Am 11. und 12. Mai ist das 5. Mobile Motion Film Festival über die Leinwand des Zürcher Kinos Kosmos gegangen. 14 auf dem Smartphone gedrehte Kurzfilme kämpften um die Awards, im Klub wurde über Vor- und Nachteile des «Mobile Journalism» diskutiert und anschliessend bis in die Morgenstunden getanzt. Die Message dahinter: Do it, don’t overthink it.
Die Idee, einen Film auf dem Smartphone zu schiessen, wirkte vor einigen Jahren noch ein wenig lächerlich. Heute ist es nicht nur normal, dass jeder mit seiner technischen besseren Hälfte zu jeder Zeit Fotos und kleine Filmchen schiesst. Mit der Handykamera können auch Filme aufgezeichnet werden, die es wie grosse Hollywoodproduktionen verdienen, auf Grossleinwand in einem vollen Kinosaal präsentiert zu werden. Diesen Trend feierte das Mobile Motion Film Festival (kurz MoMo) mit ausverkauften Screenings, Workshops und Talks.
Andrea Holle und Simon Horrocks begrüssen zur 5. Ausgabe des MoMo.
«Black Mirror» à la Smartphone
Zur Eröffnung des Festivals zeigt Mitbegründer Simon Horrock zwei Folgen seiner Science Fiction-Serie «Silent Eye». Dem Zuschauer wird einiges an Aufmerksamkeit abverlangt, um die Regeln der Zukunftswelt, in der «Silent Eye» spielt, zu verstehen. Horrocks verzichtet auf «over explaining», wie es bei kommerziellen Serien grosser Produktionsfirmen heutzutage die Regel ist und lässt den Zuschauer so eine Weile lang selbst rätseln. Die Serie erinnert ein wenig an die dystopischen Zukunftsskizzen, die die Erfolgsserie «Black Mirror» entwirft, nur ohne das Dutzend script consultors im Hintergrund und ohne riesige Kamera zwischen Regie und Schauspieler. Das Spiel gestaltet sich so frisch und experimentell, sehr nahbar und real. Der Grad der Illusion, die seit jeher das Ziel des narrativen Films ist, nimmt so zwar ab, doch ist «Silent Eye» auch mit ganz anderen Absichten verfilmt worden: Als Experiment mit minimaler Crew und maximaler Spontanität. Und so haben sich auch die Schauspieler gefühlt: Ohne die ganze Aufzeichnungstechnik habe es sich angefühlt, wie auf einer Theaterbühne zu stehen, resümiert der internationale Cast.
Eine Liebe, die allem trotzt
Beim anschliessenden Screening der Kurzfilmblöcke «Personal Journeys» und «Women in three acts» entfalten sich die Auswirkungen der Smartphone-Filme nochmals stärker. Gezeigt wird ein bunt gemischtes Programm aus allen Ecken der Welt. Besonders eindrücklich ist Tara Hakims Dokufilm «Teta, Opi And Me», in dem sie ihre im Jordan wohnenden Grosseltern besucht und sie zu ihrer Liebesgeschichte befragt. Was anfangs wie ein leichtes Urlaubsvideo aussieht, entwickelt sich in eine emotionale Spurensuche der eigenen Biografie. Taras österreichische Grossmutter Teta hat ihren Ehemann in den 1960er-Jahren in Wien kennengelernt und sich sofort in ihn verliebt, worauf sie beinahe von ihrem Vater verstossen wurde: Denn ihr Herzblatt stammt aus Palästina – Ein Dorn im Auge des vom Nationalsozialismus vergifteten Vater. Kein Auge, weder vor der Kamera noch im Saal bleibt bei den sensiblen Interviewaufnahmen trocken und die Message, die «Teta, Opi And Me» transportiert, ist die wohl universalste und schönste überhaupt: Liebe überdauert Krieg und Fremdenhass.
Bei jedem Screening darf für den besten Film abgestimmt werden.
Grosse Frauen vor kleinen Kameras
Besonders stark sind die Filme der Reihe «Women In Three Acts». Die Säureattentate auf junge Frauen im Iran werden mit konsequent durchgeführter Ästhetik in «A Pair Of Horns On A Female Homo Sapiens» von Saleh Kashefi mit einer Enthüllung, die Herzen einfrieren lässt, thematisiert.
«Maria On A Wire» von Christophe Granger spielt in einer Wohnung mit einer Figur, die er mit seiner Lebenspartnerin besetzte, die zuvor noch nie vor der Kamera gestanden ist. Im klaustrophobischen Porträt kämpft eine Mutter mit der Justiz und den malmenden Zahnrädern des bürokratischen Systems um das baldige Wiedersehen mit ihrem Kind, das ihr wegen ihres zwangsneurotischen Verhaltens abgenommen wurde. Wer ist hier wessen Opfer, fragt der Film das Publikum, wenn er die Alltagsroutine der niemals ruhenden Frau aufzeigt. Granger meint im anschliessenden Q&A etwas schüchtern, er habe seinen ersten Film alleine drehen wollen, um sich ein Scheitern seines Projekts erlauben zu können – dieses ist aber grossartig cinematographisch und sehr berührend.
Sehr bildgewaltig kommt «She Rose» in schwarz-weiss und mit vielen Detail- wie Slow Motion-Aufnahmen daher. Die abstrakte Erzählung handelt vom Entkommen des eigenen Schattens, der einem jungen Mädchen – stellvertretend für alle Mädchen – einreden will, nichts wert zu sein, bis diese sich im Verlaufe des Erwachsenwerdens gegen dieses böse Alter Ego zur Wehr setzt und es mit einem kräftigen Schlag K. O. haut. Eine wunderbar sinnliche feministische Parabel.
