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Auf dem Rasen der Diagonale 2025

Von Sara Bucher · On Mai 6, 2025


Vom 27. März bis zum 1. April fand in Graz die 28. Ausgabe der Diagonale, das Festivals des österreichischen Films, statt. Unsere Autorin Sara Bucher war dabei und entdeckte spannende, herausfordernde Filme, die nicht nur mit Österreich-Klischees aufräumten, sondern auch das idyllische Selbstbild des Landes aufrüttelten.

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Das KIZ RoyalKino in Graz / Foto: Sara Bucher

«Österreich ist eine Rasenfläche», kritzelte ich im Foyer des Grazer Kunsthauses in mein Notizbuch, bereits eilig auf dem Weg zum nächsten Filmtermin. Es war mein zweiter Tag an der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films. Draussen regnete es in Strömen auf die pastellfarbene Altstadt um die Mur, auf lange Schlangen von Filmbegeisterten vor den Kinos – und wahrscheinlich auch auf etliche Privatrasen in idyllischen Vorgärten. Ideale Bedingungen also, um diese tiefschürfende These im Kinosaal auszutesten.

Im Trailer zur Diagonale 2025 zeigt uns Künstlerin Simona Obholzer den Rasen in Nahaufnahme. Erst plastikverhüllt, dann plötzlich zum Greifen nah werden Rasenplatten unter ASMR-Scharren aneinandergeschoben. «Angenehm für das Auge, weich für die Füsse» lautet der Titel der dazugehörigen Ausstellung im Grazer Kunsthaus, wo die Video-Grashalme in schummrigem Licht präzise zur Schau gestellt werden. Der Ausstellungstext relativiert: Weich sieht er aus, der Rasen, doch das Betreten zerstört in der Regel die künstliche Perfektion. Natur trifft auf den menschlichen Ordnungssinn. Besser ist es also, die Füsse vom Rasen zu lassen und ihn stattdessen aus der Distanz zu bewundern.

«Filme – wie mehrere Filmschaffende an Q&As betonten – sind stets aktuelle Momentaufnahmen eines Landes, seiner Kultur und seiner Sorgen.»

In der internationalen Vorstellung sind Österreich und die Farbe Grün schon lange synästhetisch miteinander verbunden – nicht zuletzt dank «Sissi» (1955), «The Sound of Music» (1965) und Co., die ein Land der endlosen Heide beschwören, auf der zwischen Enzianen gesungen und getollt werden darf. Natur also, aber kollektiv überhöht. Auch mein Wissen über unser Nachbarland ging zugegebenermassen kaum über die grün getönten Stereotypen und die eine oder andere politische Gruselgeschichte hinaus, und so verstand ich die drei Tage am Grazer Diagonale-Festival auch als Crashkurs in Sachen Österreich. Immerhin bietet das Festival seit den Neunzigerjahren jährlich einen Querschnitt durch das aktuelle österreichische Filmschaffen. Und Filme – wie mehrere Filmschaffende an Q&As betonten – sind stets aktuelle Momentaufnahmen eines Landes, seiner Kultur und seiner Sorgen.

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Die Ausstellung «Angenehm für das Auge, weich für die Füsse» von Simona Obholzer / Foto: Sara Bucher

Die Festivalleitung Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar, die diese Rolle seit 2023 innehaben, beschreiben das Festival zudem als «Ort künstlerischer und politischer Praxis». Entsprechend überraschte es nicht, dass das Programm der diesjährigen Ausgabe mutig und kritisch daherkam, aneckte, zu Dialogen anregte, und Österreich als einheitliches Konstrukt demontierte – die idyllische Rasenplatte also sozusagen wiederholt anhob, um deren Künstlichkeit zu enttarnen und den Dreck darunter zu offenbaren.

