2014 traf das Netflix-Publikum zum ersten Mal auf BoJack Horseman – einst der meistgefeierte Sitcom-Star der 90er, inzwischen in Vergessenheit geraten, alkoholkrank, depressiv und von seinen Freunden emotional isoliert. Im Verlauf von fünf Staffeln versank der Pferdemann immer tiefer im zerstörerischen Sumpf seines Selbsthasses. Der erste Teil der sechsten und letzten Staffel, der am 25. Oktober veröffentlicht wurde, verspricht eine spannende Neuorientierung.
«BoJack Horseman», die Schöpfung von Series-Creator Raphael Bob-Waksberg und Animatorin Lisa Hanawalt («Tuca & Bertie»), ist seit jeher ein Konstrukt, das eigentlich nicht funktionieren sollte – eigentlich. Beschrieben wird die Serie in der Regel als Komödie, und das ist nicht falsch: «BoJack Horseman» ist eine der lustigsten Serien der Gegenwart, und die bunte Animationswelt, die von Hanawalts stilistisch unverkennbaren antropomorphen Tieren und Menschen bevölkert wird, strotzt nur so vor überbordendem Witz, waghalsigen Wortspielen, visuellem Humor und satirischem Biss. Gleichzeitig ist die Serie aber auch einer der konsequentesten und bestürzendsten Einblicke in die Psyche eines zutiefst depressiven Mannes, der in seinem Selbsthass nicht nur sich, sondern auch seinem Umfeld wiederholt schweren emotionalen Schaden zufügt und – so schien es während fünf Staffeln – zielstrebig auf ein tragisches Ende zusteuert.
«‹BoJack Horseman› ist eine der lustigsten Serien der Gegenwart, und die bunte Animationswelt, die von Hanawalts stilistisch unverkennbaren antropomorphen Tieren und Menschen bevölkert wird, strotzt nur so vor überbordendem Witz, waghalsigen Wortspielen, visuellem Humor und satirischem Biss.»
Man sah man BoJack (durchgängig sensationell gesprochen von Will Arnett) etwa dabei zu, wie er antriebslos und von seiner Vergangenheit gelähmt die Hürden von «Hollywoo» navigierte und seine engsten Freunde wieder und wieder enttäuschte und von sich stiess. In der zweiten Staffel wurde man Zeugin davon, wie er eine Gruppe minderjähriger Teenager zu ihrem Abschlussball begleitete, mit Alkohol abfüllte, zwei davon mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus zurückliess und mit der dritten in seinem Bett aufgefunden wurde. Noch tiefer sank er eine Staffel später, als sein langjähriger Schützling Sarah Lynn (Kristen Schaal) – einst Kinderstar in BoJacks Erfolgsserie «Horsin‘ Around» – in Folge einer Überdosis in seinen Armen starb. Und zuletzt erreichte BoJack einen weiteren Tiefpunkt, als er am Ende der fünften Staffel im Rausch seine Serienpartnerin Gina (Stephanie Beatriz) tätlich angriff.
Seine beste Freundin Diane (Alison Brie) – stets seine schärfste Kritikerin und verlässlichste Stütze – fuhr ihn daraufhin fürsorglich in die Suchtklinik und sorgte so für eine unerwartet hoffnungsvolle Wende. Ihre wütenden Worte an ihren Freund erweisen sich als zentrales Leitzitat der neuesten, letzten Staffel: «No one is gonna hold you accountable. You need to take responsibility for yourself.»
«Rehab is not a cure-all that’s gonna make you suddenly not an asshole.»
Es ist bezeichnend, dass die meisten der oben beschriebenen Momente im neuen Serienvorspann auftauchen. Sie sind allesamt Zeugnisse der dunkelsten Momente in BoJacks Leben, Flashbacks, die ihn fünf Staffeln lang verfolgt und immer tiefer in die Selbstzerstörung getrieben haben. Doch nun, am Anfang der letzten Staffel, gibt es einen wichtigen Unterschied: Bojack ist nüchtern. «I rememeber everything», sagt er so etwa zu seinem therapeutischen Begleiter in der Klinik. «I’m sober now.» Erst in diesem Zustand wartet er nicht mehr panisch darauf, dass ihn jemand zur Rechenschaft zieht, sondern nimmt diese schwere Arbeit selbst in Angriff – ein Prozess, der sich durch diese ganze erste Hälfte der Staffel zieht.
