Eigentlich kann es zum Thema gar nicht genug Filme geben – denn sonst droht die Flüchtlingskrise, die akuter ist als je zuvor, vor lauter Medienmüdigkeit vergessen zu gehen. Und das wäre zynisch. In einer nüchternen Erzählweise halten Anna Thommen und Lorenz Nufer in «Volunteer» fest, wie das Elend an den Küsten Griechenlands auch in den Alltag ländlicher Schweizer Orte wie dem Simmental eindringen kann.
Sie sind natürlich nicht die Ersten, die sich der Flüchtlingskrise auf filmischem Weg nähern. Dem einigermassen informierten Menschen sind die Bilder von den Küsten des Mittelmeers – durchnässte Menschen in Schwimmwesten und Wärmedecken, verängstigt auf Gummibooten – mittlerweile vertraut. Sie flackern andauernd irgendwo über einen Bildschirm oder eine Leinwand. Bis man sie nicht mehr sehen mag. Unter anderem darum geht es in «Volunteer»: den Tunnelblick von uns Westeuropäer*innen, der geflissentlich an der Krise vorbeiguckt – aber auch die zahlreichen Helfer*innen, welche versuchen, das Leid zu mindern und Lösungen zu finden. Statt einen persönlichen Bezug zum Thema zu suchen, wie dies beispielsweise Markus Imhoof mit «Eldorado» (2018) tat, wagen Anna Thommen und Lorenz Nufer einen ganz anderen Ansatz. Sie begleiten die Leute, welche eher zufällig zu Helfern wurden. Sie stellen die Frage, wieso man eigentlich so etwas tut. Ist es einmal mehr der weisse Mann, der zur Rettung kommt? Oder steckt da noch mehr dahinter?
«Dem einigermassen informierten Menschen sind die Bilder von den Küsten des Mittelmeers – durchnässte Menschen in Schwimmwesten und Wärmedecken, verängstigt auf Gummibooten – mittlerweile vertraut. Sie flackern andauernd irgendwo über einen Bildschirm oder eine Leinwand.»
Um Antworten zu finden, nehmen sie eine der zahlreichen Hilfsorganisationen und deren Mitglieder unter die Lupe. Michael Räber, Gründer von «Schwizerchrüz», kommt 2015 auf einer Ferienreise mit seiner Frau eher zufällig mit der regelrechten Flüchtlingsflut in Griechenland in Kontakt. Der Wunsch, zu helfen, nimmt danach Form an. Räbers Frau motiviert eine Arbeitskollegin, bei der Organisation mitzuhelfen, und diese hat ihren anfangs widerwilligen Freund Thomas Hirschi im Schlepptau. Räber war Hauptmann beim Militär, sein Mitstreiter Hirschi ist Viehbauer. Sie beide kommen nicht aus einem linksgeprägten Umfeld, leisten aber vor Ort in Griechenland Hilfe, wo sie nur können. Einmal hingeschaut – so scheint es – können sie nicht länger ihre Augen vor den Missständen verschliessen. Der erste Einsatz am Mittelmeer sollte nur einer von vielen bleiben. Und niemand kehrt unverändert aus Griechenland zurück.
«Einmal hingeschaut – so scheint es – können sie nicht länger ihr Augen vor den Missständen verschliessen.»
Im Film kommt disparates Material zusammen. Da wird von GoPro-Aufnahmen auf Fernsehclips und HD-Bilder geschnitten. Die unterschiedliche Darstellung auf visueller Ebene gerät dabei bald auch zum Sinnbild dieser unterschiedlichen Welten. Ein Patchwork, verwoben zu einem Gesamteindruck, welches nicht unnötig versucht, auf die Tränendrüse zu drücken. Thommen und Nufer sind ehrlich in der Darstellung ihrer Protagonisten. Es wird beispielsweise kein Hehl daraus gemacht, dass Ileana Heer Castelletti eine sehr wohlhabende Pensionärin ist. Doch nützt sie ihre Musse, um ohne Eitelkeit Gutes zu tun. Die Protagonist*innen rackern sich ab, aber ob sie sich als Helden sehen? Bei dieser Frage verweist Michael Räber auf den Ursprung des Wortes: Held, das ist ein freier Mann, ein Kämpfer.
«Volunteer» hat nicht nur zum Ziel, die politischen Missstände dieser Welt zu dokumentieren. Der Film geht einen Schritt weiter und hinterfragt mit grossem psychologischen Geschick den eigentlichen Antrieb zur Freiwilligenarbeit.
«Volunteer» hat nicht nur zum Ziel, die politischen Missstände dieser Welt zu dokumentieren. Der Film geht einen Schritt weiter und hinterfragt mit grossem psychologischen Geschick den eigentlichen Antrieb zur Freiwilligenarbeit. Wie als Nachtrag formuliert Sarah Hirschi noch einen hoffnungsvollen Gedanken: Sie glaube nicht, dass sie alle durch die Erlebnisse in Griechenland zu anderen Menschen geworden sind. Vielmehr sei dieser Trieb, zu helfen, in allen schon immer vorhanden gewesen. Durch die authentischen Protagonist*innen kristallisiert sich auch ein einigermassen hoffnungsvolles Fazit heraus: Wir alle haben in uns den Wunsch, zu helfen, gelingt es uns nur, die Scheuklappen abzulegen. Schlussendlich soll kein Mensch grundlos leiden.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 3.9.2020
Filmfakten: «Volunteer» / Regie: Anna Thommen, Lorenz Nufer / Mit: Michael Räber, Thomas Hirschi, Sarah Hirsch-Gerber, Ileana Heer Castelletti / Schweiz / 93 Minuten
Bild- und Trailerquelle: First Hand Films
Anna Thommen und Lorenz Nufer schaffen mit «Volunteer» einen brandaktuellen, unprätentiösen Film, der die psychologische Antriebskraft hinter der Freiwilligenarbeit erforscht.
No Comments