Das 14. Zurich Filmfestival ist zu Ende, 162 Filme flimmerten in der Limmatstadt über die Leinwand und Stars wie Johnny Depp, Judi Dench oder Viggo Mortensen flanierten über den grünen Teppich. Hier zeigen unsere Maximum Cinema Redakteurinnen und Redakteure ihre persönlichen 10 Film-Highlights des #ZFF2018:
1. «Matangi / Maya / M.I.A.» von Steve Loveridge
Musikerbiografien gibt es schon sehr viele auf dem Filmmarkt und die meisten erzählen zumindest vom narrativen Aufbau her die gleiche Geschichte (Underground-Konzerte in der Stammbar – Höhenflug in den Starhimmel – Tiefensturz in die Alkohollache). Bei «Matangi / Maya / M.I.A.» lässt sich dieser Dramaturgiebogen zwar leicht abgeändert auch entdecken (in der Alkohollache landete sie aber immerhin nie), dennoch geht das Found-Footage-Biopic über die Biografie eines talentierten Individuums hinaus. Als Tochter des Gründers der tamilischen Widerstandsorganisation EROS wandelt die in Sri Lanka geborene und in London aufgewachsene Musikerin ihre politische Message in Kunst, wird von der Presse immer wieder in die Mangel genommen und kämpft provokativ gegen den Krieg. «Matangi / Maya / M.I.A.» reist der Sängerin auf der Suche nach ihrer Herkunft von London in das ärmliche Sri Lanka hinterher, begleitet sie an Auftritte vor Millionenpublikum und betrachtet die politischen Kontroversen so lebensnahe, dass man am Ende des Filmes das Gefühl hat, selbst M.I.A.s beste Freundin zu sein. Lola Funk
2. «Life Itself» von Dan Fogelman
Dan Fogelman hat sich vor allem als Drehbuchautor grosser Filme («Cars», «Crazy, Stupid, Love») einen Namen gemacht.Nun nimmt er zum zweiten Mal auf dem Regiestuhl Platz. «Life Itself» ist ein überbordendes und überraschendes Werk, wie es nur ein Drehbuchautor konzipieren kann – ein herrlich durchgeknallter Film, der zwischen den Genres hin- und herspringt und der scheinbar nicht weniger will, als mal eben die Welt zu erklären. Ob das Fogelman gelingt, muss ein jeder für sich selbst entscheiden, aber das mit Oscar Isaac, Olivia Wilde und Antonio Banderas starbesetzte Melodrama kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Owley Samter
3. «Roma» von Alfonso Cuarón
Alfonso Cuaróns erster Film seit dem siebenfachen Oscargewinner «Gravity» erinnert auf atemberaubende Art und Weise daran, wozu das Kino fähig ist. Mit grandiosen Schwarzweissbildern und überwältigendem Sounddesign erweckt Cuarón in «Roma» das Mexico City seiner Kindheit zum Leben. Dabei gelingt ihm eine komplizierte Gratwanderung zwischen umfassendem Zeitbild und intimer Charakterstudie: Das Publikum erlebt die turbulenten Jahre 1970 und 1971 durch die Augen der indigenen Haushaltshilfe Cleo (Yalitza Aparicio). Es wäre nur gerecht, wenn dieses grossformatige Meisterwerk bei den Oscars eine Hauptrolle spielen würde. Alan Mattli
4. «Beautiful Boy» von Felix van Groeningen
Felix van Groeningens («The Broken Circle Breakdown», «Belgica») englischsprachiges Regiedebüt basiert auf den Memoiren von David (Steve Carell) und Nic Sheff (Timothée Chalamet) und verdeutlicht, dass Drogenabhängigkeit kein Einzelschicksal des Betroffenen darstellt, sondern vielmehr zur Belastungsprobe für das ganze Umfeld wird – insbesondere für die Familie. Der Film lebt voll und ganz von seinen Hauptdarstellern. Steve Carell («Foxcatcher») brilliert einmal mehr in einer dramatischen Rolle als engagierter Vater, der zwischen Vaterliebe und Machtlosigkeit hin und her schwankt, während sich Timothée Chalamet («Call Me By Your Name») erneut als einer der besten Jungschauspieler unserer Zeit beweist. «Beautiful Boy» ist ein gelungenes Portrait über Suchtverhalten sowie den damit einhergehenden Teufelskreis von Ausweglosigkeit und Hoffnung. Catherine Seraphim
5. «Ballon» von Michael Bully Herbig
Es ist schon eine Weile her, seit Michael Bully Herbig («Der Schuh des Manitu») noch wirklich lustig war. Der letzte Versuch des deutschen Filmemachers, mit einem «Bullyparade»-Langfilm an frühere Erfolge anzuknüpfen, ging gründlich in die Hose. Da ist es keine schlechte Idee, sich mal eben neu zu erfinden. Bully Herbig tut das mit dem dramatischen Thriller «Ballon», der von zwei ostdeutschen Familien handelt, die die DDR mit einem selbstgebauten Ballon verlassen wollten. Der auf einer wahren Geschichte beruhende Thriller ist mit Friedrich Mücke und Thomas Kretschmann stark besetzt. Dieser neue Bully Herbig gefällt. Owley Samter
6. «The Sisters Brothers» von Jacques Audiard
