Die 19. Ausgabe des Animationsfilmfestivals Fantoche in Baden wird auch die letzte der abtretenden Direktorin Annette Schindler sein. Und so überrascht es nicht, dass die Leiterin für ihre Festivaldernière vom 7. bis 12. September 2021 ein grosses Feuerwerk zündet – mit einem spannenden Wettbewerb, vielversprechenden Langfilmen und Retrospektiven.
Für das Fantoche ist es nicht die erste Pandemie-Ausgabe – das Festival fand bereits im Vorjahr als eines der ersten grossen Schweizer Filmfestivals in einer kompletten Live-Ausgabe statt, mit Erfolg: 15’800 Leute pilgerten trotz Corona nach Baden. Wie schon im vergangenen Jahr gibt es auch in diesem Jahr die Möglichkeit, einzelne Programme zu streamen: Sämtliche Wettbewerbsprogramme, sowie die «Hors Concours»-Kategorie kann man auch heuer von zu Hause aus geniessen.
Klassentreffen der Vorjahresgewinner*innen
Das dürfte sich lohnen, denn in den Wettbewerben locken vielversprechende Filme: Nicolas Keppens, der 2018 mit «Wildebeest» (Co-Regie mit Matthias Phlips) den Hauptpreis im Internationalen Wettbewerb gewann, kehrt in ebendiese Kategorie zurück – mit dem Film «Easter Eggs», in dem zwei junge Männer exotische Vögel zu fangen versuchen. Der Film, der am Animationsfestival von Annecy mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde, knüpft an die Absurdität von Keppens‘ Vorgänger an und dürfte auch in diesem Jahr ein Mitfavorit in dieser Wettbewerbskategorie sein.
Auch Ayçe Kartal, die für ihr eindrückliches Werk «Vilaine fille» beim Fantoche 2017 mit dem High-Risk-Award bedacht wurde, kehrt zurück ans Festival mit ihrem zynisch anmutenden «I Gotta Look Good for the Apocalypse», in dem die Pandemie reale und digitale Welten verschmelzen lässt. Und ebenfalls im Rennen ist die oscarnominierte Filmemacherin Joanna Quinn, die mit «Affairs of the Art» verschiedenste Obsessionen einer Kleinfamilie beleuchtet.
Auch der Schweizer Wettbewerb kann sich sehen lassen, gehen hier doch etliche Gewinner*innen aus früheren Jahren an den Start. Während Bianca Caderas (High-Swiss-Risk 2017 für «Living Like Heta» in Co-Regie mit Kerstin Zemp und Isabella Luu) im bunten «Jeroboam» den Zusammenhang zwischen Büsis und Cüpli ergründet, zeigt uns Kilian Vilim (Swiss Youth & Fantastic Swiss 2017 für «Ooze») in «Mr. Pete & the Iron Horse» irgendwo zwischen Steampunk und «Steamboat Willie» (1928) die Abgründe eines kohleschaufelnden Lokomotivsoldaten.
Samuel Patthey (New Swiss Talent 2018 für ««Travelogue Tel Aviv») und Silvain Monney beobachten derweil in «Écorce» den Alltag in einem Altersheim. Der Film, der vor Ausbruch der Pandemie entstanden ist, bekommt nun mit seinem schonungslosen Blick auf die Einsamkeit alter Menschen eine neue Dringlichkeit und wurde am Festival von Annecy wenig überraschend mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Auch das umtriebige Team Tumult aus Zürich ist mit dem kurzen Ferienabenteuer «Alpocalypse Cow» erneut im Schweizer Wettbewerb dabei. Für Kollektiv-Mitglied Frederic Siegel ist es gar das achte Jahr in Folge in dieser Kategorie.
Where is Ari Folman?
Aber auch Fans von Langfilmen kommen am Fantoche auf ihre Kosten: Mit «Wolfwalkers» von Tomm Moore und Ross Stewart eröffnet einer der besten Animationsfilme der letzten Jahre das Festival. Die oscarnominierte Fabel des irischen Cartoon Saloons erzählt in eindrücklichen Bildern von einer Freundschaft zwischen einer Jägerstochter und einem Wolfsmädchen. Eine unerwartete und brutale Aktualität hat dagegen «My Sunny Maad» von Michaela Pavlátová erhalten, die in ihrem Langfilmdebüt eine emanzipatorische Liebesgeschichte in Afghanistan erzählt.
Wer die Animationslandschaft etwas beobachtet, fällt auf, dass am Fantoche zwei Langfilme fehlen: Einerseits ist das der Annecy- und Sundance-Gewinner «Flee» von Jonas Poher Rasmussen, der die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der auf seine Flucht von Afghanistan nach Dänemark zurückblickt. Dass dieser von Nikolaj Coster-Waldau und Riz Ahmed mitproduzierte, ebenfalls hochaktuelle Film fehlt, überrascht. Eine Erklärung dürfte jedoch ein Blick auf den zweiten grossen Abwesenden bieten.
Denn auch «Where Is Anne Frank» von Ari Folman («Waltz with Bashir») fehlt. Der Film, der Anne Franks Brieffreundin Kitty auf Spurensuche schickt, wird einige Wochen nach dem Fantoche am Zurich Film Festival seine Premiere im deutschsprachigen Raum feiern. Dass das grosse Zürcher Festival dem kleinen Trickfilmfestival die Premieren «grosser» Animationsfilme wegschnappt, passierte in den letzten Jahren leider immer wieder. Und so würde es nicht überraschen, wenn bei der Ankündigung des ZFF-Programms Mitte September auch «Flee» in der Selektion auftauchen würde.
Satoshi Kon und Naoko Yamada
Das Fantoche kompensiert diese Abwesenheiten mit einem ausgeprägten Fokus-Programm zum ungarischen Trickfilmschaffen, sowie Retrospektiven für gleich zwei der wichtigsten japanischen Animationsregisseur*innen: für den 2010 verstorbenen Satoshi Kon, der mit «Paprika» (2006) schon lange vor «Inception» (2010) Ausflüge in unterbewusste Traumwelten unternahm, und für Naoko Yamada, die mit «A Silent Voice» 2016 ihren endgültigen Durchbruch feierte. Am Fantoche bietet sich gleich mehrfach die Gelegenheit, diese beiden gefeierten Filmschaffenden und ihr Werk zu entdecken.
Das 19. Fantoche findet vom 7. bis 12. September 2021 in Baden statt. Das komplette Programm findet sich auf der Webseite des Festivals.
Über das Fantoche 2021 wird auch in Folge 33 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert. In derselben Folge wird auch Festivaldirektorin Annette Schindler interviewt.
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Titelbild: «Wolfwalkers» von Tomm Moore und Ross Stewart
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Themenbezogene Interessensbindung des Autoren: Olivier Samter moderiert am Fantoche und ist mit einigen der vorgestellten Filmschaffenden befreundet. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie auch zwangsläufig mit ihm befreundet sind.
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