Erotikthriller gibt es viele, und oft erzählen sie von erfolgreichen CEOs, die Affären mit jüngeren oder hierarchisch untergeordneten Partnern beginnen. Meist sind es jedoch Männer, die in der Machtposition stehen und diese potenziell ausnutzen. In «Babygirl» dreht Regisseurin Halina Reijn diese Dynamik fernab der gängigen Klischees um und rückt eine Perspektive in den Fokus, die in der Popkultur und der gesellschaftlichen Debatte bislang nur wenig Beachtung findet: die sexuellen Bedürfnisse und Fantasien von Frauen.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Halina Rejin («Bodies Bodies Bodies») mit Macht und Manipulation im Kontext der weiblichen Sexualität auseinandersetzt. Ihr erster Spielfilm, «Instinct» (2019), handelt von einer Gefängnistherapeutin, die sich auf ein Verhältnis mit einem verurteilten Sexualstraftäter einlässt – eine deutlich düsterere Prämisse, als diejenige in «Babygirl», die aber im Kern sehr ähnlich ist: Es geht um Kontrolle und Machtverhältnisse aus einer weiblichen Perspektive – Themen, die Reijn selbst zutiefst faszinieren und die, wie sie selber sagt, auch in ihren zukünftigen Werken eine zentrale Rolle spielen werden.
Romy (Nicole Kidman) hat alles im Leben: Sie ist Gründerin und CEO eines erfolgreichen Robotikunternehmens, glücklich verheiratet und Mutter von zwei Töchtern. Doch in ihrer Ehe gibt es eine Leerstelle, über die sie nie gesprochen hat: In 19 Jahren hat ihr Mann sie noch nie zum Höhepunkt gebracht. Diesen Umstand verbirgt sie dank überzeugender Fake-Orgasmen und nimmt sich des Problems stattdessen im Nachhinein selbst an, mithilfe von BDSM-Videos im Internet. Romy ist sich ihrer sexuellen Fantasie bewusst, wagt es jedoch nicht, diese auszusprechen, geschweige denn auszuleben – dafür fehlt ihr der Raum. Dies ändert sich, als sie in ihrer Firma dem neuen Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) begegnet. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Affäre, in der sich Romy ihren Bedürfnissen, langsam aber sicher hingeben kann.

Harris Dickinson und Nicole Kidman in «Babygirl» / © Praesens-Film AG
Grund dafür ist nicht zuletzt die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird. Dass die weibliche Sexualität weniger diskutiert wird als die männliche, ist kein Geheimnis. 1973 erschien Nancy Fridays Buch «My Secret Garden», worin sie die sexuellen Fantasien von Frauen in ihrem Umfeld sammelte und veröffentlichte – ein Aufreger damals, war man(n) sich doch sicher, dass Frauen keine solche Fantasien hatten. 50 Jahre später tat ihr dies Schauspielerin Gillian Anderson («The X-Files», «Sex Education») gleich und sammelte für ihr Buch «Want» erneut die anonymen sexuellen Fantasien von Frauen. Hunderte von Einreichungen handelten dabei vom Thema Macht und Unterwerfung, oder eben dem faszinierenden Tanz dazwischen, wie Anderson es beschrieb – genau jene Dynamik, die «Babygirl» in den Mittelpunkt stellt.
«Halina Reijn umschifft die potenzielle Stolperfalle des Klischees der weiblichen Unterwerfungsfantasie meist geschickt. Zwischen Romy und Samuel entspinnt sich ein komplexes Machtspiel – ein Wechselspiel zwischen Dominanz und Hingabe.»
Halina Reijn umschifft die potenzielle Stolperfalle des Klischees der weiblichen Unterwerfungsfantasie meist geschickt. Zwischen Romy und Samuel entspinnt sich ein komplexes Machtspiel – ein Wechselspiel zwischen Dominanz und Hingabe. Obwohl Romy hierarchisch und altersmässig über Samuel steht und ihre Position mühelos ausnutzen könnte, ist es in ihren intimen Begegnungen er, der die Kontrolle übernimmt und ihr erlaubt, eine andere Seite von sich zu erkunden. Doch ob sie ihm wirklich überlegen ist, bleibt fraglich – Samuel selbst zweifelt daran und bringt es in Reijns Drehbuch auf den Punkt: «Mit einem Anruf könnte ich dein ganzes Leben zerstören.»
Besonders spannend ist hier auch der Generationenunterschied. Samuel gehört einer jüngeren Generation an, die sich weniger vor althergebrachten Hierarchien beugt und in ihrer Sexualität früher selbstbewusst auftritt. Diese Dynamik spiegelt sich nicht nur in der Beziehung zwischen Romy und Samuel wider, sondern auch in Romys Tochter (Esther McGregor), die ganz offen mit ihrer Mutter darüber spricht, dass sie mehrere Sexualpartner hat.

