Mit «The Vast of Night» legt Andrew Patterson ein Regiedebüt nach Mass vor: Der Science-Fiction-Gruselfilm funktioniert als atmosphärisches Genrestück und als scharfsinniges Psychogramm der späten Fünfzigerjahre.
Ein wunderschöner Sommerabend im Provinznest Cayuga, New Mexico, irgendwann Ende der Fünfzigerjahre: Fast die ganze Ortschaft versammelt sich in einer Turnhalle, um dem heimischen High-School-Basketballteam beim Spiel gegen den grossen Rivalen zuzujubeln. Einzig die Teenager Fay (Sierra McCormick) und Everett (Jake Horowitz) scheinen anderes zu tun zu haben: Während er als Radio-DJ Platten abspielen und Werbungen verlesen muss, wartet auf sie eine Nachtschicht bei ihrem Telefonistinnen-Job. Doch nach ein paar unterbrochenen Telefonverbindungen, einem unheimlichen Rauschen in der Leitung und einem mysteriösen Hintergrundgeräusch in Everetts Radiosendung wird klar, dass das nicht ein Abend wie jeder andere ist – in Cayuga geschieht Merkwürdiges.
Andrew Patterson macht keine Anstalten, seine Inspirationen und Bezugspunkte zu verstecken. Im Gegenteil: «The Vast of Night» beginnt mit einem flimmernden Fünfzigerjahre-Fernseher, auf dem in bester «Twilight Zone»– und Sci-Fi-Serial-Manier über die versteckten Winkel der Realität und die Unfassbarkeit des Lebens in einem dunklen Universum schwadroniert wird. Patterson ist so stolz auf dieses Retro-Stilmittel, dass er im weiteren Verlauf diverse Male wieder darauf zurückgreift – selten mit erkennbarem Mehrwert. Doch das ist – zusammen mit dem etwas allzu sauberen Ende – denn auch das Einzige, das die Freude an diesem erfrischenden Stück Genrekino trübt.
«‹The Vast of Night› beginnt mit einem flimmernden Fünfzigerjahre-Fernseher, auf dem in bester ‹Twilight Zone›– und Sci-Fi-Serial-Manier über die versteckten Winkel der Realität und die Unfassbarkeit des Lebens in einem dunklen Universum schwadroniert wird.»
Anders als manch andere*r Regisseur*in belässt es Patterson nämlich nicht beim blossen Reproduzieren dieser Versatzstücke. Vielmehr gelingt es ihm, den existenziellen Horror freizulegen, der den Kern jeder Nachkriegs-Weltraumfantasie, vielleicht sogar jeder Science-Fiction-Affiche, bildet: Ob «Invasion of the Body Snatchers» (1956), «Radar Men from the Moon» (1952), «Blade Runner» (1982) oder «Interstellar» (2014) – letztlich handelt jedes dieser Werke von der unvorstellbaren Verlorenheit des Menschen in der Unendlichkeit des Kosmos.
«The Vast of Night» ist die Geschichte zweier einsamer Teenager, die, gänzlich auf sich allein gestellt, versuchen müssen, ein buchstäblich unfassbares Phänomen fassbar zu machen. Patterson inszeniert dieses schaurige Aufeinandertreffen mit dem Unbekannten mit erzählerischem und ästhetischem Minimalismus: Die Einstellungen sind lang und weitestgehend schnörkellos, die Handlung simpel. Im Vordergrund steht die bedrückende, zunehmend paranoide Stimmung – getragen vom Zusammenspiel von Beleuchtung, Tondesign und dem ätherischen Musikscore von Erick Alexander und Jared Bulmer, sowie von den ausgedehnten Dialogen und Monologen, die bisweilen an klassische Grusel-Hörspiele in der Tradition von Orson Welles‘ stilbildendem «War of the Worlds» erinnern.
Ein essenzieller Teil dieser eindringlichen Atmosphäre ist Pattersons kluge Auseinandersetzung mit dem historischen Setting. «The Vast of Night» ist durchtränkt vom Eindruck, dem Ende einer Ära beizuwohnen: Fays Nebenverdienst an der Schaltanlage ist dem Untergang geweiht. Everett spürt den Druck, den das Fernsehen auf das Radio ausübt. Magazine und Zeitungen berichten über Hochgeschwindigkeitszüge und andere futuristische Errungenschaften und Visionen, die der Vernetzung einer einst so gross scheinenden Erde dienen. Je mehr die beiden Hauptfiguren über das überirdische Radiosignal in Erfahrung bringen, desto mehr bröckelt das sichere Gefühl der gemütlichen, von den grossen Umwälzungen der Welt abgeschotteten Kleinstadt.
«‹The Vast of Night› bleibt bis zuletzt ein faszinierendes Charakterstück – eine filmische Entsprechung zu den Schauergeschichten, die einem nachts am Lagerfeuer kalte Schauer den Rücken hinunterjagen lassen.»
So verbindet der Film die widersprüchliche kosmische Ideenwelt der Sputnik-Generation – in der Regierungsverschwörungen, sowjetische Unterwanderung und heitere Mondkolonien Seite an Seite existieren – mit dem historischen Moment, in dem sich Fay und Everett befinden. Während den beiden der furchteinflössende Schritt ins Ungewisse des Erwachsenseins bevorsteht, steht die ihnen vertraute Welt – das weisse, patriarchale Provinzidyll von Cayuga – an der Schwelle zur Moderne: Schon bald werden Vietnamkrieg, Gegenkultur, Informationstechnologie und der grossflächige Kampf um Frauen- und Minderheitenrechte endgültig die konservative Illusion zerstören, dass man sich dem Fortlauf der Geschichte entziehen kann.
Patterson und sein Drehbuchpartner Craig W. Sanger spielen auf diese Lesart an, erliegen aber nie der Versuchung, sie in den Fokus zu rücken. «The Vast of Night» bleibt bis zuletzt ein faszinierendes Charakterstück – eine filmische Entsprechung zu den Schauergeschichten, die einem nachts am Lagerfeuer kalte Schauer den Rücken hinunterjagen lassen.
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Filmfakten: «The Vast of Night» / Regie: Andrew Patterson / Mit: Sierra McCormick, Jake Horowitz, Bruce Davis, Gail Cronauer / USA / 89 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Amazon Prime
Wer beim Betrachten des Sternenhimmels schon einmal von einem unheimlichen Gefühl beschlichen wurde, wird sich vom stimmigen Sci-Fi-Grusel von «The Vast of Night» verstanden fühlen.
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