«The Sisters Brothers», das englischsprachige Filmdebüt des französischen Regisseurs, Jacques Audiard («Un prophète», «Dheepan»), ist eine gelungene Mischung aus Humor und Dramatik, wobei Audiard gekonnt mit den Konventionen des Westerngenres spielt. Die Geschichte findet während des kalifornischen Goldrausches statt und schickt die Brüder Eli (John C. Reilly) und Charlie (Joaquin Phoenix) Sisters, zwei gefragte Auftragskiller, auf die Jagd nach Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed). Dieser wird vorab von John Morris (Jake Gyllenhaal), einem Kopfgeldjäger, ausfindig gemacht. Jedoch verläuft nichts nach Plan und so kommt es zu überraschenden Bekenntnissen und Neubewertungen von Schuld und Unschuld. «The Sisters Brothers» ist ein stimmungsvoller Western, in dem die hart gesottenen Cowboys auch mal sentimental werden dürfen. Catherine Seraphim
7. «Cronofobia» von Francesco Rizzi
Als Tessinerischer Ambassador vertrat das berührende Drama über die trauernde Witwe Anna (Sabine Timoteo, auch zu sehen im nicht so gelungenen «Sicilian Ghost Story») und den ruhigen Michael (Vinicio Marchioni) Little Italy am Fokus Schweiz, Deutschland, Österreich. Beiden Figuren wohnt die Angst vor der Zeit inne, genauer gesagt, die Angst der Vergänglichkeit, des Loslassens, des Vorwärtsschauens. Geschickt sind die wunderbar stimmigen Bilder des DOPs Simon G. Fässler montiert und erzählen eine von Martin Suters Romanen inspirierte figurengetriebene Geschichte, die wir uns unbedingt bald regulär im Schweizer Kino erhoffen, auch wenn das Drehbuch in der zweiten Hälfte immer wieder ausfranst. Lola Funk
8. «The Guilty» von Gustav Möller
Wenn es um nervenaufreibende und verstörende Stoffe geht, sind die Dänen kaum zu schlagen. Da ist auch der als Kammerspiel angelegte Thriller «The Guilty» keine Ausnahme: Gustav Möller erzählt in seinem Regiedebüt von einem Polizisten in der Notrufzentrale, der einen Anruf einer entführten Frau erhält. Als das Gespräch abbricht, ermittelt er auf eigene Faust – doch die Zeit läuft gegen ihn. Ein beklemmender Thriller mit einem grossartig aufspielenden Jakob Cedergren in der Hauptrolle, der am Zurich Film Festival völlig zu Recht mit dem Kritikerpreis bedacht wurde. Owley Samter
9. «Quién Te Cantará» von Carlos Vermut
Nachdem die berühmte Sängerin Lila Cassen (Najwa Nimri) beinahe ertrunken ist, kann sie sich an nichts mehr erinnern, am wenigsten an sich selbst. Keine guten Voraussetzungen, um die geplante Comeback-Konzertreihe anzutreten. Lilas Managerin Blanca (Carme Elias) engagiert deswegen deren grössten Fan Violeta (Eva Llorach), eine alleinerziehende Mutter, die nachts in einer Karaokebar Lilas grösste Hits performt. In den zwei Stunden Spiellänge sprechen nur zwei Männer, ansonsten ist das schillernd-mysteriöse Drama ganz in den Händen der Frauenfiguren: Ein amnestischer Star, eine talentierte Epigone, die Tochter mit Borderline ad Extremum und deren pure Emotionen werden mit einer ästhetischen Kamera aufgezeichnet, die an Sorrentinos «Grande Bellezza» erinnert und sich zu einem wunderschön anzusehenden Film über Identität verdichtet. Lola Funk
10. «RBG» von Betsy West und Julie Cohen
Stilistisch und ästhetisch mag der Dokumentarfilm über die progressive Ikone Ruth Bader-Ginsburg – die älteste Richterin am Obersten Gerichtshof der USA – ziemlich konventionell sein; doch inhaltlich ist «RBG» eine wahre Freude: berührend, inspirierend und, in der aktuellen politischen Lage in Amerika und anderswo, essenziell. Betsy West und Julie Cohen feiern hier nicht nur eine beeindruckende, längst zum Kult gewordene Pionierin der Frauenbewegung, sondern auch das, was sie repräsentiert: den prinzipientreuen intellektuellen Widerstand gegen die strukturelle Unterdrückung marginalisierter Gruppen. Alan Mattli
Ein weiteres Highlight: Wim Wenders im munzigen Riffraff 2
Eigentlich war Wim Wenders, dem das ZFF die Retrospektive widmete, nur für einen Master im Filmpodium angesagt, umso überraschender war dann sein Erscheinen nach dem Screening von «Der Amerikanische Freund» im kuschelig kleinen Riffraff 2. Der deutsche Regisseur wollte unbedingt das Zürcher Publikum sehen, dass sich seinen Film aus dem Jahr 1977 mit Bruno Ganz anschaute. Aus erster Hand und in einer wohlig ruhigen Erzählerstimme mit lustigem Hut auf dem Kopf plauderte Wenders über die Dreharbeiten mit Dennis Hopper und Bruno Ganz, spektakuläre Geschichten, die man zwar auch in Interviews nachlesen kann, aber erst live richtig mitreissend und berührend sind. Lola Funk
Bild- und Trailerquellen: Pressebilder ZFF 2018 / Schweizer Verleiher
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