Harris Dickinson in «Babygirl» / © Praesens-Film AG
Einen offensichtlichen Höhepunkt findet der Film in der mittlerweile auch auf Social Media beliebten Rave-Szene. Inmitten flackernder Strobolichter, pulsierender Bässe und verschwitzter Körper betritt Romy den Technoclub, gekleidet in ihr gewohntes Business-Outfit – ein scharfer Kontrast zur ekstatischen Atmosphäre um sie herum. Die ungezähmte Energie des Clubs unterstreicht, dass Romys Verlangen weit über das Klischee der Unterwerfung hinausgeht. Es geht um das Loslassen, das Abgeben von Kontrolle – etwas, das in ihrem Alltag kaum Raum findet. Für einen Moment scheinen die Musik, das Chaos und die völlige Auflösung ihr genau das zu bieten, wonach sie sich insgeheim sehnt.
«Die ursprünglich so fein nuancierte Machtdynamik, die ‹Babygirl› so besonders macht, gerät ins Wanken, weil Reijn in kurzer Zeit zu viele Nebenplots aufgreift.»
Allerdings verliert sich der Film stellenweise in der eigenen Erzählung. Die ursprünglich so fein nuancierte Machtdynamik, die «Babygirl» so besonders macht, gerät ins Wanken, weil Reijn in kurzer Zeit zu viele Nebenplots aufgreift. Plötzlich rückt Romys Kindheit in den Fokus – ein Aspekt, der für die Geschichte kaum Relevanz hat. Gleichzeitig liegt der Schwerpunkt zunehmend auf den Auswirkungen der Affäre auf ihre Ehe, während die möglichen Konsequenzen für ihr Geschäftsleben ins Leere laufen.
Ob dies ein Schwachpunkt des Films ist, bleibt Ansichtssache. Einerseits ist es erfrischend, nicht erneut die altbekannte Erzählung einer Frau zu sehen, die wegen ihrer Sexualität alles verliert. Andererseits hätte es dem Film gutgetan, sich konsequenter auf die zentrale Machtdynamik zwischen Romy und Samuel zu konzentrieren, anstatt zu viele Themen nur anzudeuten, ohne sie gründlicher auszuarbeiten.

Nicole Kidman in «Babygirl» / © Praesens-Film AG
«Reijns Film greift ein wichtiges Thema auf – die komplexen Machtdynamiken in Beziehungen, die zwischen Kontrolle, Hingabe und dem Streben nach Freiheit hin- und herschwanken, und das alles vor dem Hintergrund der weiblichen Sexualität.»
Alles in allem hält «Babygirl» das, was man sich davon verspricht: Reijns Film greift ein wichtiges Thema auf – die komplexen Machtdynamiken in Beziehungen, die zwischen Kontrolle, Hingabe und dem Streben nach Freiheit hin- und herschwanken, und das alles vor dem Hintergrund der weiblichen Sexualität. So schafft es Reijn, dieses Thema auf nuancierte Weise aufzugreifen, ohne in unnötige Klischees abzudriften. Es ist ein gleichermassen tiefgründiger als auch unterhaltsamer Film mit grossartiger Besetzung, dem es durchaus zu wünschen gewesen wäre, in der laufenden Awards-Saison mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.
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Kinostart Deutschschweiz: 30.1.2025
Filmfakten: «Babygirl» / Regie: Halina Reijn / Mit: Nicole Kidman, Harris Dickinson, Sophie Wilde, Antonio Banderas / USA / 115 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Praesens-Film AG
Halina Reijns «Babygirl» widmet sich gekonnt dem Zusammenspiel von weiblicher Sexualität und Machtverhältnissen – in einem Kontext, der in Erotikthrillern dieser Art oft zu kurz kommt.
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