Am 2. März werden Nachfolger*innen für Hayao Miyazaki und John Lennon und Yoko Ono gesucht – zumindest bei den Animations-Oscars. Warum das Rennen um den besten Animationsfilm und den besten animierten Kurzfilm in diesem Jahr besonders unüberschaubar ist, welche schrulligen Puppen bei den Kurzfilmen die Nase vorn haben und warum es am Ende wahrscheinlich für einen der Nominierten Eis geben dürfte, erfahrt ihr in unserer Analyse.
Bester Animationsfilm
- «Flow»
- «Inside Out 2»
- «Memoir of a Snail»
- «Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl»
- «The Wild Robot»
Auf die Frage nach dem Favoriten für den Animationsfilm-Oscar hätte man in den vergangenen Monaten je nach Zeitpunkt immer eine andere Antwort bekommen. Lange galt «Inside Out 2» als grosser Favorit: Die Fortsetzung zum womöglich letzten richtig guten Pixar-Film konnte nicht nur bei der Kritik punkten, sondern brachte auch die Kinokassen zum Klingeln. Damit war der Film über die Gefühlswelt des Teenagers Riley breit abgestützt und konnte aus einer starken Position ins Rennen gehen – zumal Disney, dem das Trickfilmstudio Pixar gehört, dazu auch noch über viel Geld verfügt, das in eine Oscar-Kampagne gebuttert werden kann. Doch ganz frei von Kritik ist der mittlerweile erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten eben doch nicht: «Inside Out 2» ist trotz allem eben immer noch eine Fortsetzung – und dazu noch eine, die sich bei der Erzählstruktur sehr stark beim Vorgänger bedient.

«The Wild Robot» von Chris Sanders
Für alle, die sich nach etwas Neuerem, Frischerem sehnten, kam darum im Herbst ein zweiter grosser Favorit um die Ecke: «The Wild Robot» von Animations-Veteran Chris Sanders («Lilo & Stitch») erzählt die Geschichte eines gestrandeten Roboters, der sich mit haufenweise süssen Tierchen anfreundet. Mit seiner berührenden Geschichte und den atemberaubenden Bildern mauserte sich diese DreamWorks-Produktion zum neuen Favoriten auf das Goldmännchen.
Aber auch das währte nicht lange, denn ganz unverhofft tauchte noch ein dritter Kandidat auf: «Flow». Mit dem paneuropäischen 3D-Animationsfilm aus der Feder des lettischen Filmemachers Gints Zilbalodis («Away») hatte dieses Oscar-Rennen seinen perfekten Aussenseiter gefunden – einen, der seinen Mitfavoritenstatus mit dem Gewinn des Europäischen Filmpreises und des Golden Globes zu festigen schien.
«Flow» brachte neben den zahlreichen Preisen alles mit, was eine gute Underdog-Story braucht: eine herzige Geschichte mit viel, aber nicht zu viel Tiefe (eine Katze muss zusammen mit anderen Tierchen vor einer Sintflut flüchten), etwas Ungewohntes (der Film hat keinen Dialog) und zu guter Letzt einen unglaublich charismatischen Regisseur, der genau weiss, wie er das Oscar-Kampagnenspiel auf den sozialen Medien spielen muss. Das Video von Zilbalodis, wie er zusammen mit seinem mässig beeindruckten Hund und einem Apfel in der Hand seine beiden Oscar-Nominationen feiert – «Flow» wurde auch noch als bester internationaler Film nominiert –, ist schon jetzt eines der besten «Oscar Nomination Reaction Videos» aller Zeiten. Dazu kommt, dass die Animationsbranche sich regelrecht danach sehnt, weniger Disney- und DreamWorks-Filme auszuzeichnen – sofern sie sich auf einen einigen kann.
Flow director and dog react to Oscar nominations. pic.twitter.com/ovwac6V7zU
— Gints Zilbalodis (@gintszilbalodis) January 23, 2025
Ganz überraschend wäre es also nicht, wenn sich «Flow» nach dem Golden Globe nun auch noch den Oscar schnappt. Und dennoch: Wahrscheinlicher ist, dass sich Hollywood am Ende eben doch für den breiter abgestützten Studiofilm «The Wild Robot» entscheidet, der sogar gleich dreimal nominiert ist. Die Academy ist nicht bekannt für ihre Experimentierfreude – erst recht nicht bei unbekannten Filmemacher*innen.
Eine schlechte Wahl wäre Chris Sanders‘ anrührendes Roboterabenteuer keinesfalls – und auf alle Fälle eine bessere als der dröge «Inside Out 2». Für Gints Zilbalodis und seinen Low-Budget-Film ist die Award-Season so oder so ein Erfolg. Und wenn er tatsächlich nicht gewinnen sollte, so winkt dem Regisseur von «Flow» zumindest ein Eis. Das ist inzwischen bei ihm und seiner Crew nach Preisverleihungen, bei denen sie leer ausgehen, nämlich Tradition.

«Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl» von Nick Park und Merlin Crossingham
Übrigens: Die beiden nominierten Knet-Animationsfilme «Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl» und «Memoir of a Snail» gingen hier nicht vergessen. In einem anderen Jahr hätten beide durchaus grosse Chancen gehabt. Immerhin wurde Aardman, das Studio hinter «Wallace & Gromit», für seine Kurz- und Langfilme bereits 14 Mal nominiert und viermal ausgezeichnet. 2006 gab es für «Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit» den bis dato einzigen Oscar für einen langen Knet-Animationsfilm.
Und auch der Australier Adam Elliot, der mit dem kruden «Mary and Max» 2009 die Herzen des Publikums eroberte und bereits einen Kurzfilm-Oscar im Regal hat (für «Harvie Krumpet») ist mit seinem bittersüssen «Memoir of a Snail» kein unbekanntes Gesicht. Doch gegen die sehr massentaugliche Konkurrenz sowie den bereits durch «Flow» besetzten Aussenseiter-Platz haben diese beiden schrägen Filme keine guten Karten.
Bester animierter Kurzfilm
- «Beautiful Men»
- «Beurk!»
- «In the Shadow of the Cypress»
- «Magic Candies»
- «Wander to Wonder»
Um die Krone in dieser Kategorie kämpfen fünf Regisseur*innen – allesamt neue Gesichter, die noch nie nominiert wurden. Das gab es bei den animierten Kurzfilmen zuletzt 2021 – und es unterstreicht den Prozess innerhalb der Academy, insbesondere der Animationsabteilung, sich immer stärker von grossen, etablierten Namen zu emanzipieren. Das traf in diesem Jahr einige bekannte Oscar-Alumni wie Daisuke Tsutsumi, der mit «The Dam Keeper» 2014 eine Nomination ergatterte, den bereits zweifach nominierten Don Hertzfeldt («Rejected», «World of Tomorrow») sowie die Gewinnerin von 2007, Torill Kove («The Danish Poet»): Sie alle schafften den Sprung von der Shortlist unter die nominierten fünf nicht.

«Wander to Wonder» von Nina Gantz
Fünf neue Gesichter: Das bedeutet auch, dass das Rennen hier noch immer sehr offen ist, denn die Kategorie des animierten Kurzfilms ist generell sehr unberechenbar. Ihre Dankesrede zumindest schon zurechtlegen sollte sich die Niederländerin Nina Gantz («Edmund»). Ihr Stop-Motion-Film «Wander to Wonder» über drei Figuren einer Kindersendung, die nach dem Tod ihres Erfinders mit sich hadern, ist witzig, nostalgisch und handwerklich überragend. Dabei fehlt es dem Film – und seiner Entstehungsgeschichte – auch nicht an Tiefe, wie Gantz bei ihrem Besuch am Fantoche in Baden erzählte. Mit Toby Jones («Empire of Light») und Amanda Lawrence («Star Wars: The Last Jedi») bringt der Film zudem eine gewisse Star-Power mit, die ihm möglicherweise über die Ziellinie helfen könnte.
Aber eben, vielleicht kommt es auch ganz anders, denn auch die Konkurrenz ist nicht ohne: Der Belgier Nicolas Keppens («Wildebeest») befasst sich in «Beautiful Men» (genau, der Film, der Moderator und «Saturday Night Live»-Comedian Bowen Yang bei der Verkündung der Oscarnominationen ein «Beautiful men… Where?» entlockte) mit Männlichkeit und Unsicherheit. Keppens inszeniert das als berührende Puppentrickerzählung – gut möglich, dass die Academy darauf anspringen könnte. Oder vielleicht lässt sie sich doch von der farbenfrohen französischen Coming-of-Age-Fabel «Beurk!» von Loïc Espuche («Tombés du nid») um den Finger wickeln?

«Beautiful Men» von Nicolas Keppens
Eher eine Aussenseiterrolle zuteil wird den verbleibenden zwei Nominierten – aber auch diese sollte man keinesfalls abschreiben. «In the Shadow of the Cypress» des iranischen Regieduos Hossein Molayemi und Shirin Sohani («Run Rostam Run») erzählt von einem Kriegsveteranen, der an einer posttraumatischen Störung erkrankt ist – wortlos und mit sanften Bildern. Und auch für das etablierte japanische Studio Toei Animation («One Piece»), das mit «Magic Candies» von Daisuke Nishio («Dragon Ball Z») zum ersten Mal überhaupt für einen Oscar nominiert ist, dürfte es wohl bei der Zuschauerperspektive bleiben. Die 3D-animierte Fantasy-Bilderbuchverfilmung imitiert eher schlecht als recht einen Puppentrick-Look – und fällt damit nicht nur im Vergleich mit den liebevoll gestalteten Stop-Motion-Filmen in diesem Jahr deutlich ab.
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Bilderquellen: Gints Zilbalodis (Titelbild: Flow), Universal Pictures (The Wild Robot), Nina Gantz (Wander to Wonder), Miyu Distribution (Beautiful Men)
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