Bereits auf der Hinreise per Nachtzug – direkt ab Zürich mit frühmorgendlicher Ankunft – wurde offensichtlich, dass die Planung meines persönlichen Festivalprogramms schwierig werden würde. Das hatte allerdings positive Gründe, gab es doch zu jedem Zeitpunkt mindestens drei Programme, die ich auf keinen Fall verpassen wollte: Kurzspielfilmprogramm oder filmgeschichtliche Revue zum «toxischen Erbe des Wien-Films» als Produkt des Nationalsozialismus? Dokumentarfilm oder Werkschauen von Athina Rachel Tsangari und Ivette Löcker? Lieber experimentelles Kino oder klassischer Spielfilm? Verpasst habe ich notwendigerweise fast alles, immerhin beinhalten drei Tage nur so viele Stunden – und das Programm ganze 163 Filmproduktionen.

«Bereits innerhalb dieser limitierten Auswahl eröffneten sich Parallelen, Konversationen und Reibungen, die mir Österreich als Land der geladenen Widersprüche offenbarten.»

Wer ambitioniert ist, sich nicht davor scheut, blind aus einem Q&A zu stolpern, und Popcorn als Hauptmahlzeit zelebriert, kann vier bis fünf Visionierungen in einen Tag packen. In meinem Fall reichte es während drei Tagen für elf Programme: vier von fünf Kurzspielfilmprogrammen, ein Kurzdokumentarfilmprogramm, zwei Spielfilme, vier abendfüllende Dokumentationen. Doch bereits innerhalb dieser limitierten Auswahl eröffneten sich Parallelen, Konversationen und Reibungen, die mir nicht nur Österreich als Land der geladenen Widersprüche offenbarten, sondern auch das österreichische Filmschaffen als Quelle von kulturellen, politischen und sozialen Inputs, welche ich bisher schändlich ignoriert hatte.

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«Noch lange keine Lipizzaner» von Olga Kosanović / © Diagonale/April April Filme

Zwei Highlights, die ich direkt nacheinander sah (dazwischen eine gehetzte Tramfahrt quer durch das dämmrige Graz), waren die Dokumentarfilme «Noch lange keine Lipizzaner» von Olga Kosanović und «Austroschwarz» von Mwita Mataro und Helmut Karner – zwei Filme, deren Thematisierung des österreichischen Rasenteppichs so eng mit einander verflochten ist, dass ich sie jeder Person als Double-Feature ans Herz legen kann. Nicht zuletzt, weil sie sich mit Fragen und Problemen beschäftigen, die mit ihrer Relevanz und Thematik auch für die Schweiz aktueller nicht sein könnten.

«‹Noch lange keine Lipizzaner› kommt mit Animations- und Sketcheinlagen leichtfüssig – sogar lustig! – daher, beleuchtet dadurch aber nur noch effektiver die systemische Ausgrenzung im Kern der österreichischen (Staats-)Identität.»

In «Noch lange keine Lipizzaner» nimmt die in Österreich geborene und aufgewachsene Regisseurin und serbische Staatsbürgerin Kosanović das Publikum mit in die Bürokratiehölle des Einbürgerungsprozesses – ausgehend von dem Tag, als ihr Antrag auf österreichische Staatsbürgerschaft abgelehnt wurde, weil sie aufgrund von Ferien, Studium in Deutschland und Austauschsemester in Prag sage und schreibe 58 Tage «zu viel» im Ausland verbracht habe. Der Film kommt mit Animations- und Sketcheinlagen leichtfüssig – sogar lustig! – daher, beleuchtet dadurch aber nur noch effektiver die systemische Ausgrenzung im Kern der österreichischen (Staats-)Identität. Das Land hat eines der restriktivsten Einbürgerungsgesetze der Welt – über 20 Prozent der Einwohner*innen besitzen keine österreichische Staatsbürgerschaft und dürfen entsprechend nicht an politischen Entscheidungen teilhaben.

Einladend, aber mit aussperrendem Zaun versehen? Klingt bekannt: Die Rasen-These echot regelrecht durch Kosanovićs Dokumentation. Etwa als in Interviews die grünen Landschaften als Symbolbilder für die geteilte Gutmütigkeit auftauchen. Oder als in einem Loriot-haften Animationssketch ein Spiesser-Ehepaar im idyllischen Garten dem eingetopften Enzian ein Lied vorpfeift und die Gattin ihren Partner rügt, er solle nicht zu laut pfeifen – denn der Enzian der Nachbarn solle ja nicht vom Konzert profitieren.

