«Wonka» ist ein Film, den niemand wollte, niemanden interessierte, aber alle sehen sollten. Was auf den ersten Blick wie ein seelenloses Remake wirkt, ist in Wahrheit ein liebevoller Film voller Charme und Magie. Lasst euch von Trailer und Poster nicht täuschen: «Wonka» ist ein Weihnachtswunder für die ganze Familie.
Timothée Chalamet ist Willy Wonka. Nach dem bombastischen «Dune» (2021) und dem verstörenden «Bones and All» (2022) übernimmt Chalamet nun die Rolle des exzentrischen Chocolatiers. Was im Grunde eine grosse Neuigkeit hätte sein sollen, wirkte im Vorfeld aber eher wie eine müde Randnotiz aus Hollywood. Der Trailer zu «Wonka» kam und ging, ohne die Welt zu bewegen. «Kann man machen, muss man aber nicht»: So in etwa klingt der Tenor zu «Wonka». Man kann es dem Publikum auch nicht verübeln, dass ihm nach etlichen uninspirierten Remakes, Prequels und Requels – siehe «The Lion King» (2019), «Cruella» (2021), «Pinocchio» (2022) oder der aktuell im Kino zu sehende «Wish» – der Appetit etwas vergangen ist und es auf eine weitere lauwarme Suppe aus Hollywood verzichten könnte. Doch im Fall von «Wonka» trügt der Schein, handelt es sich dabei doch um einen besonderen Leckerbissen, den man keinesfalls in die Küche zurückschicken sollte.
Willy Wonka ist ein Name, der seit über 50 Jahren Kinderherzen höherschlagen lässt. Die Legende des schrulligen Chocolatiers begann in den 1960er Jahren mit Roald Dahls Buch «Charlie and the Chocolate Factory». Die darauf folgende Verfilmung mit dem herausragenden Gene Wilder in der Hauptrolle prägte ein halbes Jahrhundert lang die Vorstellung vom Süssigkeiten-König. Nicht einmal Tim Burton und Johnny Depp konnten 2005 Wilders Wonka vom Thron stürzen. Wilders Warmherzigkeit, untermalt mit einem guten Schuss cholerischen Wahns, war die physische Manifestation der literarischen Figur: ein Mensch, der so gar nicht Mensch ist, eine Märchenfigur aus Fleisch und Blut. Und nun soll also ein neuer Wonka her – ein blutjunger Willy, bevor er zum Grössten wurde.
Während Poster und Trailer tatsächlich einen seelenlosen «Cash grab» prophezeien, erweist sich bei näherer Betrachtung ein verborgenes Talent als kreativer Strippenzieher: Regisseur Paul King. Dieser hat zwar noch nicht allzu viele Filme gedreht, aber seine letzten beiden gelten heute schon als Meisterwerke. Und worum geht es in diesen Glanzstücken der Filmkunst? Nicht etwa um politische Ränkespiele oder eine aufwühlendes Familiengeschichte, sondern um einen Bären, der Marmelade liebt.
«Paddington» (2014) und «Paddington 2» (2017) sind gut, richtig, richtig gut: Sie sind bunt, liebevoll, triefen vor Kitsch und noch mehr Herz. King schafft es dort auf seine unverwechselbare Art, dass sich Erwachsene wieder wie Kinder fühlen – wie es ist, Spass zu haben, Unsinn zu treiben, zu lachen, zu weinen und zu tanzen. King erinnert einen daran, dass Filme auch einfach nur schön sein können, im besten Fall sogar magisch. Hinter dem ganzen Klamauk verbirgt sich aber auch immer eine zerbrechliche Unschuld, die unbedingt bewahrt werden sollte – eine einfache Schönheit in ihrer vollkommensten Form. Diese Mischung aus Surrealismus à la Wes Anderson und Sentimentalität à la Frank Capra lässt King nun auch in sein neuestes Werk einfliessen.
«Hinter dem ganzen Klamauk verbirgt sich aber auch immer eine zerbrechliche Unschuld.»
«Wonka» beginnt nicht etwa in einer Schokoladenfabrik, sondern auf offener See. Chalamets junge Chocolatier hat Jahre damit verbracht, die Welt zu bereisen und nach den köstlichsten und kostbarsten Zutaten für seine süssen Meisterwerke zu suchen. In der Gallery Gourmet, die irgendwo in einer verschneiten Wunderwelt zwischen Preussen, Mailand und Oxford liegt, möchte er nun endlich seine eigenen Laden eröffnen. Der naive Jüngling, stets an das Gute im Menschen glaubend, hat zwar kein Geld, dafür aber einen Hut voller Träume. Dieser endlose Enthusiasmus hilft ihm jedoch nicht weiter, als er von der griesgrämigen Gastwirtin Mrs. Scrubbit, grandios verkörpert von Olivia Colman («The Favorite», «The Father»), über den Tisch gezogen wird.
