Schon mal gewundert, welche (prä-)historischen Dramen sich auf dem Grundriss deines Wohnzimmers abgespielt haben? Robert Zemeckis’ Graphic-Novel-Adaption «Here» geht auf Spurensuche: von den Sauriern bis zur Coronazeit. Ein faszinierender Ansatz – leider erdrückt vom zentralen visuellen Gimmick, einem laschen Skript und einer CGI-Verjüngung, die Tom Hanks und Robin Wright keinen Gefallen tut.
Es beginnt und endet mit dem Wohnzimmer: wechselnde Sofas, wechselnde Zeitebenen, wechselnde Menschen, die diesen Raum über die Jahrzehnte hinweg zu ihrem Zuhause gemacht haben. Noch weiter geht es zurück, zur Fundamentaushebung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und noch weiter, als Dinosaurier über den blubbernden Ursumpf stampften. Die Kameraeinstellung ist starr, der Ausschnitt ein bühnenhafter Schaukasten. Immer wieder leuchten kleine Fenster auf, in denen eine Zeitebene über die andere gelegt wird – eine visuelle Spielerei, die den Comic-Ursprung der Adaption hervorhebt und es dem Publikum einfach macht, zwischen Vergangenheit und Zukunft zu navigieren.
«Here» ist eine Adaption der gleichnamigen Graphic Novel des Künstlers Richard McGuire. Ihr Konzept ist simpel, aber revolutionär: Über 300 Seiten zeigt das Buch die statische Ansicht eines amerikanischen Wohnzimmers. Collageartig werden Comic-Panels darübergelegt, jedes mit eigener Jahreszahl versehen, um Schnappschüsse aus verschiedenen Jahrzehnten miteinander resonieren zu lassen. So sitzt etwa auf einer Seite ein Bison von 10’000 vor Christus neben einer Frau von 1970 in einem Wohnzimmer aus dem Jahr 1915 – eine geisterhafte Gleichzeitigkeit, die historische Parallelen herauskitzelt und kleine Momente mit der Gravitas der ewigen Vergänglichkeit behaftet. Eine stringente Geschichte erzählt die Graphic Novel nicht: Ihr Reiz liegt im kontextlosen Mosaik aus winzigen Alltagsmomenten, die ihre Wirkung erst in der Summe der Eindrücke entfalten.
Dieses herausfordernde Kunstwerk in einen Hollywoodfilm für die Vorweihnachtszeit zu verwandeln, kann auch für einen Feel-Good-Experten wie Robert Zemeckis kein einfaches Unterfangen gewesen sein. Ohne klassische Drei-Akt-Struktur, ja ohne wirkliche Geschichte, hätte eine treue Adaption wohl eher einer flackernden Videoinstallation geglichen als einem «Forrest Gump» (1994) oder einem «Cast Away» (2000). Notwendigerweise wurde das Skript geradegebürstet und einige emotionale Kernelemente herausgearbeitet, mit einem Fokus auf Tom Hanks und Robin Wright als Teenie-Paar (dazu später mehr) und ihrem Leben durch die Jahrzehnte. Es wird gelebt, geliebt, gestritten, geboren und gestorben – alles in derselben Ecke des Wohnzimmers, statisch gefilmt in der gleichen Einstellung.
Zemeckis hat über die Jahre bewiesen, dass er es versteht, die emotionalen Register meisterlich zu ziehen. Wenn Doc Brown in «Back to the Future» (1985) über das Gelingen seiner Zeitmaschine jubelt, wenn Chuck Noland in «Cast Away» seinen Volleyball-Freund beweint oder wenn Forrest Gump den Vietnam-Veteranen Lieutenant Dan wiedertrifft, ist das kompetent gemachtes Gefühlskino, das sämtliche Register präzise – wenn auch oft wenig subtil – zu ziehen weiss. Und auch «Here» signalisiert sehr klar, wann diese Schläge zu fallen haben. Leider weicht aber die emotionale Resonanz einer beständigen Schwere, die den Film nie über die Einzelteile seiner visuellen Spielereien emporsteigen lässt.
«Selbst mit leuchtendem CGI-Filter erschreckt man sich, wenn eine seltsam glattgebügelte Wright (im Grusel-Limbo irgendwo zwischen zwischen 30 und 60) gefragt wird, was sie denn nach der Highschool machen wolle.»
