Die 68. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele Berlin ging vom 15. bis 25. Februar über die Bühne. Maximum Cinema war vor Ort und hat das Neuste im Filmwesen unter die Lupe genommen. Fazit: Viele mittelmässige, einige gute und eine Handvoll grossartiger Filme wurden der Öffentlichkeit präsentiert. Fünf Entdeckungen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
1. «In den Gängen» («In the Aisles»)
von Thomas Stuber (Deutschland, 2018)

© Sommerhaus Filmproduktion
«In den Gängen» von Thomas Stuber («Herbert») ist der – mit Abstand – beste Film des diesjährigen Wettbewerbs. Die deutsche Tragikomödie spielt in einem Grossmarkt und ist der «Toni Erdmann» von 2018. Nicht nur die Darstellerin Sandra Hüller haben die beiden Filme gemeinsam, auch die Menschlichkeit, die stille Tragik der Geschichte, der subtile Humor und allem voran die liebenswerten Figuren tragen dazu bei, dass der knapp zweistündige Film eine absolute Perle geworden ist. Er beginnt mit dem ersten Arbeitstag von Christian (Franz Rogowski, auch mit «Transit» und «Fikkefuchs» an der Berlinale vertreten), einem wortkargen, tätowierten jungen Mann mit Hasenscharte und leichtem Sprachfehler, und zusammen mit ihm lernen wir seine neuen Kollegen und den Grossmarkt kennen und lieben. So gut, dass wir am liebsten noch viele weitere Stunden mit ihnen verbringen würden.
In der Schweiz kommt «In den Gängen» am 26. April in die Kinos. Es ist absolut wünschenswert, dass der Film einen ähnlich erfolgreichen Weg wie «Toni Erdmann» findet.
2. «Eldorado»
von Markus Imhoof (Schweiz / Deutschland, 2018)

© Majestic/zero one film / Peter Indergand
Der Winterthurer Regisseur Markus Imhoof («Das Boot ist voll», «More Than Honey») präsentierte die Weltpremiere seines dritten Dokumentarfilms an der Berlinale. «Eldorado» ist Imhoofs persönlichster Film bis jetzt, verbindet er doch die aktuelle Flüchtlingssituation mit derjenigen des zweiten Weltkriegs, als Schweizer Familien für eine gewisse Zeit junge italienische Kinder aufnahmen und beherbergten. So auch die Familie Imhoof, die dadurch die kleine Giovanna aus dem verbombten Mailand ein Teil der Familie machte. Der Regisseur begleitet die Marine-Operation, die auf dem Mittelmeer Flüchtlinge aus Schlauchbooten rettet, besucht ein Ghetto in Süditalien, in dem sich die Mafia an den zukunftslosen Flüchtlingen ‘bedient’, und analysiert, wie ein privilegiertes Land wie die Schweiz mit ihnen umspringt. Begriffe wie ‘wir’ und ‘die Anderen’ kommen dabei immer wieder zur Sprache, insbesondere dann, wenn er Bezug schafft zur kleinen Giovanna. Ein starker, sachlicher, aber emotionaler Film, der nicht davor zurückschreckt, auch Institutionen und Regierungsentscheide anzuprangern.
«Eldorado» kommt bereits am 8. März in die Schweizer Kinos.
3. «Dolmetscher» («The Interpreter»)
von Martin Šulík (Slowakische Republik / Tschechische Republik / Österreich 2018)

© Titanic, InFilm, Coop 99 / Barbara Jancarova
Auch Peter Simonischek – ’Toni Erdmann’ selber – hat einen neuen Film an der Berlinale. Als der Dolmetscher Ali Ungár, ein 80-jähriger Sohn einer jüdischen Familie (gespielt von Jiří Menzel) entscheidet, in Wien den SS-Offizier zu erschiessen, der damals seine Familie ermordet hat, trifft er stattdessen auf dessen Sohn Georg (Simonischek). Ein ungleiches Paar macht sich mit einem roten Mercedes-Kombi auf die Suche nach der Vergangenheit, auf die Spuren von Georgs Vater in der Slowakei. Beide werden mit den im Grundsatz verschiedenen Lebenseinstellungen und Arten der Vergangenheitsbewältigung des jeweils anderen konfrontiert. «Dolmetscher» ist eine Komödie mit zwei herrlichen Darstellern, die zwar unglaublich komisch ist, aber sich nie über sie lustig macht. Mit viel Feingefühl wird ein Kapitel der europäischen Geschichte auf humorvolle und doch ernstzunehmende Weise aufgearbeitet. Ein Schweizer Start in den Kinos ist noch nicht geplant.
4. «Figlia mia» («Daughter of Mine»)
von Laura Bispuri (Italien / Deutschland / Schweiz, 2018)

© Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films / Valerio Bispuri
«Figlia mia» von Laura Bispuri ist eine Ko-Produktion zwischen Italien, Deutschland und der Schweiz. Das einfühlsame, aber einfach gestrickte Drama begleitet die drei ungleichen Frauen Tina (Valeria Golino, «Rain Man»), ihre zehnjährige Tochter Vittoria (Sara Casu) und Angelica (Alba Rohrwacher, «I Am Love»), die in einem ländlichen Dorf in Süditalien leben. Unter der heissen mediterranen Sonne gehen sie ihren alltäglichen Geschäften nach, besuchen Abends die Dorfkneipe und die kleine Vittoria ist fasziniert von Angelica, die so gar nicht wie die restlichen Menschen in ihrem Umfeld ist. Die Beziehung, die sich zwischen den beiden nach und nach aufbaut, gefällt Tina ganz und gar nicht, denn Tina weiss mehr von Angelica, als sie ihrer Tochter zutrauen möchte.
Einen Schweizer Kinostart gibt es derzeit (noch) nicht.
5. Zwei Musik-Doks: «Matangi/Maya/M.I.A.» und «Songwriter»
«Matangi/Maya/M.I.A.» von Steve Loveridge (USA / Grossbritannien / Sri Lanka, 2018)

© Courtesy of Cinereach
Zwei ungleiche und doch gleich starke Musikdokus wurden an der Berlinale gezeigt. «Matanga/Maya/M.I.A.» erzählt die Geschichte von Maya Arulpragasam, in Sri Lanka geboren und in London aufgewachsen. Kontrovers nimmt die als M.I.A. bekannte Pop-Ikone kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die Regierung in Sri Lanka zu kritisieren, vor allem auch deren Umgang mit den Tamil Tigers. Mayas Vater ist der Begründer der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung, und unter anderen Umständen wäre auch Maya eine Kämpferin in einer diesen militanten Gruppen geworden. Heute weltbekannte Künstlerin und Aktivistin (unter anderem für den Oscar nominiert für ihre Songs in «Slumdog Millionaire»), porträtiert der Dok-Film eine junge Idealistin, die gerne provoziert und sich so gegen die politisch korrekte Gesellschaft wehren muss.
Etwas weniger kontrovers ist Ed Sheeran, der mit Songs wie «Perfect» oder «Shape of You» in den letzten Jahren zum absoluten Weltstar avanciert ist. «Songwriter» setzt sich aus Videoaufnahmen seines Cousins zusammen, der den bodenständigen Schotten auf Schritt und Tritt beim Songschreiben zu seinem dritten Album «Divide» begleitete. Für Fans von Sheeran ist «Songwriter» ein absolutes Muss, für alle anderen empfehlenswert, weil sich Ed Sheerans Enthusiasmus und seine Leidenschaft für die Musik direkt auf den Zuschauer überträgt und die Musik gute Laune macht. Eine Feel-Good-Dok, die zwar wenig über Ed Sheerans Leben ausserhalb der Musik preisgibt, aber einen unterhaltsamen Einblick in den Prozess des Songschreibens gewährt.
Sowohl «Matanga/Maya/M.I.A.» wie auch «Songwriter» haben derzeit keinen Schweizer Verleiher und deshalb auch keinen Kinostart.
«Songwriter» von Murray Cummings (Grossbritannien, 2017)

© Murray Pictures Limited 2018
Titelbild: © Sommerhaus Filmproduktion / Anke Neugebauer
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