Durch einen fiesen Knebelvertrag sitzt Willy Wonka plötzlich tief in einer Schuldenfalle. Mrs. Scrubbit erinnert dabei ziemlich fest an die boshafte Miss Trunchbull aus Roald Dahls «Matilda», was der Rolle zusätzliche Tiefe verleiht. Mithilfe von Waisenkind Noodle (Calah Lane), Buchhalter Abacus Crunch (Jim Carter), Klempnerin Piper (Natasha Rothwell) und weiteren Opfern von Mrs. Scrubbits Betrügerei versucht er, heimlich Schokolade zu verkaufen, um seine Schulden abzuzahlen und seinen Traum zu erfüllen. Leichter gesagt als getan, denn immer wieder machen ihm ein berüchtigtes Schokoladenkartell unter der Führung von Arthur Slugworth, teuflisch gespielt von Paterson Joseph («Peep Show»), und ein korrupter Polizeichef, verkörpert von Keegan-Michael Key («Key & Peele», «Friends from College»), das Leben schwer.
«Timothée Chalamet spielt den jungen Willy Wonka nicht nur charmant und mysteriös, sondern singt mit einer magischen Stimme, die schon fast an den Schnulzensänger Bing Crosby erinnert.»
Der Plot ist aber ohnehin nur Nebensache. Viel wichtiger sind die bezaubernden Sets, die quirligen Figuren und die vielen wunderbaren Songs. Denn «Wonka» ist ein vollumfängliches Musical – eine Tatsache, die im Trailer durch Abwesenheit glänzte. Timothée Chalamet spielt den jungen Willy Wonka nicht nur charmant und mysteriös, sondern singt mit einer magischen Stimme, die schon fast an den Schnulzensänger Bing Crosby erinnert – und er tanzt, steppt und gleitet über die verschneiten Pflastersteine wie Gene Kelly in «Singin‘ in the Rain» (1952).
Neben Chalamet trägt auch der restliche Cast, angeführt von der bittersüssen Olivia Coleman, massgeblich zur charmanten Atmosphäre des Films bei. Besonders erwähnenswert ist hier Hugh Grant («Love Actually», «Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves»), der als kleiner, orangefarbener Oompa Loompa eine einzigartige Lebendigkeit versprüht und einmal mehr seinen Sinn für Komik unter Beweis stellt.
Die Faszination und die Magie von «Wonka» gehen aber nicht nur von der süssen Welt des Chocolatiers aus, sondern vor allem vom Talent des Regisseurs. Paul King beweist erneut seine Fähigkeit, herzerwärmende Geschichten zu inszenieren, sei es mit einem liebenswürdigen Bären in «Paddington» oder dem jungen Willy Wonka. Dies ist eine Welt, die zum Träumen einlädt, und in der die Freude am Leben im Mittelpunkt steht. Hier schwebt man durch die Luft, wenn man ein leckeres Bonbon isst, hier fährt man mit einem Kutter direkt zum Nordpol, hier reitet man vielleicht sogar auf Giraffen.
«‹Wonka› ist ein filmisches Weihnachtswunder, das nicht nur Kinderherzen höherschlagen lassen wird.»
«Wonka» ist ein filmisches Weihnachtswunder, das nicht nur Kinderherzen höherschlagen lassen wird. Inmitten von uninspirierten Remakes und Sequels erstrahlt dieser Film als eine liebevolle Hommage an einen zeitlosen Klassiker, den er möglicherweise sogar übertrumpft. Lasst euch nicht von Trailer und Poster täuschen: Dieser Film ist ein Juwel, das die Zuschauer*innen in die süsse Welt von Willy Wonka entführt und dabei das Gefühl von Kindheitsträumen wiedererweckt. Eine unwiderstehliche Leckerei für die ganze Familie, die deutlich macht, dass hinter vermeintlich seelenlosen Projekten oft wahre Schätze verborgen liegen.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 7.12.2023
Filmfakten: «Wonka» / Regie: Paul King / Mit: Timothée Chalamet, Calah Lane, Keegan-Michael Key, Paterson Joseph, Matt Lucas, Matthew Baynton, Sally Hawkins, Rowan Atkinson, Jim Carter, Tom Davis, Olivia Colman, Hugh Grant, Natasha Rothwell / Grossbritannien, USA / 116 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH
«Wonka» entpuppt sich als unerwarteter Leckerbissen voller Charme, Magie und bezaubernder Musicalmomente. Eine nostalgische Hommage an Willy Wonka.
No Comments