Die Ambition, den visuellen Clou der Graphic Novel zu übernehmen, ist in der Theorie löblich und notwendig, gestaltet sich in der Realität aber anstrengend und klaustrophobisch. Wo die Graphic Novel die selbstauferlegte Limitation auslotet, um jede Seite mit historischen Parallelen sprühen zu lassen und das Wohnzimmer dank seiner kleinen Collage-Fensterchen als Spielplatz der Gleichzeitigkeit und der emotionalen Universalität versteht, sperrt der Film sein Publikum regelrecht ein unter einer niedrigen Decke und zwischen mit den Jahrzehnten wechselnden, aber nie minder klobigen Möbeln. Die statische Kamera ist ein intellektuelles Experiment, das seine Figuren aber buchstäblich auf Distanz hält und die Künstlichkeit der Szenen lupenhaft vergrössert.
Aus seinem desaströsen «Pinocchio» (2022) hat Zemeckis offensichtlich die falschen Schlüsse gezogen: Statt sein CGI-Team vor Gericht zu ziehen, hat er sie zur undankbaren Aufgabe verdonnert, Tom Hanks (68) und Robin Wright (58) in Teenager und junge Erwachsene zu verwandeln. Selbst mit leuchtendem CGI-Filter erschreckt man sich, wenn eine seltsam glattgebügelte Wright (im Grusel-Limbo irgendwo zwischen zwischen 30 und 60) gefragt wird, was sie denn nach der Highschool machen wolle. Beide Schauspielgrössen können sich anstrengen, wie sie wollen: Gegen die sanftbelichtete Mauer der digitalen Scheusslichkeit gibt es kein Anspielen, und man wartet ungeduldig auf die gute Fee, welche die beiden endlich in echte Menschen verwandelt.
Auch die Ausdehnung der Lebensfetzen auf Spielfilmlänge funktioniert nur bedingt. Denn während die Alltäglichkeit der Graphic Novel ihren Charme verleiht, erstickt sie den Film mit monotoner Gleichgültigkeit. Es passiert sowohl zu viel (im Wohnzimmer werden Hochzeiten und Begräbnisse abgehalten, Herzinfarkte erlitten, Kinder gezeugt und der Fernsehsessel erfunden) als auch zu wenig (weisse, heterosexuelle Paare haben langweilige Eheleben und hassen sich gegenseitig ein wenig). Die Insel aus «Cast Away» wirkt im Kontrast mit diesem düsteren, deprimierenden Wohnzimmer wie eine attraktive Alternative – und man wünscht Tom Hanks‘ Ricky zu jedem Zeitpunkt, er möge dorthin entfliehen. Wenigstens gibt es dort Luft, Licht und eine Beziehung zu einem Volleyball, die lebendiger ist als alles, was einem in «Here» geboten wird.
«‹Here› ist ein selbstgefälliges und langfädiges Werk, das seinem Publikum aggressiv seine Grusskartenweisheiten in Dialogform verfüttert.»
Besonders negativ stechen auch die Versuche heraus, den narrativen Rahmen über die drei weissen Kernpaare hinaus zu erweitern. Da sind etwa die Flashbacks zu einem indigenen Paar, das überwiegend stumm bleibt, ihr Baby bedeutungsschwanger dem Mond präsentieren darf und bezeichnenderweise im Abspann als «Indigenous Man» und «Indigenous Woman» gelistet werden. Oder das Schwarze Paar, das zu COVID-Zeiten mit ihrem Teenager-Sohn ins Haus einzieht, überwiegend stumm bleibt und in seiner längsten Szene dem Sohn erklären darf, wie er bei einer Polizeikontrolle nicht erschossen wird. Beide Inklusionen wirken wie Verlegenheitsübungen, bleiben doch beide Paare namen-, charakter- und geschichtslos – leere Chiffren, die für eine amerikanische Diversität stehen, die nie Raum zur Entfaltung erhält.
«Here» ist ein selbstgefälliges und langfädiges Werk, das seinem Publikum aggressiv seine Grusskartenweisheiten in Dialogform verfüttert. Das ungelenke Ganze macht den Anschein einer von Terrence Malick («The Tree of Life», «A Hidden Life») konzipierten Seifenoper – ebenso bedeutungsschwanger wie gefühlsduselig.
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Kinostart Deutschschweiz: 12.12.2024
Filmfakten: «Here» / Regie: Robert Zemeckis / Mit: Tom Hanks, Robin Wright, Paul Bettany, Kelly Reilly, Michelle Dockery, Gwilym Lee, Ophelia Lovibond, David Fynn, Jonathan Aris, David Betts, Nicholas Pinnock, Nikki Amuka-Bird / USA / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DCM Film
Robert Zemeckis' «Here» vereint Robin Wright und Tom Hanks für eine Comicverfilmung, die Jahrmillionen umspannt. Ein spannendes Konzept mit erdrückend kitschigem Resultat.
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