Jan-Ole Gerster sorgte 2012 mit seinem Debüt «Oh Boy» für Furore. Lange und mit viel Erwartungen hat die Welt auf seinen Zweitling gewartet. Nun kehrt der deutsche Regisseur mit «Lara» zurück und verfolgt Corinna Harfouch als rauchende und sinnsuchende Titelfigur auf einem herbstlichen Streifzug durch Berlin.
Lara hat Geburtstag. Sie wird 60. Früher war sie mal eine ehrgeizige und talentierte Pianistin, wurde dann aber Beamtin. Sie steht auf, öffnet das Fenster, steigt auf einen Stuhl – und unterbricht ihre Suizidbemühungen, weil es an der Tür klingelt. Das gehört sich so.
An einem herrlichen Herbsttag streift Lara durch Berlin. Ihr Sohn Viktor (Tom Schilling) ist aufstrebender und erfolgreicher Pianist geworden. Gerade den heutigen Tag hat sich der Sohnemann für das wohl wichtigste Klavierkonzert seiner Karriere ausgewählt, und es scheint nicht so, als wäre die Mutter dabei willkommen. Es gibt keinen Anruf, keine Geburtstagsgrüsse, nichts. Dennoch kauft Lara jegliche Restkarten des Konzerts auf und verteilt diese an Leute, die ihr auf diesem Streifzug begegnen: an ihre ehemaligen Mitarbeiterinnen, Verkäufer, an ihren früheren Klavierlehrer.
«Lara» posaunt nicht in die Welt hinaus, was da zwischen Mutter und Sohn geschehen ist. Vielmehr muss sich der Zuschauer die Hintergründe selbst zusammenschustern.
«Lara» posaunt nicht in die Welt hinaus, was da zwischen Mutter und Sohn geschehen ist. Vielmehr muss sich der Zuschauer die Hintergründe selbst zusammenschustern. Die spärlich verteilten Hinweise findet das Publikum in Dialogen, in kurzen Einstellungen, den fast unmerklichen Gesten der Figuren ,vor allem aber in Corinna Harfouchs Gesicht.
Wir kleben förmlich an ihr – und wie könnten wir auch anders? Hinter dem stoischen Gesicht, dem stylischen Mantel und dem eleganten Kleid von Lara versteckt sich eine einsame und alleingelassene Frau. Und die finden wir nur dank des subtilen und prägnanten Spiels der tollen Harfouch. «Lara» gibt einem keinen Grund, Lara zu mögen; und dennoch schafft es Harfouch, ein wenig Sympathie oder gar Mitleid aus dem Zuschauer herauszukitzeln.
Nach «Oh Boy» folgt Jan-Ole Gerster auch diesmal wieder einer verlorenen Seele einen Tag lang durch Berlin – ohne zu viel auszuformulieren. Dies macht er aber mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass man nicht anders kann, als sich der Faszination für diese Figur hinzugeben und ihre Geschichte Hinweis für Hinweis selbst zusammenzusetzen.
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Kinostart Deutschschweiz: 7.11.2019
Filmfakten: Regie: Jan-Ole Gerster / Mit: Corinna Harfouch, Tom Schilling, Volkmar Kleinerts / Deutschland / 2019 / 98 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Pathé Films
Die Symbiose zwischen unaufgeregter Inszenierung und dem subtilen, treffsicheren Spiel von Corinna Harfouch macht «Lara» zu einem faszinierenden Portrait einer faszinierenden Figur.
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