Knapp zwei Jahrzehnte nach ihrem letzten Kinoausflug sind der gutmütige, aber schusselige Erfinder Wallace und sein schlauer Hund Gromit wieder zurück. Das britische Knetanimations-Abenteuer «Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl» ist ein rasanter und kurzweiliger Spass.
Ein wenig in Vergessenheit geraten ist das britische Studio Aardman ja schon – auch wenn ihm zumindest im Bereich der Claymation, also der Knet-Stop-Motion-Animation, noch immer niemand wirklich das Wasser reichen kann. Doch die Zeiten, in denen das Studio mit Grossproduktionen wie «Chicken Run» (2000) oder «Flushed Away» (2006) ganz vorne im Animationsbusiness mitmischte, sind vorbei.
Der Steinzeit-Fussball-Film «Early Man» (2018) war ein erwartbarer Flop, und auch die «Shaun the Sheep»– und «Chicken Run»-Fortsetzungen – die inzwischen praktisch ausschliesslich direkt auf Netflix landen – sorgten für wenig Begeisterung. Das scheint man auch bei Aardman zu merken, weshalb man mit «Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl» die ganz grossen Geschütze auffährt und das beliebte Erfinder-Hund-Gespann zurückbringt.
Dieses wurde von Nick Park für seinen Kurzfilm «A Grand Day Out» aus dem Jahr 1989 erdacht. Der Film schickt das Duo auf die Suche nach Käse auf den Mond und etabliert auch gleich die Formel der Reihe: Der schusselige und naive Wallace erfindet wirre Gerätschaften, während sein smarter Hund Gromit für ihn – mit mässiger Wertschätzung – den Haushalt schmeisst. Das kommt an: «A Grand Day Out» wurde für einen Oscar nominiert, musste sich jedoch «Creature Comforts» (1989) geschlagen geben – einem anderen Film von Nick Park.
Oscars gab es dann aber doch noch, und zwar je einen für die beiden Fortsetzungen «The Wrong Trousers» (1993) und «A Close Shave» (1995) – und einen weiteren für den ersten Langfilm «Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit» (2005), in dem sich die beiden Protagonisten gegen wildgewordene Monsterkaninchen behaupten müssen.
Fast zwei Jahrzehnte später sind es keine Monster oder Kaninchen mehr, die in «Vengeance Most Fowl» ihr Unwesen treiben, sondern Roboter-Gartenzwerge und ein fieser Pinguin. Dieser heisst Feathers McGraw und sorgte schon in «The Wrong Trousers» – brillant als Hühnchen verkleidet – für Chaos. Sein Versuch, einen Diamanten zu klauen, wurde damals jedoch von Wallace und Gromit vereitelt.
Also startet Feathers in «Vengeance Most Fowl» einen zweiten Anlauf – und will dabei gleichzeitig auch noch Rache am Duo nehmen, das ihm damals einen Strich durch die Rechnung machte. Dabei kommen ihm die Norbots – von Wallace entwickelte Roboter-Gartenzwerge, die Feathers mit einem Kniff von «lieb» auf «böse» umprogrammiert – zu Hilfe. Auf Wallace (gesprochen von Ben Whitehead, der den 2017 verstorbenen Sprecher Peter Sallis ablöst) und Gromit kommen unangenehme Zeiten zu.
«Der Charme dieser Reihe entfaltet sich auch in ‹Vengeance Most Fowl› auf wunderbare Art und Weise.»
Nach fünf Kurz- und Langfilmen scheint Nick Park, der hier zusammen mit Merlin Crossingham («Morph») Regie führt, ganz genau zu wissen, was das Publikum von einem «Wallace & Gromit»-Film möchte – und liefert konsequent. Wenig überraschend also, dass mit Feathers McGraw ein grosser Fanliebling als Bösewicht zurückkehrt. Der Charme dieser Reihe entfaltet sich auch in «Vengeance Most Fowl» auf wunderbare Art und Weise, und das Kleinstädtchen-Abenteuer, das sich im Verlauf der knapp 80 Minuten entspinnt, ist rasant und mit viel Witz und liebevollen Popkulturreferenzen inszeniert.
Auffällig dabei ist, wie der Claymation-Film gekonnt die Tonalität der früheren Teile bedient, ohne aus der Zeit gefallen zu wirken. Exemplarisch dafür ist das Zweiergespann um Chefinspektor Mackintosh (Peter Kay), der seinen ersten Auftritt in «The Curse of the Were-Rabbit» hatte und mit seinem überdimensionalen Schnauzer eine klassische Aardman-Figur der alten Schule ist, und der schusseligen jungen Polizistin Mukherjee (Lauren Patel), der ersten Person of Colour in einer zentralen Rolle in der 35 Jahre umspannenden Reihe.
«Alleine für die Bandbreite an Emotionen, welche die Macher*innen dem wortlosen Hund Gromit verleihen, hätte ‹Vengeance Most Fowl› einen Oscar, oder mindestens eine Nomination für den besten Animationslangfilm, verdient.»
Die ganz grosse Leistung von «Vengeance Most Fowl» ist aber die Leichtigkeit, mit der das Studio Aardman beweist, warum es seit über einem halben Jahrhundert eine der ganz grossen Nummern – wenn nicht sogar die grösste – im Stop-Motion-Bereich ist. Alleine für die Bandbreite an Emotionen, welche die Macher*innen dem wortlosen Hund Gromit verleihen, hätte «Vengeance Most Fowl» einen Oscar, oder mindestens eine Nomination für den besten Animationslangfilm, verdient. Es ist wahrlich ein Jammer, dass Parks und Crossinghams Film mit seiner lebendigen Knetanimation, den detaillierten Sets und den beeindruckenden Kamerafahrten und -einstellungen bei uns nur auf Netflix und nicht im Kino erlebt werden kann.
Wer das britische Studio Aardman nach den Flops der letzten Jahre schon abgeschrieben hat, sollte sich von «Vengeance Most Fowl» unverzüglich eines Besseren belehren lassen: «Wallace & Gromit»-Erfinder Nick Park schafft zusammen mit Co-Regisseur Merlin Crossingham ein launiges Abenteuer, das mit herzigen Figuren und aberwitzigen Einfällen aufwartet und animationstechnisch feinste Kost bietet.
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Filmfakten: «Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl» / Regie: Nick Park, Merlin Crossingham / Mit: Ben Whitehead, Peter Kay, Reece Shearsmith, Lauren Patel, Diane Morgan, Muzz Khan / Grossbritannien / 79 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Netflix © 2024
Der beeindruckend animierte «Wallace & Gromit: Vengeance Most Fowl» hat den Charme und Witz der früheren Filme, ohne diese zu kopieren.
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