Es gibt Filme, die auf ein Happy End hinsteuern, und es gibt Filme, die sich von einem Happy End auf ein Leben, das aus den Fugen gerät, zubewegen. «Die My Love» gehört eindeutig zur zweiten Kategorie – ein kompromissloser filmischer Faustschlag.
Die schottische Filmemacherin Lynne Ramsay hat bereits mit «We Need to Talk About Kevin» (2011) und «You Were Never Really Here» (2017) bewiesen, wie sich aufwühlende Abgründe der menschlichen Psyche filmisch behandeln lassen, und liefert nun mit «Die My Love» ihr bisher verstörendstes Werk ab. Die bizarre Mischung aus Drama, Gewalt und situativer Komik zeigt die Macht von Liebe, Wut und Hilflosigkeit in einer brutalen Form, die mit ekstatischem Körpereinsatz, ohrenzerfetzendem Sound und verblassten Tapeten daherkommt. Das fesselt und schockiert zugleich.
Wie schnell sich die Spirale aus Verzweiflung und Depression zur völligen Entfremdung von sich und dem eigenen Umfeld entwickelt, zeigt die Beziehungsdramaturgie von Grace und Jackson, die aus dem urbanen New York ins ländliche Montana ziehen, um sich der scheinbaren Idylle der Kleinbürgerlichkeit samt baldigem Familiennachwuchs hinzugeben.
Grace, mit Hingabe verkörpert von Jennifer Lawrence («The Hunger Games», «Silver Lingings Playbook»), ist Schriftstellerin und Jackson (Robert Pattinson) Musiker. Das alte, renovierungsbedürftige Haus mit seinen knarrenden Dielen wird zunehmend zu einem Gefängnis, da Jackson oft weg ist, um zu arbeiten, während Grace – mittlerweile Mutter – auf allen Vieren durch die Küche oder das hohe Gras kriecht, um der Langeweile und sexuellen Unzufriedenheit zu entkommen.

Jennifer Lawrence in «Die My Love» / © DCM/MUBI/Kimberly French
Die ungeschönte Handlung kreist um Grace, deren Schreibblock leer bleibt und die im Chaos versinkt. Zum Abendessen gibt es Kuchen und Bier, oder nichts; der Haushalt bleibt liegen; nur um ihr Baby kümmert sie sich liebevoll. Jennifer Lawrence spielt hier die Rolle ihres Lebens: Sie ist keine rundum sympathische Protagonistin, die einem leidtut; und ihre manchmal abstossende Verstörtheit findet weder Gehör noch Verständnis, schon gar nicht, wenn sie durch die Glastür der Veranda springt, das Badezimmer mit Seife verschmiert und sich die Finger an der Tapete wundkratzt.
Robert Pattinson («Twilight», «The Lighthouse») als ihr Partner Jackson ist wiederum kein Bösewicht, der Grace das Leben zur Hölle macht; er ist vielmehr eine tragische, hilflose Figur, der seine geliebte Frau nicht versteht, nicht fassen kann. Da nützt es wenig, dass er ihr einen Hund schenkt, damit sie nicht so allein ist. Ein schreiendes Baby, der dauerkläffende Köter, das schrille Surren einer Fliege, ja selbst die Stille der kargen Landschaft – alles ist ohrenbetäubend und schmerzhaft. So schmerzhaft, dass Grace den Hund erschiesst, da Jackson es nicht tut, weil er ihre Aufforderung dazu als Scherz verstanden hat. «Hysterisch» halt.
«Jennifer Lawrence und Robert Pattinson wachsen in ihren Rollen über sich hinaus.»
Lawrence und Pattinson wachsen in ihren Rollen über sich hinaus: Lawrence mit vollem Körpereinsatz, der selbst den Sex mit einem unbekannten Biker (LaKeith Stanfield) nicht erotisch, sondern verzweifelt wirken lässt, und Pattinson, dessen physische Präsenz die Überforderung und Verzweiflung dieser emotional anspruchsvollen Figur eindrücklich abbildet, als würde er in sich zusammenbrechen.
Die Dynamik zwischen Grace und Jackson ist indes anregend und hemmungslos radikal. Man spürt die Liebe, aber auch die wachsende Entfremdung, und wie nahe beide am Limit laufen. Diese unsichtbaren Risse werden durch Rückblenden unterbrochen: Man sieht Grace und Jackson im noch trauten familiären Mikrokosmos mit Jacksons Eltern (Sissy Spacek und Nick Nolte) beim hübsch gedeckten Tisch, singend im Auto (aus dem Grace später herausspringen will), beim ungezügelten Sex im und ums Haus. Diese Zeitsprünge sind klug eingesetzt, denn sie halten die Spannung aufrecht und zeigen, dass es auch schöne Momente gibt, bevor die beiden Protagonist*innen in die Katastrophe rennen.

Robert Pattinson in «Die My Love» / © DCM/MUBI/Kimberly French
Kameramann Seamus McGarvey («Nocturnal Animals», «Cyrano») verdient hier ebenso Erwähnung wie Lynne Ramsey: Dem Duo ist ein visuelles Konzept gelungen, das die bedrückende, klaustrophobe Atmosphäre, konsequent und erschreckend verbildlicht, indem es Grace buchstäblich ins enge 4:3-Bild einsperrt.
«Ramsay zeigt den Druck der gesellschaftlichen Erwartung, dass eine Frau in ihrer Mutterschaft aufgeht, und die Wut, die entsteht, wenn genau das nicht passiert.»
«Die My Love» ist kein Film über Wochenbettdepressionen im klinischen Sinn; eher zeigt Ramsay den Druck der gesellschaftlichen Erwartung, dass eine Frau in ihrer Mutterschaft aufgeht, und die Wut, die entsteht, wenn genau das nicht passiert. Ramsay und ihre Co-Autor*innen Enda Walsh und Alice Birch geben keine psychologischen Erklärungen ab. Es gibt auch keine Diskussionen am Tisch, was am Wochenende geplant ist oder wer den Müll rausträgt, und erst recht nicht darüber, wie sich die beiden ihre Zukunft vorstellen. Es gibt keine Hintergrundgeschichten und keine Auflösung. «Die My Love» zeigt einen unausgesprochenen Wahnsinn in all seiner Rohheit, ohne ihn zu analysieren, zu verurteilen oder zu entschuldigen. Der Film wirft alle Theorien, die man über postpartale Depressionen aufstellen könnte, ungestüm über den Haufen und ist somit nichts für schwache Nerven. Aber er lebt von seiner Ehrlichkeit, seiner Aufgeschlossenheit und seiner visuellen Brillanz.
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Kinostart Deutschschweiz: 6.11.2025
Filmfakten: «Die My Love» / Regie: Lynne Ramsay / Mit: Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, LaKeith Stanfield, Sissy Spacek, Nick Nolte / USA / 118 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DCM
Lynne Ramsays «Die My Love» ist eine bildgewaltige Abrechnung mit falsch verstandenem Mutterglücks. Ein kompromissloses Kinoerlebnis, das man nicht so schnell vergisst.


							








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