Der ungeschönte Blick in eine verschlossene Gemeinschaft, wo ein göttlich legitimiertes Weltbild auf dem Rücken der Frauen verwirklicht wird, ist schon lange überfällig. In einer strenggläubigen jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft, mitten in New York, versuchen sich die Mitglieder vor den modernen Einflüssen von aussen zu schützen, um den Vorgaben der heiligen Schriften zu entsprechen. Der Preis der Selbstbestimmung ist so hoch, dass es nur wenige wagen, aus dieser Community zu fliehen. Die Miniserie «Unorthodox», nach der gleichnamigen Autobiografie von Deborah Feldman, erzählt von einer jungen Frau, die aus dieser Gemeinschaft ausbricht und sich in ein neues Leben kämpft.
In der strenggläubigen jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft der Satmarer Chassidim in Williamsburg, New York, ist das Leben der Community vorgegeben, und ihre Mitglieder sind vom Rest der Gesellschaft isoliert. Heimliche Fluchten in eine Bibliothek lassen die junge Esty (Shira Haas) zwar vermehrt am Glauben zweifeln; doch der Preis eines Ausbruchs – der Verlust des Schutzes der Gemeinschaft, in die sie hineingeboren wurde – ist zu hoch. Der Druck der Gemeinde nimmt zu, da sie noch immer nicht schwanger ist, obwohl sie seit fast einem Jahr (zwangs-)verheiratet ist.
«Nur Gottgefälligkeit kann einen neuen Holocaust verhindern, also gilt es, Nachkommen zu zeugen, um die Lücken der getöteten Juden zu schliessen.»

Yakov und Esty
Kinder zu gebären ist Estys Aufgabe als Ehefrau. Je mehr, desto besser, denn was die Nazis zerstörten, soll hier in New York neu erblühen: Nur Gottgefälligkeit kann einen neuen Holocaust verhindern, also gilt es, Nachkommen zu zeugen, um die Lücken der getöteten Juden zu schliessen. Da Estys Mann Yakov (Amit Rahav) unter der Woche die heiligen Schriften studiert, sind die ehelichen Pflichtübungen auf freitags beschränkt, solange die Frau «rein» ist, also ihre fruchtbaren Tage hat. Probleme bezüglich des komplizierten Aktes der Kindeszeugung bespricht Yakov mit dem Rabbi und seiner Mutter.
Die vierteilige Miniserie «Unorthodox» beginnt mit Estys spektakulärer Flucht aus ihrem unterdrückten Dasein nach Berlin, wo sie einer multikulturellen Gesellschaftt begegnet und in ein neues, unbekanntes Leben eintaucht. Dieses befreiende Gefühl wird auch bildlich perfekt umgesetzt, als sie sich zögerlich in den Berliner Wannsee hineintraut und sich samt Kleidung im Wasser treiben lässt und mit ihrer Perücke, die sie dabei abstreift, auch ihr bisheriges Leben hinter sich lässt.
Es dauert aber nicht lange, bis der Rabbi Yakov und dessen Cousin Moishe (Jeff Wilbusch) nach Deutschland schickt, um Esty in die Gemeide zurückzuholen. Moishe will dabei wiedergutmachen, dass er selber schon einmal einen Fluchtversuch tätigte. So werden sowohl er als auch Esty mit der Tatsache konfrontiert, dass sie in der Vergangenheit feststecken und dass sie diese niemals loswerden können. Esty ist aber zuversichtlich, dass es immerhin möglich ist, auch in der Gegenwart zu leben.
Die Serie, die auf Englisch und Jiddisch realisiert ist, betritt nicht nur sprachlich neues Terrain: Die Unterdrückung der Frauen in den religiös konservativen Gemeinschaften sowie die Allmacht der Rabbiner werden ungeschönt dargestellt, was der Geschichte Authentizität verleiht und man mit Spannung in die jeweils nächste Folge eintaucht.
Die Unterdrückung der Frauen in den religiös konservativen Gemeinschaften sowie die Allmacht der Rabbiner werden ungeschönt dargestellt, was der Geschichte Authentizität verleiht und man mit Spannung in die jeweils nächste Folge eintaucht.
Die Geschichte von Estys Flucht und ihrem neuen Leben in Berlin könnte in unendlich vielen Episoden weitererzählt werden. Die vier Folgen dieser Miniserie haben im Wesentlichen die wichtigsten Kapitel abgedeckt. Es mag vielleicht nicht realistisch sein, dass man, wie in der Serie gezeigt, das gesamte Leben in zwei bis drei Tagen komplett neu ordnet, aber die Intensität, mit der die Erinnerungen der jungen, ja jugendlichen Esty in Rückblenden preisgegeben werden, machen die Darstellung der Neuausrichtung zur Nebensache. Und das ist gut so.

Esty und ihr neues Leben in Berlin
Als weiterführende Nachschlagewerk seien hier die autobiografischen Bücher von Deborah Feldman empfohlen: In «Überbitten» (2017) «Unorthodox» (2012), auf dem die von Maria Schrader («Vor der Morgenröte») inszenierte Serie basiert, schreibt sie über ihre Kindheit, Jugend und ihren Neubeginn in Deutschland.
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Bild- und Trailerquelle: Netflix
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