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«Austroschwarz» von Mwita Mataro und Helmut Karner / © Diagonale/one earth – one daham

«Austroschwarz» ist ebenso persönlich und ebenso experimentell. Das zentrale Stilelement sind Mwita Mataros spielerische Unterhaltungen mit Kindern, in denen sie gemeinsam, unterlegt von einfachen Animationen, die Geschichte des «Blue Kid» erfinden, das anders aussieht als seine grünen Mitmenschen und einfach nur dazugehören will. Auch hier stehen die saftig grünen Wiesen des «Greenland», in dem «Blue Kid» zuhause ist, und des Fuschlsees, an dem Mataro die idyllischsten Momente seiner Kindheit verbrachte, in starkem Kontrast zu den Schilderungen der Ausgrenzung, Rassifizierung und zu Mataros persönlichen Erfahrungen mit der daraus resultierenden Angststörung.

«Wie unironisch kann eine Schwarze Band die Österreich-Hymne ‹I Am from Austria› von Rainhard Fendrich performen, ohne die Reibung der eigenen Erfahrung einzubringen?»

Wie ist es, fragt die Dokumentation in Interviews und Tagebuchsequenzen, in Österreich als Schwarzes Kind aufzuwachsen, besonders in den Neunzigerjahren, als die polizeiliche Ermordung des asylsuchenden Marcus Omofuma Schlagzeilen machte? Wie formt es einen Menschen, von der eigenen Heimat stehts mit Vorurteilen, Zuschreibungen und Reduzierungen konfrontiert zu werden? Vor einem Konzert, an dem Sänger Mataro und Schwarze Musiker*innen die grössten Hits des Austropop zum Besten geben, kommt es zu einer Diskussion: Wie unironisch kann die Band die Österreich-Hymne «I Am from Austria» von Rainhard Fendrich performen, ohne die Reibung der eigenen Erfahrung einzubringen?

Ähnliche Themen zogen sich durch das gesamte Festivalprogramm. Etwa im Film «Happy» von Sandeep Kumar, in dem der geflüchtete Happy trotz jahrelangen Lebens und kleiner Tochter in Wien nach Indien abgeschoben werden soll. Der grosse Gewinner des Dokumentarfilm-Preises «Bürglkopf» von Lisa Polster wiederum ist einer jener Filme, die verpasst zu haben mich am meisten reut: In ihm nähert sich Polster dem Bürglkopf-Rückkehrzentrum, wo Asylbewerbende in Isolation auf eine ungewisse Zukunft warten. Es liegt direkt neben den Kitzbüheler Alpen, einem Postkarten-Ort für Skitourismus.

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«Bürglkopf» von Lisa Polster / © Diagonale/Lisa Polster/sixpackfilm

Eine faszinierend dissonante Note im Programm war das gewollt kontroverse Porträt «Der Soldat Monika» von Paul Poet, der hierzulande bereits an den Solothurner Filmtagen zu sehen war. In ihm widmet sich der Filmemacher und bekennende Punk Poet mithilfe von Reenactments, Animation, Traumsequenzen und abstrusen Fantasien der Figur der Monika Donner – ihres Zeichens ehemalige Soldatin, trans Aktivistin für LGBTQ+-Rechte, engagiert im Kampf gegen die «Corona-Diktatur» und assoziiert mit prominenten rechtsextremen Personen. In Poets Film wird ebenso an der Fassade der Monika Donner gekratzt wie tiefschürfende Fragen zu unserem Umgang mit kontroversen Persönlichkeiten aufgeworfen. Nach dem Film gab es bezeichnenderweise einiges an angeregtem, empörtem und fragendem Getuschel.

«‹Es ist ein familiäres Festival›, erklärte mir ein Filmschaffender beim Warten. ‹Man kennt einander›.»

