Das Filmpodium in Zürich widmet dem japanischen Filmemacher Satoshi Kon bis zum 30. September eine Retrospektive. Das Programm zeigt neben den Filmen des Anime-Meisters auch seine Vorbilder – und wie er selber Hollywood inspiriert hat.
Ein grosses Œuvre hat der 2010 mit nur 46 Jahren verstorbene Regisseur wahrlich nicht hinterlassen: «Nur» vier Filme veröffentlichte Satoshi Kon, ein fünfter, «Dreaming Machine», war zum Zeitpunkt seines Todes in Produktion – wurde jedoch bis heute nicht fertiggestellt. Entsprechend knifflig gestaltet sich da auch die Zusammenstellung einer umfassenden Retrospektive.
Das Filmpodium in Zürich löst das, indem das Werk von Kon mit Vorbildern, Nachahmern und Lieblingsfilmen ergänzt wird. Insgesamt 17 Filme finden sich im Programm dieser Retrospektive, die dadurch leider auch ein bisschen beliebig wirkt. Sicher, es ist erfreulich, dass ein Programmkino wie das Filmpodium gleich zahlreiche Animationsfilme ins Programm hebt, die sich so nur selten in ein Arthouse-Programm verirren – wie etwa die gefeierten «Spider-Man: Into the Spider-Verse» (2018) und «Your Name» (2016). Und auch von Hayao Miyazaki («Spirited Away») finden sich gleich zwei frühe und weniger bekannte Werke im Programm, nämlich sein Debüt «The Castle of Cagliostro» (1979) sowie der gemeinhin unterschätzte «Castle in the Sky» (1986).
So lobenswert diese breite Vertretung des Animationsfilms im Programm ist, so wenig aussagekräftig ist es, wenn diese Filme einzig deshalb in der Auswahl landen, weil die jeweiligen Regisseure vom Werk Satoshi Kons inspiriert worden sein sollen – oder, im Falle von Miyazaki, weil er für Kon ein Vorbild war. Dass sowohl Miyazaki als auch Kon ihre Nachfolger*innen inspiriert haben, ist nun wahrlich keine Überraschung.
«Satoshi Kons Schaffen befand sich in stetiger Wechselwirkung mit dem Autorenkino in Hollywood.»
Viel spannender ist, was die Retrospektive mit ihrem Herzstück – den Filmen und Serien Kons – herausschafft: und zwar, wie sich Satoshi Kons Schaffen in stetiger Wechselwirkung mit dem Autorenkino in Hollywood befand. Um das zu verdeutlichen, paart das Filmpodium die vier Regiearbeiten des Regisseurs jeweils mit einem Vorbild oder einem Nachahmer, die im Filmpodium auch alle als Double Feature gezeigt werden.
Das bekannteste Beispiel für eine solche Wechselwirkung ist wohl Kons düsteres Regiedebüt «Perfect Blue» (1997). Der Thriller über ein J-Pop-Sternchen und dessen Stalker erregte bei seiner Premiere viel Aufmerksamkeit und wurde vor allem für seine kompromisslose Regieführung, die unzuverlässige Erzählstruktur und die Kritik an der Idolisierung und Objektifizierung junger Frauen gefeiert. «Perfect Blue» beeindruckte auch den amerikanischen Filmemacher Darren Aronofsky («The Whale») so sehr, dass er ihn sowohl in «Requiem for a Dream» (2000) als auch in «Black Swan» (2010), den das Filmpodium ebenfalls zeigt, sehr deutlich zitierte. Das Gerücht, dass Aronofsky sich dafür gleich die Remake-Rechte sicherte, hält sich hartnäckig, wurde aber von Kon dementiert.
