Idas Tagebuch dokumentiert das Leben der Borderline-Patientin Ida Storm und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Der Film bietet durch Idas eigene Aufnahmen ganz persönliche Einblicke in ihr Leben. Trotz der darin innewohnenden, beinahe schmerzhaften, Ehrlichkeit, schafft es der Regisseur August B. Hanssen, das Publikum vorsichtig optimistisch nach Hause gehen zu lassen.
Ida wird nächstes Jahr 30 Jahre alt. Vor gut zehn Jahren hat sie damit begonnen, ein Tagebuch zu führen. Ganz dem Zeitgeist des noch jungen 21. Jahrhunderts entsprechend, tat die junge Norwegerin dies jedoch nicht auf die herkömmliche, handschriftliche Weise, sondern nahm sich selbst mit ihrer Digitalkamera auf. Sie findet in der Kamera eine willige Zuhörerin, der sie jederzeit ihre Gedanken anvertrauen kann. Was Ida zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss ist, dass sie an einer Persönlichkeitsstörung leidet. Durch ihre Gemütsschwankungen, ihren Drogenkonsum und ihr selbstverletzendes Verhalten empfindet sie sich als „anders“, aber nicht als psychisch krank. Als sie während eines Klinikaufenthalts mit der Borderline-Diagnose konfrontiert wird, wird ihr bisheriges Leben deshalb in ein ganz anderes Licht gerückt. Im Film verfolgt man wie sich Ida durch dunkle Zeiten zurück ins Leben kämpft, strauchelt, wieder aufsteht und schliesslich sich selbst findet.
Idas Geschichte wird nahezu vollständig durch Ausschnitte aus Videos, die sie selber gedreht hat, erzählt. Aufnahmen aus dem fahrenden Auto wechseln sich ab mit Szenen vor dem Badezimmerspiegel oder auf dem Weg zum Briefkasten. Die Bilder sind meist verwackelt, aber immer echt. Dabei ermöglichen sie nicht nur einen sehr persönlichen Einblick in eine schwierig nachzuvollziehende Erkrankung, sondern zeigen hautnah, und das durchaus wortwörtlich, wie Ida ihre eigene Krankheit erlebt und wie sie von ihr geprägt wird. Die Tränen, offenen Worte sowie die fast schon herzzerreissende Ehrlichkeit der Protagonistin werden durch geschickte Schnitte zur Geschichte einer Frau, die sich, mit einem variierenden Ausmass an Sicherheit, aus den tiefsten Abgründen zurück ins Leben kämpft.
Dazu kommen vereinzelt eingestreute, zusätzliche Aufnahmen, die es einfacher machen, die zum Teil erschütternden Erkenntnisse einzuordnen und zu verdauen. Der Film lässt nämlich fast gar nichts aus. Man begleitet Ida in verschiedenste psychiatrische Abteilungen, sieht, wie die Medikamente nicht nur ihr psychisches Erleben, sondern auch ihr Äusseres verändern und erlebt mit, wie sie sich aufgrund von selbstverursachten Verletzungen selber ins Krankenhaus einweisen muss.
Der Film zeigt jedoch auch die guten Momente zwischen den Abstürzen. Man erhascht einen Blick auf eine Geburtstagsfeier oder sieht, wie Ida das erste Bad des Jahres geniesst. Diese Aufnahmen erfüllen zwei Aufgaben. Einerseits zeigen sie, wie sich Idas Erkrankung auch in glücklichen Momenten bemerkbar macht und ihren Freudensprüngen eine fast unnatürliche Höhe verleiht. So können aus kleinsten Ereignissen nahezu epische Erfolge werden. Andererseits, und darauf verweist Ida mehrmals explizit, dienen die festgehaltenen Glücksmomente auch dazu, dass sie ihr Ziel nicht aus den Augen verliert und den Kampf für das lebenswerte Leben immer weiterführt. Dabei hilft es ihr auch zu träumen, sagt Ida in einer einprägsamen Szene. Träumen sei sogar wichtiger, als dass die Träume tatsächlich in Erfüllung gehen. Diese Träume geben ihr Halt und schaffen es gleichzeitig, eine Brücke zum Zuschauer oder der Zuschauerin zu schlagen. Die meisten kennen das Gefühl, eine Beziehung zu wollen, oder können sich mit dem Wunsch, Kinder gross zu ziehen oder in einem Haus am Meer zu wohnen, identifizieren.
Damit bringt es Idas Tagebuch zustande, sowohl einen dokumentarischen Einblick in das Leben einer Borderline-Patientin zu geben als auch Parallelen zum Publikum aufzuzeigen, die das Verständnis für die komplexe Krankheit und die Empathie für die Betroffenen fördern. Schliesslich verlässt man das Kino mit dem guten Gefühl, genau wie Ida, nicht mit den harten Tatsachen alleine gelassen worden zu sein. Stattdessen verspricht man sich, die schönen Momente des Lebens zu geniessen. Carpe diem auf Norwegisch, sozusagen.
Unter dem Titel Being Ida hat VICE eine gekürzte Version des Films auf YouTube gestellt. Den gesamten Film kann man sich hier auf Vimeo mieten oder kaufen: https://vimeo.com/ondemand/idasdiary/140785491
Im folgenden Artikel dazu findet man auch ein kurzes Interview mit der Protagonistin Ida Storm.
Bild- und Trailerquelle: idasdagbok.no
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