Fünf Kinder erzählen von der Trennung ihrer Eltern: «Where We Belong» nimmt sich feinfühlig des schwierigen Themas Scheidung an – ein grossartiger Film über Umbrüche im Leben.
Vater, Mutter, Kind(er). So sieht Familie aus – allerdings eher in den Köpfen als in der Realität. Jährlich lassen sich in der Schweiz die Eltern von rund 12’000 Kindern scheiden, nicht eingerechnet Trennungen von unverheirateten Paaren mit Kindern. Fünf solche «Scheidungskinder» kommen im neuen Dokumentarfilm von Jacqueline Zünd («Almost There») zu Wort: die Zwillinge Alyssia und Ilaria, Carleton und seine Schwester Sherazade (Letztere bereits im Teenagalter), sowie Thomas, kurz vor der Volljährigkeit.
Ehrlichkeit
Sie alle erzählen in «Where We Belong» vor der Kamera, weshalb sich ihre Eltern getrennt haben, welche Herausforderungen das für sie bringt und wie sie damit umgehen. Das tun sie mit grosser Ehrlichkeit und so viel Scharfblick, wie man ihn Kindern selten zutraut – vielleicht weil man ihnen zu selten zuhört.
Die Interviewsequenzen, bei denen die Kinder in neutralem, mit Licht gestaltetem Setting direkt in die Kamera blicken, wechseln sich ab mit Szenen aus den Lebenswelten der Protagonist*innen. Allerdings wirken diese seltsam entrückt: Rummelplatz, Bowlingbahn, Steinbruch – die Schauplätze wurden sorgfältig ausgewählt und inszeniert. «Where We Belong» ist ein Dokumentarfilm, die Protagonisten sind keine Schauspieler, ihre Geschichten sind real – aber Zünds Inszenierung ist unübersehbar. Und die Inszenierung gelingt ihr ausserordentlich gut. Licht, Farben und Thomas Kuratlis Musik machen die Stimmung der Kinder greifbar: ihre Einsamkeit, Trauer und Wut, aber auch die Kraft und den Willen, mit schwierigen Situationen umgehen zu können, selbst über ihr Leben zu bestimmen.
«Die Porträtierten erzählen mit so viel Scharfblick von der Trennung ihrer Eltern, wie man ihn Kindern selten zutraut – vielleicht, weil man ihnen zu selten zuhört.»
Die Erwachsenen kommen dabei nicht nur nicht zu Wort; sie sind auch nicht zu sehen. Manchmal bewegen sie sich schemenhaft im Hintergrund; einmal, bei einer Übergabe der Zwillinge von Mutter an Vater auf einer Autobahnraststätte, werden ihnen die Köpfe abgeschnitten. So sind die Eltern wohl auch in manchen Punkten «nicht im Bild», was die Gefühle und Gedanken ihrer Kinder angeht. Deren Schilderungen der Umstände machen deutlich, wie viel sie über menschliches Zusammenleben, die Liebe, Familie und ihre Möglichkeiten, die Welt zu gestalten, nachgedacht haben.
«Where We Belong» zeigt, dass eine Scheidung nicht nur etwas ist, das Kindern passiert
«Where We Belong» zeigt, dass eine Scheidung nicht nur etwas ist, das Kindern passiert. Alle Porträtierten nehmen sich selbst durchaus auch als aktiven Part wahr. Das ist manchmal schmerzhaft mitanzusehen und -anzuhören, etwa wenn die Kinder – meist in einem Nebensatz – den Grund der Trennung doch bei sich vermuten. Besonders beeindruckend sind aber die Sequenzen, in denen sie davon erzählen, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen, sich selbst zu beruhigen und zu bestärken wissen, ihre eigene Meinung bilden und vertreten. Das macht «Where We Belong» zu einem Film über das Leben und seine Umbrüche im Allgemeinen und nicht nur über den «Sonderfall» Scheidung.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.11.2019
Filmfakten: «Where We Belong» / Regie: Jacqueline Zünd / Mit: Alyssia Pascale, Ilaria Pascale, Carleton Gogel, Sherazade Gogel, Thomas Kurmann / Schweiz / 78 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
«Where We Belong» lässt ausschliesslich Kinder zu Wort kommen und inszeniert sie und ihre Gefühlswelten gekonnt.
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