Richard Curtis und Danny Boyle spannen in «Yesterday» für ein anregendes Pop-Märchen zusammen: Was wäre, wenn die Welt plötzlich die Beatles vergessen und ein bisher erfolgloser Musiker sich mit ihren zeitlosen Songs zum Weltruhm spielen würde? Das Potenzial eines solchen Gedankenexperiments und des ergiebigen Hitkatalogs der Beatles ist gross – wird aber leider überwiegend verschenkt.
Nach über zehn Jahren der Erfolglosigkeit hat Jack Malik (Himesh Patel) genug: Die meiste Zeit arbeitet der junge Musiker in einem Grossmarkt; daneben wartet er noch immer auf den grossen Durchbruch, spielt seine Lieder in den Fussgängerzonen des verschlafenen Suffolks, in halbleeren Pubs und an Festivals, an denen die Leute sein Zelt nur auf dem Weg zum grossen Gig nebenan durchqueren. Sein einziger Fan: seine beste Freundin, Managerin und Chauffeurin Ellie (Lily James), die ihn all die Jahre beständig anfeuerte und, ganz heimlich und innig, in ihn verliebt ist. Doch jetzt soll Schluss sein: Jack will die Gitarre an den Nagel hängen – der grosse Durchbruch, das hat er nun akzeptiert, wird nicht kommen.
Da geschieht das Wunder: Unerklärlicherweise gehen auf der ganzen Welt für zwölf Sekunden die Lichter aus. Als sie wieder angehen, liegt Jack – von einem Bus angefahren – bewusstlos auf der Strasse. Erst nach und nach merkt er, welche noch viel grössere Veränderung die Welt erfahren hat: Als er auf seiner neuen Gitarre «Yesterday» für seine Freunde spielt, sind sie überwältigt von der Schönheit des ihnen unbekannten Songs. Die Welt hat die Beatles vergessen – und Jack scheint der Einzige zu sein, der sich an ihre Lieder erinnert.

Himesh Patel in «Yesterday».
Ausgehend von dieser Prämisse wagen sich Regisseur Danny Boyle («Slumdog Millionaire», «Trainspotting») und Drehbuchautor Richard Curtis («Notting Hill», «Love Actually») an eine anregende und zunächst sehr überzeugende Fantasie heran: Was würde geschehen, wenn nur ein Mensch sich an die Songs der – so heisst es oft – grössten und einflussreichsten Band der Weltgeschichte erinnern könnte? Wie sähe die (Musik-)Welt ohne ihren Einfluss aus? Welche moralischen Fragen gehen mit einem Erfolg einher, der auf fremdem Gedankengut fusst? Und was bedeutet es überhaupt, in Zeiten von Social Media und zunehmendem Zielgruppen-Marketing mit Songs aus den Sechzigern berühmt zu werden?
«Was bedeutet es überhaupt, in Zeiten von Social Media und zunehmendem Zielgruppen-Marketing mit Songs aus den Sechzigern berühmt zu werden?»
Leider scheint der Film stärker daran interessiert, solche Fragen nebenbei aufzuwerfen, als sich wirklich tiefgründig damit auseinanderzusetzen. Statt sich auf kreative und produktive Art und Weise mit den komplexen Dynamiken, Fragen und Problemen zu befassen, liefert Curtis – unterstützt von (wortwörtlich) schrägen Kameraeinstellungen und unpassenden CGI-Einschüben, mit denen Boyle dem Geschehen seinen visuellen Stempel aufdrückt – einen wenig innovativen und abgedroschenen Liebesfilm, der nie richtig mitzureissen vermag.

Himesh Patel und Lily James in «Yesterday».
So verschwendet er nicht nur das Potenzial des Plots, sondern auch das seiner Figuren und seines Ensembles: Himesh Patel spielt seine zunehmend eindimensionale Figur nicht nur so überzeugend, wie es eben geht; er singt auch so sanft und harmonisch wie ein junger Paul McCartney und erinnert immer wieder an die berührende Zeitlosigkeit der Beatles-Melodien. Und auch der Rest des Ensembles – Lily James, Kate McKinnon, Joel Fry und Ed Sheeran persönlich – spielt solide, hat aber keinen Raum, um sich zu entfalten und das Publikum je wirklich emotional zu erreichen.
«In seinen besten Momenten ist ‹Yesterday› eine verspielt nostalgische und gewollt aberwitzige Ode an die Beatles, die liebe- und hochachtungsvoll die zeitlosen Ohrwürmer der Band in neuem Gewand inszeniert.»
In seinen besten Momenten ist «Yesterday» eine verspielt nostalgische und gewollt aberwitzige Ode an die Beatles, die liebe- und hochachtungsvoll die zeitlosen Ohrwürmer der Band in neuem Gewand inszeniert und sich so in die Tradition von bunten Beatles-Musicals wie «Yellow Submarine» (1968) und Julie Taymors «Across the Universe» (2007) einreiht. In seinen schwächsten Momenten verheddert sich der Film in seiner unfokussierten Liebesgeschichte und taumelt irgendwo zwischen uninspirierter, klamaukiger Kapitalismussatire und seichtem Drama. In einem anderen Kontext wäre dies zwar etwas langweilig, aber nicht zwingenderweise enttäuschend. Hier stossen sich die ungebrochenen Konventionen aber am verschwendeten Potenzial und machen – entgegen der Botschaft des Films und des wohl ikonischsten aller Beatles-Lieder – deutlich, dass Liebe eben doch nicht alles ist, was man braucht.
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Kinostart Deutschschweiz: 11.7.2019
Filmfakten: «Yesterday» / Regie: Danny Boyle / Mit: Himesh Patel, Lily James, Ed Sheeran, Kate McKinnon, Joel Fry / UK / 116 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Universal Pictures
Richard Curtis und Danny Boyle löschen die Beatles aus dem Gedächtnis der Menschheit: eine spannende Prämisse mit grossartigem Soundtrack – leider uninspiriert umgesetzt.
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