Die Academy Awards für das Filmjahr 2024 sind Geschichte: Eine Filmpreis-Saison, die monatelang angenehm unvorhersehbar schien, endet mit Favoritensiegen, ein paar kleinen Überraschungen und der besten Show seit Jahren. Sean Bakers rasante Tragikomödie «Anora» ist mit fünf Oscars – inklusive jenem für den besten Film – der grosse Gewinner des Abends. Doch auch das Drama «The Brutalist», das Science-Fiction-Epos «Dune: Part Two» und die Musicals «Emilia Pérez» und «Wicked» nehmen mehrere Goldstatuetten mit nach Hause.
“LONG LIVE INDEPENDENT FILM!!!”
– Sean Baker’s acceptance speech for ‘ANORA’ winning Best Picture.
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— DiscussingFilm (@DiscussingFilm) March 3, 2025
Nachdem die letztjährigen Oscars in Sachen Präsentation eine eher leidige Angelegenheit waren – versinnbildlicht durch Moderator Jimmy Kimmel, der keine Gelegenheit ausliess, sich abfällig über die nominierten Filme zu äussern –, war dieses Jahr von Anfang an klar, dass unter der Leitung von Conan O’Brien (und Off-Stimme Nick Offerman) ein anderer Wind wehen würde. Die Show begann mit einer Liebeserklärung an das immer noch von den jüngsten Grossbränden gebeutelte Los Angeles, bevor Talkshow-Host, «Simpsons»-Alumnus und Filmliebhaber O’Brien in seinem Eröffnungsmonolog einen soliden Gag nach dem anderen servierte; und in der Folge verging kaum eine Ansage, kaum eine Siegesrede, ohne dass dabei das Kino als kollektive Kunstform, als Kraftakt von Zehntausenden von Arbeiter*innen zelebriert wurde.
Zwar verhedderte sich auch diese Show mitunter in bizarren Einlagen, darunter einer etwas willkürlich wirkenden Hommage an James Bond. Doch im Vergleich zu den regelmässigen Bauchlandungen der letzten Jahre war diese Rückbesinnung auf das Grundlegende, auf die Faszination Kino und den trockeneren, nicht allzu anbiedernden Hosting-Stil von Oscar-Moderations-Glanzlichtern wie Jon Stewart und Billy Crystal, eine wahre Wohltat.
„A Complete Unknown…A Real Pain…Nosferatu…these were just some of the names I was called on the red carpet.“
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Apropos Billy Crystal: Er war es denn auch, der ganz am Ende, zusammen mit seiner «When Harry Met Sally…»-Partnerin Meg Ryan, dem Team hinter der wilden Screwball-Komödie «Anora» den Academy Award für den besten Film überreichte. Der bereits in Cannes mit der Palme d’or ausgezeichnete Film von Sean Baker («The Florida Project»), in dem eine junge Stripperin einen russischen Oligarchensohn heiratet und daraufhin in eine chaotische Verfolgungsjagd durch das nächtliche New York verwickelt wird, war im Laufe der letzten Wochen, nach Monaten der Spekulation über ein vergleichsweise offenes Oscarrennen, zum Kronfavoriten aufgestiegen – und bestätigte diese Erwartung eindrücklich. Ganze fünf Academy Awards heimste Bakers Film ein; vier davon – Film, Regie, Originaldrehbuch und Schnitt – gingen gleich an ihn selber. Damit wurde der Independent-Filmemacher zur ersten Person seit Walt Disney, die eine einzelne Oscarnacht mit so vielen Trophäen im Arm verliess.
Der fünfte Oscar für «Anora» ging – leicht überraschend – an die 25-jährige Hauptdarstellerin Mikey Madison, die man bislang vor allem aus der Serie «Better Things» (2016–2022) und für ihre Nebenrollen in «Once Upon a Time in Hollywood» (2019) und «Scream» (2022) kannte. In dieser Kategorie war Demi Moore die Favoritin – nicht zuletzt, weil ihre Darbietung in «The Substance» als Schauspielerin über 50, die von Hollywood wegen ihres Alters verstossen wird, auch als Kommentar auf ihre eigene Karriere verstanden werden kann.
Mikey Madison’s reaction to her first #Oscar win
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Auch der zweite Hauptrollen-Oscar ging leicht gegen den Trend, der sich zuletzt abgezeichnet hatte: Für das dreieinhalbstündige Immigrationsdrama «The Brutalist» gewann Adrien Brody nach «The Pianist» (2002) schon zum zweiten Mal in der Kategorie «Bester Hauptdarsteller» – obwohl die oft als richtungsweisend geltende Schauspielgilde ihren internen Preis an Timothée Chalamet im Bob–Dylan-Biopic «A Complete Unknown» vergeben hatte. Es war nach den Preisen für die beste Kamera und die beste Musik die dritte Auszeichnung für «The Brutalist», der gegenüber «Anora» zwar eindeutig den Kürzeren zog, insgesamt aber klar der zweite Sieger des Abends war.
