In seinem neuen Film erzählt Nils Tavernier die wahre Entstehungsgeschichte des berühmten Steinpalastes in Frankreich, dem «Palais Idéal». Und diese ist es allemal wert, verfilmt zu werden. Trotz sehr wenig Dialog und einem scheinbar unnahbaren Protagonisten ist der Film voller Emotionen: Weil er an den richtigen Stellen die richtigen Mittel einsetzt.
Das ländliche Frankreich im 19. Jahrhundert: Die Menschen sind freundlich zueinander, es wird viel getratscht, die Kälte im Winter macht einigen zu schaffen und der Obst- und Gemüseanbau ist existenzbedeutend. Insgesamt scheint das Leben friedlich, wenn auch hart. Mittendrin ist Ferdinand Cheval (Jacques Gamblin), der sich in der Natur deutlich wohler fühlt als unter Menschen. Sein Beruf passt deshalb: Als Briefträger («Facteur») legt er täglich 32 Kilometer zu Fuss zurück und begegnet dabei nur wenigen Menschen. Eine der wenigen Bekanntschaften, die er während seiner Touren macht, ist jene mit Philomène (Laetitia Casta), einer Witwe. Die beiden sehen sich regelmässig und verlieben sich. Nur wenig später im Film heiraten sie und bekommen eine Tochter.
Eines Tages stolpert Ferdinand Cheval auf seiner Tour über einen Stein. Er nimmt ihn nach Hause und hat eine verrückte Idee: Er möchte für seine Tochter den schönsten Palast weit und breit bauen; der zufällig entdeckte Stein bildet den Anfang. Die Formen der Bäume und Steine oder die Bewegungen der Vögel inspirieren ihn für sein Kunstwerk. «Die Natur sagt mir, wie ich bauen soll», so Cheval. Über Jahrzehnte hinweg arbeitete der echte Ferdinand Cheval an diesem monumentalen Bauwerk, das bis heute seinesgleichen sucht. Der «Palais Idéal» wurde erst lange nach Chevals Tod 1969 unter Denkmalschutz gestellt.
«L’incroyable Histoire du facteur Cheval» zeigt viele Stationen im Leben des Briefträgers; dazwischen gibt es immer wieder atemberaubend schöne Landschaftsaufnahmen, die wie Gemälde wirken. Ebenso beeindruckend ist die Leistung des Schauspielers Jacques Gamblin, der den speziellen Charakter authentisch und liebevoll verkörpert.
Jedes Mal, wenn Cheval auf seiner Tour ist und einige Kilometer zurücklegt, vergehen in der Geschichte ein paar Jahre. Dieses Stilmittel ist am Anfang etwas verwirrend, während es gegen Ende zu vorhersehbar eingesetzt wird und fast schon langweilt. Die erzählte Zeit so umfassend abzudecken wäre gar nicht nötig. Denn letztlich sind jene Momente, in denen Cheval in oder auf seinem Palast steht, baut und für sein Umfeld nicht ansprechbar ist, genau die, bei denen das Kinopublikum Nähe zum Protagonisten aufbauen kann. Es sind jene Stunden, in denen sich der etwas unbeholfene Mann keinen Zwängen biegen muss, sondern einer Leidenschaft nachgeht. Während diese Szenen im Film mit emotionaler Musik unterlegt werden, bleibt «L’incroyable Histoire du facteur Cheval» an anderen Stellen fast schon unangenehm ruhig.
Die Geschichte berührt, umso mehr, da sie wahr ist und der «Palais Idéal» ein detailreiches und traumhaft schönes Kunstwerk ist.
Die Geschichte berührt, umso mehr, da sie wahr ist und der «Palais Idéal» ein detailreiches und traumhaft schönes Kunstwerk ist. Weniger Zeitsprünge und eine klare Fokussierung hätten dem Film vielleicht gut getan und dem Publikum geholfen, näher am Geschehen dran zu sein. Die schönen Aufnahmen, die Story und die beeindruckende schauspielerische Leistung sorgen aber auf jeden Fall für ein lohnendes Kinoerlebnis.
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Kinostart Deutschschweiz: 18. Juli 2019
Filmfakten: «L’incroyable histoire du facteur Cheval» / Regie: Nils Tavernier / Mit: Jacques Gamblin, Laetitia Casta, Natacha Lindinger, Bernard Le Coq, Florence Thomassin / Frankreich / 104 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Praesens Film
Ein Briefträger, der über 33 Jahre hinweg einen Palast baut – eine Geschichte, die berührt, ebenso die filmische Umsetzung.
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