Auch Kons zweiter Anime ist ein Film, der die Grenzen zwischen Realität und Fantasie ergründet. «Millenium Actress» (2001) erzählt die Geschichte eines Filmteams, das die Vita einer alternden Schauspielerin dokumentieren möchte. Der Film ist eine Hommage an das japanische Filmschaffen – vor allem die Star-Miminnen Setsuko Hara und Hideko Takamine –, mit der Kon seinen wilden, parallelen Erzählstil noch einmal auf die Spitze treibt. Das Filmpodium zeigt ergänzend dazu «Slaughterhouse-Five» (1972) von George Roy Hill, der Kon mit seiner Montagetechnik massgeblich inspiriert haben soll.
«Die Struktur von ‹3 Godfathers› durfte öfters als Blaupause für andere Filme herhalten – selten aber geschah das so verspielt wie in Kons Interpretation.»
Auch der liebevolle Weihnachtsfilm «Tokyo Godfathers» (2003) über drei obdachlose Aussenseiter – einen Alkoholiker, eine Drag Queen und einen entlaufenen Teenager –, die am Weihnachtstag ein Neugeborenes aufnehmen, hat ein bekanntes Vorbild: den Western «3 Godfathers» (1948) von John Ford, in dem sich drei Bankräuber um ein Baby kümmern müssen. Die Struktur von Fords Fabel durfte öfters als Blaupause für andere Filme herhalten – etwa bei «Ice Age» (2002) oder «Three Men and a Baby» (1987) –, selten aber geschah das so verspielt wie in Kons Interpretation. Wie sehr sich die beiden Filme ähneln, lässt sich im Filmpodium überprüfen, wo sowohl «Tokyo Godfathers» als auch «3 Godfathers» laufen.
Wie das Beispiel von Darren Aronofsky zeigt, bediente sich aber auch Hollywood gerne bei Kon. «Paprika» (2006), Kons letzter und erfolgreichster Anime, erzählt von einer Maschine, mit der man in die Träume fremder Menschen eindringen kann. Auch wenn der Filmemacher selber nie bestätigte, von Kon inspiriert gewesen zu sein, so sind die Parallelen zu Christopher Nolans «Inception» (2010) doch frappant – inklusive einer zentralen Szene in einem die Grenzen der Physik strapazierenden Hotelflur. Im Vergleich zu Nolans Blockbuster ist «Paprika» aber ein noch wilderer Fiebertraum.
Ergänzt werden Kons Filme durch einen Marathon seiner Miniserie «Paranoia Agent» (2004). Die Mysteryserie erzählt von einem jungen Attentäter, der mit einem Baseballschläger Leute angreift, und wird im Filmpodium am Stück gezeigt. Was hingegen im Programm fehlt, ist die Dokumentation «Satoshi Kon, l’illusionniste» (2021) von Pascal-Alex Vincent, in der auch viele Wegbegleiter*innen des Regisseurs zu Wort kommen.
Am 20. September ist zudem Aya Suzuki zu Gast im Filmpodium. Die erfahrene japanische Animatorin arbeitete mit Kon an seinem unfertigen «Dreaming Machine» zusammen – und auch für Hayao Miyazaki, Mamoru Hosoda («Wolf Children»), Wes Anderson («Isle of Dogs») und Guy Ritchie («Aladdin») animierte sie bereits. Ein Vortrag des Filmwissenschaftlers Oswald Iten sowie ein Karaoke-und-Cosplay-Abend runden das Programm zu Satoshi Kon ab.
Wer einen Eindruck vom Werk dieses visionären Filmemachers bekommen möchte, kommt bei der Satoshi-Kon-Retrospektive im Filmpodium sicher auf die Kosten – und kann sich mit Terry Gilliams «Brazil» (1985), Mamoru Hosodas «The Girl Who Leapt Through Time» (2006) und Masaaki Yuasas «Mind Game» (2004) auch gleich noch ein paar Klassiker zu Gemüte führen.
Das ganze Programm zur Satoshi-Kon-Retrospektive gibt es auf der Website des Filmpodiums.
–––
Titelbild: «Millenium Actress»
Bildquellen: Film-grab.com (Filmstills), Screenshot «Satoshi Kon: L’illusioniste» (Satoshi Kon), Filmpodium (Aya Suzuki)
No Comments