Der «Ma vie de Courgette»-Macher Claude Barras wandelt auf den Spuren von Bruno Manser und erzählt mit seinem zweiten Langfilm vom Umgang des Menschen mit der Natur. Der Schweizer Stop-Motion-Film «Sauvage» macht mit überwältigenden Bildern seine erzählerische Mittelmässigkeit wett.
Mit «Ma vie de Courgette» eroberte der Schweizer Filmemacher Claude Barras 2016 die Animationswelt im Sturm – und nicht nur das: Der berührende Film über den kleinen Waisenjungen Courgette wurde für einen Oscar und einen Golden Globe nominiert und gewann auch sonst zahlreiche Preise. Nun, acht Jahre später, doppelt der Walliser mit der familienfreundlichen Ökofabel «Sauvages» nach, die ebenfalls als Stop-Motion-Film inszeniert ist.
Diese erzählt von der jungen Kéria (Stimme: Babette De Coster), einer Angehörigen der auf der südostasiatischen Insel Borneo indigenen Penan. Anders als viele ihrer Verwandten lebt sie mit ihrem Vater (Stimme: Benoît Poelvoorde) in der Stadt und nicht im Regenwald. Als sie ein kleines verwaistes Orang-Utan-Junges findet und aufzieht, wird Kéria nicht nur mit ihrer eigenen Geschichte und ihren Wurzeln konfrontiert, sondern auch mit dem Kampf für das Überleben des Regenwalds.
Mehr als zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit der Schweizer Bruno Manser bei seinem Kampf gegen die Abholzung des Regenwalds und für das Überleben der Penan auf Borneo verschwand; 2005 wurde er nach fünf Jahren endgültig für tot erklärt. Barras, offensichtlich beeindruckt vom Einsatz seines Landsmanns, nimmt sich nun also dessen Botschaft an und macht sie zum Kernthema seines Animationsfilms, den er als Appell an sein junges Publikum verstanden haben will.

© Frenetic Films AG
Zumindest diesen Wunsch dürfte sich der Regisseur mit «Sauvages» erfüllt haben. Gleichwohl hätte dem Film ein nuancierteres und vor allem weniger didaktisches Drehbuch gutgetan. In seinem Drang, das Publikum um jeden Preis für sein Anliegen zu gewinnen, greift der Walliser nämlich immer wieder auf altbekannte Erzählmuster zurück, ohne ihnen viel Neues zu entlocken. So ist «Sauvages» ein glattgeschliffenes, bisweilen etwas plumpes Werk, dem die Ecken und Kanten fehlen, die «Ma vie de Courgette» so besonders machten.
Dass ein Film über ein indigenes Volk in Borneo komplett in der Schweiz – mit zusätzlichen Geldern aus Belgien und Frankreich – produziert wurde, und das unter der Regie eines weissen Schweizers, sorgt verständlicherweise auch für Stirnrunzeln. Trotz seiner Bemühungen, den Penan durch Einbezug von Vertreter*innen in die Entstehung des Films gerecht zu werden dürfte sich Barras vom Vorwurf der kulturellen Aneignung vermutlich nicht so richtig freistrampeln können. Auch der provokative Titel «Sauvages» – der im Film klar auf die den Regenwald abholzenden Industriellen gemünzt wird, aber dem dennoch ein gewisser kolonialer Dünkel anhaftet – hätte dem Film durchaus auch um die Ohren fliegen können.
«Letzten Endes ist es dann aber doch in erster Linie Barras‘ Vision, die hier umgesetzt wird – und die darüber hinaus in sämtlichen wichtigen Positionen, sogar bei den Synchronstimmen, von Nicht-Penan besetzt wurde.»
Der Film gibt sich zwar viel Mühe, die Problembereiche ähnlicher exotisierender «White Saviour»-Erzählungen zu umschiffen – die einzige weisse Figur im Film ist eine Nebenfigur, der wenig Bedeutung zugeschrieben wird –, und meistens stellt er sich dabei auch ganz geschickt an. Letzten Endes ist es dann aber doch in erster Linie Barras‘ Vision, die hier umgesetzt wird – und die darüber hinaus in sämtlichen wichtigen Positionen, sogar bei den Synchronstimmen, von Nicht-Penan besetzt wurde.

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«So ist ‹Sauvages› wahrscheinlich der schönste Schweizer Animationsfilm überhaupt – und ein Werk, das Hoffnung für das hiesige Trickfilmschaffen macht.»
Während sich Barras damit schwertut, seine Begeisterung für die Natur und den Regenwald erzählerisch zu vermitteln, gelingt ihm das umso besser in der Sprache der Animation. Der Dschungel wird in «Sauvages» zu einem eigenständigen Akteur, der die Figuren – und uns mit ihnen – richtiggehend dazu einlädt, seine Geheimnisse zu erkunden. Dass das Budget des Films im Vergleich zu «Ma vie de Courgette» um rund die Hälfte gestiegen ist – für den Film wurde in Martigny sogar ein kleiner Studiokomplex mit 50 Angestellten und riesigen Sets geschaffen –, merkt man dieser Ökofabel mit ihren detailverliebten Sets und der liebevollen Animation zu jedem Zeitpunkt an. So ist «Sauvages» wahrscheinlich der schönste Schweizer Animationsfilm überhaupt – und ein Werk, das Hoffnung für das hiesige Trickfilmschaffen macht. Schade, kann Claude Barras‘ Regenwaldabenteuer erzählerisch nicht ganz mithalten.
Über «Sauvages» wird auch in Folge 81 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 6.2.2025
Filmfakten: «Sauvages» / Regie: Claude Barras / Mit: Babette De Coster, Martin Verset, Benoît Poelvoorde, Lætitia Dosch, Pierre-Isaïe Duc, Michel Vuillermoz, Gaël Faye, Sailyvia Paysan / Schweiz, Frankreich, Belgien / 87 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Frenetic Films AG
«Sauvages», der wahrscheinlich schönste Schweizer Animationsfilm überhaupt, punktet mit bezaubernden Bildern und charismatischen Figuren, die einen das plumpe Drehbuch etwas vergessen lassen.
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