nostalgie führt.
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Kinostart Deutschschweiz: 30.11.2023
Filmfakten: «Wish» / Regie: Chris Buck, Fawn Veerasunthorn / Mit: Ariana DeBose, Chris Pine, Alan Tudyk, Angelique Cabral, Victor Garber, Natasha Rothwell, Jennifer Kumiyama, Harvey Guillén, Niko Vargas, Evan Peters, Ramy Youssef / USA / 95 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © The Walt Disney Company Switzerland. All Rights Reserved.
Disneys Jubiläumsfeuerwerk ist ein Rohrkrepierer: Der seelenlose «Wish» hakt altbekannte Muster ab und findet vor lauter Verweisen und «klassischen» Motiven kein Mittel, sich selbst zu profilieren.
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