Auf der Flucht zu sein hat eine traurige Tradition in der Familie Joffo. Die Progrome in Russland haben einst den Vater vertrieben und mit dem Fortschreiten des Zweiten Weltkriegs trifft es auch die nächste Generation. «Un Sac de Billes» dokumentiert eindrücklich das Schicksal zweier jüdischer Brüder, das heute noch viele Flüchtlinge teilen.
Familie Joffo führt ein normales Leben. Joseph („Jo“) und Maurice spielen vor der Schule mit Murmeln, während die älteren Brüder im Coiffeurgeschäft des Vaters arbeiten. Das Thema im Geschichtsunterricht ist jedoch „die Moral des deutschen Volkes“ und im Schaufenster des Familienbetriebs steht ein Schild, das das Geschäft als jüdisch ausweist. Was die Jungen anfangs zu Streichen inspiriert, nimmt bald eine düstere Wendung. Ausgerüstet mit einem detaillierten Plan und Geld für einen Schleuser, müssen sich Maurice und Joseph alleine von Paris nach Nizza durchschlagen, um vor den Nazis zu fliehen.
Keine leichte Kost
«Un Sac de Billes» folgt fast ausschliesslich den beiden Brüdern auf der Flucht. Die Menschen, die sie dabei treffen, prägen den Film aber wesentlich. Die unterschiedlichsten Rollen werden so porträtiert: italienische Soldaten, französische Kollaborateure, Kämpfer der Résistance, katholische Geistliche, die versuchen zu helfen, und natürlich die unterschiedlichsten Schicksale der Juden. Vor allem letztere sind so spannend wie betrübend. Da gibt es den Arzt, der täglich beurteilen muss, wer als Jude „überführt“ wird oder die alte Frau, die nicht versteht, was mit ihr geschieht. Nichts davon ist leichte Kost. Im Kontrast dazu stehen einige andere Rollen, die zum Teil stark überzeichnet sind. Der sadistische Nazioberst, zum Beispiel, der lachend zusieht, wie das Blut seiner Soldaten vergossen wird, wirkt wenig glaubwürdig. Was möglicherweise die kindliche Perspektive zum Ausdruck bringen soll, wirkt in diesen Momenten leider vor allem einfach flach.
Eines der zentralsten Themen von «Un Sac de Billes» ist aber klar die Verleugnung der eigenen Identität. Besonders einprägsam ist die erste Szene, in der Jo lernt, niemals zuzugeben, dass er Jude ist. Trotz dieser Dringlichkeit kommt die jüdische Identität jedoch kaum je zum Ausdruck. Die Jungen wissen zwar, dass sie nicht jüdisch sein dürfen, was ihnen damit verloren geht, bleibt hingegen unklar. Gleichzeitig erhält der Film dadurch aber auch eine stark universelle Note. Die Flucht, Angst um das eigene Leben und das Getrenntsein von der Familie sind allesamt starke Gefühle, mit denen man sich identifizieren kann. Wenn man dann bedenkt, wie wenig Zeit inzwischen verstrichen ist und dass tausende Menschen auch aktuell ein ähnliches Schicksal teilen, lässt einen «Un Sac de Billes» trotz einiger Schwächen nicht kalt.
Filmstart: 17. August 2017 / Regie: Christian Duguay / Mit: Dorian Le Clech, Batyste Fleurial Palmieri, Elsa Zylberstein, Patrick Bruel, Kev Adams, Christian Clavier, Frédéric Epaud
Bild- und Trailerquelle: Ascot Elite.
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