Allerdings war «BoJack Horseman» noch nie eine Serie der einfachen Antworten. Sich selbst die eigenen Fehler einzugestehen, mag ein erster wichtiger Schritt sein – das Leid, das man Anderen zugefügt hat, löst sich dadurch allerdings nicht auf. Oder um ein weiteres Mal Dianes stets treffende Worte an BoJack zu zitieren: «Rehab is not a cure-all that’s gonna make you suddenly not an asshole.» Mit zunehmender Dringlichkeit spitzt sich die Serie deshalb auf einen Ausbruch zu, auf eine Konfrontation zwischen BoJack und all jenen, die er auf seinem Weg der Selbstzerstörung wiederholt verletzt hat. Das Ende der ersten Hälfte der neuen Staffel gibt jedenfalls einen wenig angenehmen Ausblick auf das Kommende: BoJack wird sich nicht nur seinen mentalen Dämonen und seinen eigenen Traumata noch einmal stellen, sondern eben doch Rechenschaft leisten müssen für das, was er seinem Umfeld angetan hat.
In einer Zeit, in der es kaum mehr überrascht, wenn das toxische Verhalten eines weiteren Filmschaffenden an die Öffentlichkeit gelangt, verspricht dieser Handlungsstrang im zweiten Teil der Staffel ganz besonders spannend und relevant zu werden: Wie lassen sich die Sympathien für eine Figur, die man während mehrerer Jahre begleitet hat, mit dem Wissen über ihre folgenschweren Taten vereinen? Wie lassen sich die Hintergründe ihres Handelns erklären, ohne dieses zu entschuldigen? In welchem Ausmass, in welcher Form kann einem solchen Täter verziehen werden? Und wie finden die Opfer Gerechtigkeit und Heilung?
«Eine weitere Stärke von ‹BoJack Horseman› war allerdings schon immer, dass sich die Serie nie ausschliesslich auf ihren tragischen Titelhelden fokussierte. So lebt auch die neuste Staffel von den Problemen, Ängsten und Hoffnungen eines starken Ensembles von Charakteren, die auf ihre ganz individuelle Art das Chaos des menschlichen Lebens illustrieren.»
Eine weitere Stärke von «BoJack Horseman» war allerdings schon immer, dass sich die Serie nie ausschliesslich auf ihren tragischen Titelhelden fokussierte. So lebt auch die neuste Staffel von den Problemen, Ängsten und Hoffnungen eines starken Ensembles von Charakteren, die auf ihre ganz individuelle Art das Chaos des menschlichen Lebens illustrieren: Auch Diane wird von Unsicherheiten und Depressionen geplagt und wagt, gemeinsam mit ihrem neuen Freund Guy (der grossartige «Atlanta»-Darsteller Lakeith Stanfield), einen Neuanfang in Chicago. Ihr Ex-Mann, der stets sonnig gelaunte Labrador Mr. Peanutbutter (Paul F. Tompkins), kämpft mit den Folgen seiner Beziehungsuntreue. Princess Carolyn (Amy Sedaris), BoJacks einstige Geliebte und Managerin, hat sich endlich ihren Kinderwunsch erfüllt – muss nun allerdings bemerken, dass es in unserer Gesellschaft fast unmöglich ist, Single-Mutter und berufstätig zu sein. Und der naive Chaot und Lebenskünstler Todd (Aaron Paul), über dessen Vergangenheit bisher nur wenig bekannt war, stellt sich seiner Familie, die er einst für ein Leben auf BoJacks Couch zurückliess.
Alle Figuren, mit ihren positiven Qualitäten, ihren Fehlern und ihrer unglaublichen Menschlichkeit, sorgten schon immer für reichlich Identifikationspotenzial und illustrieren, was – einmal mehr – Diane in Staffel 5 treffend beschrieb: «There’s no such thing as bad guys. Or good guys. We’re all just guys. Who do good stuff, sometimes. And bad stuff, sometimes. And all we can try to do is do less bad stuff and more good stuff.»
«Die acht Episoden sind das zweitletzte Puzzleteil eines Gesamtkunstwerks, das durchgehend gekonnt absurden Humor, Gesellschaftskritik und die tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz vereint.»
Die acht Episoden sind das zweitletzte Puzzleteil eines Gesamtkunstwerks, das durchgehend gekonnt absurden Humor, Gesellschaftskritik und die tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz vereint. Sie schaffen es geschickt, die letzten Staffeln Revue passieren zu lassen und alles Nötige aufzugleisen, um die Serie zu einem würdigen Ende zu bringen – und versprechen für den zweiten Teil, der am 31. Januar 2020 veröffentlicht wird, einen emotionalen Wirbelsturm: «Now I see storm clouds off in the distance», heisst es so im Abspannsong der zweitletzten Folge («The Face of Depression»), als BoJack in einem ruhigen Moment tief in sich geht. «A terrible omen, a beautiful show». Das Ende, in all seiner furchtbaren Schönheit, ist noch ungewiss – dass der Serie die Punktlandung aber wie immer gelingen wird, steht wohl ausser Frage.
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Bild- und Trailerquelle: Netflix
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