Im Oktober widmet das Zürcher Programmkino Xenix sein Monatsprogramm dem «Anthropozän» – dem geologischen Zeitalter, in dem Kapitalismus und Konsum zu den stärksten Einflussfaktoren auf die natürliche Umwelt gehören und unter anderem die Klimakrise vorantreiben. Die Filmauswahl umspannt dabei die Kinogeschichte von Buster Keaton bis «Oppenheimer».
Seit seinen Anfängen ist das Kino unentwirrbar mit dem Anthropozän verflochten, schreibt das Kuratierungs-Duo Marius Kuhn (Co-Leitung Programm Xenix) und Jennifer Fay (Professorin am Vanderbilt College of Arts and Science): Immerhin reflektiere der Film stets die Welt, in der er erschaffen wird.
In der Einleitung zu ihrem Filmprogramm beschreibt Fay seinen Titel als «eine Provokation und eine Einladung». Denn in seinen gängigen Definitionen wird das Anthropozän oft in Verbindung gebracht mit der menschengemachten Klimakatastrophe, mit Umweltzerstörung und Ausrottung – etwa dokumentiert in «Koyaanisqatsi» (1982), der das Publikum auf eine berauschende Reise von den Wandmalereien der Hopi bis zu modernen Autobahnen und Skylines mitnimmt. Eine Einladung ist es insofern, als das Programm ein Mosaik darstellt, das uns das Anthropozän in seiner ganzen nuancierten Bandbreite darbietet: eine Anregung zur Diskussion ohne einfache Antworten.
«Das Xenix-Programm stellt ein Mosaik dar, das uns das Anthropozän in seiner ganzen nuancierten Bandbreite darbietet: eine Anregung zur Diskussion ohne einfache Antworten.»
Denn Anthropozän im Kino muss, zum Beispiel, nicht immer apokalyptisch sein: So kämpfte etwa bereits Buster Keaton im Slapstick-Klassiker «Steamboat Bill, Jr.» (1928) gegen einen Zyklon, und Jacques Tati inszenierte mit «Playtime» (1967) eine Satire auf die menschliche Existenz im Labyrinth des Grossstadtdschungels. Auch Disneys «WALL-E» (2008) wagt sich (leicht-)herzig und kinderfreundlich an unseren lauernden Untergang heran – und folgt beinahe wortlos einem liebenswerten kleinen Roboter, der einsam unsere vermüllte, verlassene Erde aufräumt.
Monströser wird es in Ishirō Hondas «Godzilla» (1954) und «The Host» (2006) von «Parasite»-Regisseur Bong Joon-ho. Dort verursachen Atombombentests respektive illegale Giftstoffentsorgungen des US-Militärs Mutationen in der lokalen Fauna – mit zerstörerischen Resultaten. Und auch ohne Mutationen sind uns die Tiere im Kino nicht immer wohlgesinnt: Ikonisch beschliessen etwa die titelgebenden Vögel in Alfred Hitchcocks « The Birds» (1963), dass sie genug von uns haben; und Hayao Miyazaki lässt in seiner Animationsfabel «Princess Mononoke» (1997) Natur und Zivilisation einander bekriegen.
«Frederick Wisemans ‹Zoo› zeigt unkommentiert die täglichen Abläufe einer zwiespältigen Institution, die einerseits die Tiere in künstliche Gehege sperrt, andererseits als treibende Kraft in der Arterhaltung wirkt.»
Selbstverständlich reflektiert auch das Dokumentarfilmschaffen unseren Einfluss auf die Tierwelt: Frederick Wisemans «Zoo» (1993) zeigt unkommentiert die täglichen Abläufe einer zwiespältigen Institution, die einerseits die Tiere in künstliche Gehege sperrt, andererseits als treibende Kraft in der Arterhaltung wirkt. «Darwin’s Nightmare» (2004) hingegen erzählt vom gnadenlosen Artensterben, seit in den Sechzigerjahren experimentell eine fremde Fischart im Viktoriasee ausgesetzt wurde. Der zweifach oscarnominierte Dokumentarfilm «Honeyland» (2019) wiederum porträtiert den Einfluss des Kapitalismus auf die Honigproduktion – und plädiert für eine Rückkehr zum traditionellen Umgang mit natürlichen Ressourcen.
Oft wird der Beginn des Anthropozäns auch in der kolonialen Ausbreitung des Westens und der Ausbeutung und Versklavung des globalen Südens verankert. «Bacurau» (2019) präsentiert etwa einen rasanten Mix aus Politsatire und Sci-Fi-Action, die gnadenlos mit der Bolsonaro-Regierung und dem (Post-)Kolonialismus abrechnet. «Nuestra voz de tierra, memoria y futuro» (1981) hingegen ist ein neu restaurierter Klassiker des kolumbianischen Kinos, welcher die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung anprangert. Und in «The New World» (2005) entmystifiziert Terrence Malick die Pocahontas-Legende und den amerikanischen Irrglauben an den eigenen importierten Fortschritt.
«Die Einflüsse des Menschen auf die Umwelt sind vielfältig, können positiv und heilend oder ausbeutend und zerstörerisch wirken.»
Die Filmauswahl des Xenix zeigt eins: Die Einflüsse des Menschen auf die Umwelt sind vielfältig, können positiv und heilend oder ausbeutend und zerstörerisch wirken. Entsprechend ist das «Anthropozän» kein einfach definierter oder eingegrenzter Begriff, sondern einer, dem man sich in Form eines filmischen Mosaiks ideal annähert – mehrere Xenix-Besuche im Oktober sind also definitiv lohnenswert. Das ganze Programm – inklusive Sonderveranstaltungen – ist auf der Xenix-Webseite zu finden.
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Titelbild aus «Godzilla» / © Toho Co./The Criterion Collection
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