Die Filme wirken, denn sie sind nicht für das Massenpublikum gedreht, sondern sind die direkte Projektion aus den Köpfen einzelner kreativen Individuen, die ihre Geschichten auf die Leinwand brennen. Eine sprudelnde Vielfalt von audiovisuellen Werken ergibt sich – genug bekommen davon geht fast gar nicht.
Smartphone: Fluch oder Segen für den Journalismus?
Der Journalist und Produzent Rob Holub leitet dann das gebannte Publikum durch den Talk «Mobile Journalism – The Future Of Storytelling», in dem Claudia Stahel und Marcel Anderwert vom SRF sowie Phil Jaycob von der ZHdK über die zunehmende Mobilisierung des journalistischen Filmedrehens diskutierten. Während Jaycob als jüngster Vertreter der Diskutanten findet, dass sich gute Qualität nicht durch das Equipment sondern die Person dahinter auszeichnet, legen die beiden beim SRF arbeitenden Gesprächspartner besonders Wert auf die Schnelligkeit, die eine in Dimension verkleinerte Ausstattung ermöglicht: Beim langwierigen Aufbauen von Kamera, Mikrofon und Licht gehen schnell die besten Momente bei einer Berichtserstattung vor Ort verloren, während das Smartphone innert Millisekunden aufzeichnen kann. So zeichnete Marcel Anderwert während des WEF 2018 in Davos mit seinem Smartphone die Ankunft von Donald Trump auf, an den er ganz nah kam und auf seine Frage, was Trumps Message an Davos sei, prompt ein «Peace and Prosperity» als Antwort des Präsidenten bekam. Die Aufnahme, nur möglich gemacht durch das leichte Equipment, wurde in die Berichte zahlreicher Fernsehsender implementiert. Claudia Stahel schätzt ebenfalls die Verwendungsmöglichkeiten des Smartphones als Kamera, mit dem sie für ihre Berichte Aufnahmen schiessen konnte, die mit teurem Equipment zu riskant gewesen wären. Der Fernsehzuschauer kann zwischen Smartphone- und Kameraaufzeichnung meist auch gar nicht unterscheiden. Doch der Kritikpunkt am Smartphone ist nicht zu ignorieren, und wir streifen hierbei nochmals dystopische Zukunftsvisionen von «Black Mirror»: Jeder kann mit dem Smartphone jeden filmen, ohne überhaupt beachtet zu werden. Wie sehen hier die Rechte der Privatpersonen aus? Wie viel Zensur ist notwendig, wo befindet sich die ethischen Grenze, die zwischen filmbar und nicht filmbar gezogen werden muss – Und wer zieht diese? Eine wichtige Frage, denn laut Prognose werden in den nächsten vier Jahren 80% aller News online in Videoform bereitgestellt werden.
Die Diskutanten: Phil Jaycob, Claudia Stahel, Marcel Anderwert und Rob Holub (v. l. n. r.)
Trophäenregen an Einzelne und alle
Das Publikum zieht in das nächste Screening, ich streife mir das Kosmos-Shirt über und tausche das «im Kinosaal» gegen das «hinter der Bar» ein, wo ich noch mit einigen Schauspielern plaudere, bevor es zur Award-Zeremonie einen Stock nach oben geht. Mit Drumroll aus den Publikumrängen verkündet die Festivalgründerin Andrea Holle die diesjährigen Gewinner, die eine MoMo-Trophäe mit nach Hause nehmen dürfen. Als Abräumer des Abends gelten «Mary On A Wire», der den Award für Best Fiction sowie Grand Jury Prize gewann sowie «Teta, Opi and Me» von Tara Hakim, der jeweils den Best Documentary Award und Audience Award für sich beansprucht. Geschichten, die die Filmemacher bewegten und auf besonders unmittelbaren Weg ihr Ziel auf der grossen Leinwand gefunden haben und sich in den Köpfen der Zuschauer eingeprägt haben, sind aber alle Filme.
Tara Hakim nimmt ihre Trophäe entgegen.
«Jedes MoMo hat seine eigene, ganz spezielle Stimmung. Die 5. Ausgabe war für mich eine Klasse für sich – wahrscheinlich mein ganz persönliches Lieblings-MoMo. Noch nie sass ich so berührt im Kinosessel, als ich unsere sorgfältig ausgewählten Filme endlich dem Publikum zeigen durfte. Die Menschen, die Filme, die Location, es hat einfach alles perfekt zusammen gepasst. Jeden einzelnen Besucher, jede Besucherin hätte ich am liebsten spontan umarmt, so fest habe ich mich gefreut, dass sie MoMo am Wochenende einen derart schönen Glanz verliehen haben.»
–Andrea Holle, Festivalgründerin
2 Comments
Dear Andrea,
There is a location error in the Tepa, Opi and me movie review. Indeed, Tara’s grandparents live in Jordan and not in Israel. For information, Tara’s grandfather is Palestinian, and it was his grandmother’s dad who thought he was Jewish. There is a big difference, and it’s very important for the understanding of the film. With all my respect and long life to the festival.
Eric Provini
Thank you for clarification, Eric! Maxiumum Cinema has corrected it. All the best and lots of love from Switzerland! Andrea