Die weiteren Schauspielpreise waren Formsache: Hier triumphierten mit Kieran Culkin in der Tragikomödie «A Real Pain» und Zoe Saldaña im Musical «Emilia Pérez» die erwarteten Favorit*innen. Für «Emilia Pérez», der mit seinen sensationellen 13 Nominationen als heisser Kandidat ins Oscarrennen gestartet war, blieb es schliesslich aber nur bei den Siegen von Saldaña und dem Song «El Mal». Begünstigt wurde dieser Zusammenbruch im Vorfeld von einer von selbstverschuldeten Skandalen und PR-Desastern geprägten Kampagne.
Adrien Brody’s acceptance speech for his second #Oscar win
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In den technischen Kategorien trumpften indes die Publikumslieblinge «Dune: Part Two» und «Wicked» je zweimal auf: Für das epische Weltraumabenteuer von Denis Villeneuve setzte es die Oscars für den besten Ton und die besten Effekte, während Jon M. Chus Adaption des beliebten Broadwaymusicals über die Vorgeschichte von «The Wizard of Oz» (1939) die Kategorien «Bestes Kostümdesign» und «Bestes Szenenbild» für sich entschied.
Und dann waren da auch noch die «kleinen» Best-Picture-Kategorien: Das berührende Drama «I’m Still Here» über die wahre Geschichte der Anwältin Eunice Paiva, deren Ehemann dem banalen Bösen der brasilianischen Militärdiktatur zum Opfer fiel, holte den Oscar für den besten internationalen Film (wo «Emilia Pérez» auch nominiert war); die wortlose paneuropäische Produktion «Flow» des Letten Gints Zilbalodis, in der sich eine Katze vor einer Sintflut in Sicherheit bringen muss, stach die grossen US-Studios DreamWorks («The Wild Robot») und Pixar («Inside Out 2») im Wettbewerb um den besten Animationsfilm aus; und «No Other Land», das erschütternde Porträt des Alltags im von Israel besetzten Westjordanland, das noch immer keinen amerikanischen Verleih hat, gewann den Academy Award für die beste Dokumentation.
He’s holding a little Oscar 😭😭😭😭 #flow #Oscars2025 pic.twitter.com/k0sNrYKjEZ
— 🥛 ˖ ࣪ ‹ chrismarie guerrero 🥨 ⁺˖ ⸝⸝ (@chrismariegue) March 3, 2025
Zwei der vier Regisseur*innen von «No Other Land», die designierten Protagonisten Basel Adra und Yuval Abraham, waren es auch, die für einen der Höhepunkte des Abends sorgten: Wie schon vor einem guten Jahr an der Berlinale machten sich der Palästinenser Adra und der Israeli Abraham in ihrer Dankesrede für ein freies Palästina stark, für ein Palästina, dessen Bewohner*innen nicht mehr unterdrückt, vertrieben und politisch entrechtet werden – ein Plädoyer, in dem auch die amerikanische Aussenpolitik für ihre militante Unterstützung von Israels brutaler Kriegsführung im Gazastreifen angeprangert wurde.
The filmmakers of ‘NO OTHER LAND’ accepting their #Oscar win
“It reflects the harsh reality that we have been enduring for decades and still persists as we call to stop the injustice and stop the ethnic cleansing of Palestine” pic.twitter.com/dQVimRUGAc
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Alle Gewinner*innen im Überblick:
Bester Film: «Anora»
Beste Regie: Sean Baker – «Anora»
Beste Hauptdarstellerin: Mikey Madison – «Anora»
Bester Hauptdarsteller: Adrien Brody – «The Brutalist»
Beste Nebendarstellerin: Zoe Saldaña – «Emilia Pérez»
Bester Nebendarsteller: Kieran Culkin – «A Real Pain»
Bestes Originaldrehbuch: «Anora»
Bestes adaptiertes Drehbuch: «Conclave»
Bester Animationsfilm: «Flow»
Bester internationaler Film: «I’m Still Here» (Brasilien)
Bester Dokumentarfilm: «No Other Land»
Beste Filmmusik: «The Brutalist»
Bester Filmsong: «El Mal» aus «Emilia Pérez»
Bester Ton: «Dune: Part Two»
Beste Kamera: «The Brutalist»
Bester Schnitt: «Anora»
Bestes Szenenbild: «Wicked»
Beste Kostüme: «Wicked»
Bestes Make-up und Haarstyling: «The Substance»
Beste Spezialeffekte: «Dune: Part Two»
Bester animierter Kurzfilm: «In the Shadow of the Cypress»
Bester Kurzfilm: «I’m Not a Robot»
Beste Kurzdokumentation: «The Only Girl in the Orchestra»
Every once in a while the Academy gets the bright idea to hire someone actually funny to host and then they forget they did that for like a decade. Gonna soak this one in.
— Josh Lewis (@thejoshl) March 3, 2025
Die Ruhmeshalle:
- 5 Oscars: «Anora»
- 3 Oscars: «The Brutalist»
- 2 Oscars: «Dune: Part Two», «Emilia Pérez», «Wicked»
- 1 Oscar: «Conclave», «Flow», «I’m Not a Robot», «I’m Still Here», «In the Shadow of the Cypress», «No Other Land», «The Only Girl in the Orchestra», «A Real Pain», «The Substance»
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Bildquelle: Free stock photo of Oscar Statuette: https://libreshot.com/oscar-statuette/
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