Die bunt gemischten Kurzfilmprogramme offenbarten mir das Festival zudem als wohl grösstes Klassentreffen Österreichs. Im Grazer Regen standen sich vor dem Tickethäuschen des KIZ RoyalKinos sämtliche Filmstudierenden der Stadt die Beine in den Bauch, während sich drinnen immer wieder die langsam bekannten Gesichter von Filmschaffenden vor und auf der Leinwand versammelten. «Es ist ein familiäres Festival», erklärte mir ein Filmschaffender beim Warten. «Man kennt einander.» Entsprechend sind die Schlangen der perfekte Ort, um das Österreich-Studium durch schamloses Lauschen zu erweitern. So erfuhr ich einiges über die Engpässe der aktuellen Filmförderung, über Highlights, die man auf keinen Fall verpassen sollte, und darüber, wie anstrengend das aktuelle Akkreditierungs-System ist: «War das früher nicht alles besser und einfacher?», schien man sich hier einig. Auch, dass man die Schauspieler*innen aus den Kurzfilmen immer wieder in diversen Vorstellungen entdecken konnte, machte das Ganze ungemein sympathisch.

Die Kurzfilmprogramme selbst waren thematisch äusserst durchmischt. So erzählten sie unter anderem von Enttäuschung, dem Altern, belgischem Weltraumkolonialismus und den klassischen menschlichen Bedürfnissen wie Liebe, Zugehörigkeit oder das eigene Leben einfach einmal hinter sich lassen zu können, um im IKEA-Showroom durch sinnstiftenden Identitätsbetrug die Erfüllung im Kissenaufschütteln zu finden. So weit, so normal. Der Gewinnerfilm der Kategorie Kurzfilm – einer von vielen Beiträgen der Filmakademie Wien – war der mit Abstand aufrüttelndste: «Night of Passage» von Reza Rasouli folgt drei jungen Menschen auf der Flucht nach Österreich und versieht sonst oft namenlose Schlagzeilen mit spezifischen Schicksalen.

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Der Blick auf Graz vom Schlossberg / Foto: Sara Bucher

Nach drei Tagen schwirrte mir der Kopf vor lauter Eindrücken, und ich hatte sämtliche Heimatfilm-Klischees ein für allemal über Bord geworfen. Wer wie ich bisher noch wenig Berührungspunkte mit dem österreichischen Filmschaffen hatte, dem sei die Diagonale als Startpunkt aus- und nachdrücklich ans Herz gelegt.

«Graz als Reisedestination ist hübsch, gekrönt von einem Schlossberg, einfach zu Fuss erkundbar und durch und durch Studierendenstadt, sprich: voller exzellenter Möglichkeiten, Kaffee zu trinken, zu frühstücken, oder die Filmerlebnisse in Bars ausklingen zu lassen.»

Und wer nun immer noch nicht davon überzeugt ist, der offeriere ich nun noch ein paar letzte Argumente im Schnelldurchlauf. Graz als Reisedestination ist hübsch, gekrönt von einem Schlossberg, einfach zu Fuss erkundbar und durch und durch Studierendenstadt, sprich: voller exzellenter Möglichkeiten, Kaffee zu trinken, zu frühstücken, oder die Filmerlebnisse in Bars ausklingen zu lassen. Das Kunsthaus ist von aussen wie von innen einzigartig – wer mit der Form des «Friendly Alien» noch nicht vertraut ist, dem empfehle ich eine kurze Google-Suche. Wenn das Filmprogramm nicht ganz so dicht gewesen wäre, hätte ich ausserdem von der entzückenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, mit einer «Märchenbahn» durch das Dolomitgestein des Schlossbers zu tuckern. Und zuletzt ist Graz mit dem Zug einfach und günstig erreichbar, ob durch die Nacht oder, mit etwas Sitzfleisch, auch tagsüber. Bei zweiterem darf man sogar die teils üppig-grüne, teils im März noch zauberhaft verschneite Tiroler Berglandschaft bewundern – und von einer österreichischen Idylle träumen, die dann auf der Leinwand zügig demontiert wird.

–––

Titelbild: Sara Bucher

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Sara Bucher

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