Eine Abendschicht, ein überlastetes Team, ein klingelndes Telefon: «Heldin» wirft uns mitten hinein in den Schweizer Spitalalltag einer Pflegefachfrau – intensiv, authentisch und zum Nachdenken anregend.
Wir erinnern uns: Im Jahr 2020 klatschten wir vom Balkon Beifall. Für unsere Held*innen. Politische und wirtschaftliche Reformen sollten folgen. Und heute? Alles vergessen? Tatsache ist, der Fachkräftemangel hat sich verschärft. Gerade in der Pflege ist die Lage dramatisch und spitzt sich weiter zu. «Heldin» zeigt die Gegenwart ohne Moralapostelei, dafür mit eindringlicher Klarheit. Dennoch ist es kein Film über Politik, sondern über Menschen.
Wir begleiten Floria Lind (Leonie Benesch) während ihrer Abendschicht in einem Schweizer Krankenhaus (gedreht wurde im ehemaligen Spital Kilchberg und vor dem Kantonsspital Baselland). Heute muss sie die Aufgaben und Betreuung der Patient*innen auf der Station mit nur einer weiteren Kollegin und einer Auszubildenden stemmen. Weiteres Personal ist ausgefallen. Der Rundgang beginnt: Eine Wunde muss neu verbunden werden, ein Patient braucht Schmerzlinderung, eine Person wird aus dem OP abgeholt, Angehörige suchen Trost, und jemand braucht einfach nur ein Ohr zum Zuhören. Am besten alles gleichzeitig und dann klingelt auch noch das Telefon.

Leonie Benesch und Margherita Schoch in «Heldin» / © Filmcoopi
Das ist keine Dokumentation und doch ein realer Einblick. Viele Pflegende und Ärzt:innen bestätigen, wie authentisch der Alltag im Spital wiedergegeben wird. Die Kamera folgt Floria durch die sterilen Spitalflure, nah an Ihrer Seite, immer in Bewegung. Diese Perspektive lässt die Zuschauer*innen direkt teilhaben an der Anspannung, der Hektik, aber auch den stillen Momenten. Das Drehbuch verdichtet zahlreiche Situationen, ohne dass der Film überladen oder künstlich dramatisiert wirkt. Die Einstellungen und die Lichtgestaltung lassen das Spitalleben glaubhaft wirken. Kein Vergleich zum romantisierten und populären Genre-Krösus «Grey’s Anatomy» (2005– ). Floria Lind ist keine Heldin im klassischen Sinne, sondern eine Frau, die trotz Überlastung, Wut und Verzweiflung weitermacht.
«Der Film fängt all dies auf eindrückliche Weise ein und Leonie Benesch trägt den Film alleine, genauso wie eine alltägliche Heldin in ihrer Schicht auf der Pflegestation.»
Die italienisch-schweizerische Regisseurin Petra Volpe («Die göttliche Ordnung») schafft es, in der Inszenierung einen mahnenden Unterton mitschwingen zu lassen, ohne den Finger zu heben. Die Szenen sprechen für sich selbst: Pflegende werden zum Ventil für ungeduldige Patient*innen, für fehlende Informationen, für Ärzt*innen, die nicht erscheinen, überhaupt für die gesamte Situation. Trotz Stresses dürfen sie sich keine Fehler erlauben. Der Schrittzähler hat das Tageslimit längst überschritten. Sie sollen sich für jede Person Zeit nehmen, und das bitte immer schön freundlich.
Der Film fängt all dies auf eindrückliche Weise ein. Leonie Benesch («Das Lehrerzimmer») trägt den Film alleine, wie eine Alltagsheldin in ihrer Schicht auf der Pflegestation. Sie zeigt in 92 Minuten die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen: motiviert, freundlich, professionell, verzweifelt, traurig, erschöpft, gestresst und hoffnungsvoll. Eine starke schauspielerische Charakterdarstellung. Doch die Realität bleibt immer im Blick. Niemand schaut zu den Pflegenden, es gibt keine Toleranz für Wartezeiten, kein Verständnis dafür, dass sie auch Bedürfnisse, ein Privatleben oder auch mal einen schlechten Tag haben. Die physische und psychische Belastung ist hoch.

Leonie Benesch in «Heldin» / © Filmcoopi
Das Salär wird von Volpe, die auch das Drehbuch geschrieben hat, nicht direkt thematisiert. Aber es wird deutlich. Der Lohn, der Pflegenden wie Floria zugestanden wird, ist nicht monetär; und sie geniessen auch nicht das Ansehen von Ärzt*innen, die gerade ein Leben gerettet haben. Und auch einmal pro Jahrhundert vom Balkon aus beklatscht zu werden, ist kein angemessener Lohn. Und doch gibt es die kleinen Momente im Film, die zeigen, warum sich die Arbeit lohnt: im Lächeln einer Patientin, in einer Kinderzeichnung oder einfach in einem «Danke».
«Das Salär wird von Volpe, die auch das Drehbuch geschrieben hat, nicht direkt thematisiert. Aber es wird deutlich.»
Für den Film selbst könnte der Lohn noch einmal anders aussehen: Die Schweiz schickt «Heldin» nämlich ins Oscarrennen. Erstmals seit «Wolkenbruch» (2018) von Michael Steiner gibt es wieder Hoffnung auf eine Schweizer Nominierung für die renommierteste aller Filmauszeichnungen. Schon die damit verbundene Aufmerksamkeit hätte der Film verdient, als Anerkennung für ein Thema, das weit über die Leinwand – und die Schweiz – hinausreicht. Dafür klatschen wir gerne noch einmal Beifall.
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Filmfakten: «Heldin» / Regie: Petra Volpe / Mit: Leonie Benesch, Alireza Bayram, Jürg Plüss, Sonja Riesen / Schweiz, Deutschland / 92 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
«Heldin» ist mehr als ein Film über Pflege. Es ist ein Kommentar über unsere Gesellschaft – ein Blick in die Abendschicht einer Pflegefachfrau, die stellvertretend für ein ganzes Berufsfeld kämpft.










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