Das zweite Abenteuer von Seefahrerin Moana und Halbgott Maui ist zwar bei weitem keine filmische Havarie, steht aber mit seiner Unlust, Neues zu wagen, im Schatten des deutlich interessanteren Vorgängers.
Weihnachten ohne einen Disney-Film? Unvorstellbar. Seit gut 16 Jahren ist die Zeit zwischen Thanksgiving und Neujahr in fester Hand des amerikanischen Trickfilmstudios, das dann jeweils auf die – optimalerweise konsumfreudigen – Familien, die an den Feiertagen etwas unternehmen möchten, sowie auf die Anziehungskraft geheizter Kinosäle setzt. Ausserdem hilft ein später Filmstart im Jahr auch dabei, für die ganzen Preisverleihungen im Frühjahr im Gedächtnis zu bleiben.
Die Bedeutung des Weihnachtsgeschäfts für Disney – sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf Awards und die allgemeine Reputation – kann also nicht genug unterstrichen werden. Entsprechend sorgte die Tatsache, dass das Studio ins Jahr 2024 startete, ohne einen Animationsfilm für das Jahresende angekündigt zu haben, für Stirnrunzeln. Fast noch überraschender war jedoch, dass Disney im Februar dann mit «Moana 2» tatsächlich doch noch einen Film versprach, nur gerade neun Monate vor dem Kinostart – untypisch für das Studio, das seine Projekte sonst gerne Jahre im Voraus ankündigt und ansetzt. Gut möglich, dass ein anderes Projekt, vielleicht Pixars Sorgenkind «Elio», den Ansprüchen des Studios (noch) nicht genügte, und «Moana 2» an dessen Stelle kurzfristig das Weihnachtsgeschäft retten sollte.
Dass «Moana 2» – wie schon der Vorgänger – bei uns unter dem Titel «Vaiana 2» in die Kinos kommt, schreibt Disney übrigens einem Rechtsstreit zu. Die Gerüchte, dass das nur ein Vorwand ist, um den eigentlichen Grund zu verschweigen, halten sich aber schon seit 2016 hartnäckig: Nicht rechtliche Probleme, sondern die Nähe zum Namen der mehr oder weniger bekannten europäischen Pornodarstellerin Moana Pozzi («Ginger and Fred») sollen ein Problem gewesen sein. Das geht so weit, dass selbst in der englischen «Originalversion» bei uns alle Erwähnungen des Wortes «Moana» durch «Vaiana» ersetzt werden.
Dass die Veröffentlichung von «Moana 2» so kurzfristig geschah, liegt daran, dass die Fortsetzung zum Disney-Hit von 2016 eigentlich gar nicht ins Kino hätte kommen sollen. Unter dem Titel «Moana: The Series» sollte die Geschichte der polynesischen Seefahrerin und ihres Kumpels, des Halbgottes Maui, nämlich auf Disney+ weitererzählt werden. Disney-CEO Bob Iger soll vom Zwischenstand des Projekts aber dermassen begeistert gewesen sein, dass er die Serie zu einem Langfilm umfunktionieren liess – so zumindest der Marketingsprech. Und so kommt «Moana 2» nun also die grosse Aufgabe zu, ein dank «Inside Out 2» bereits ansehliches Animationsjahr für Disney mit einem guten Weihnachtsgeschäft endgültig zu vergolden.
Dafür wurden auch die beiden Stars des ersten Teils – Dwayne «The Rock» Johnson («Fast & Furious», «Red One») als Maui und Auli’i Cravalho («Mean Girls») als Moana – noch einmal verpflichtet. Dafür gibt es hinter den Kulissen einige Wechsel: Auf dem Regiestuhl übernimmt das Trio David Derrick Jr., Jason Hand und Dana Ledoux Miller – alle in ihrem Regiedebüt – von den Disney-Veteranen John Musker und Ron Clements («The Little Mermaid», «Aladdin») –, und auch der im ersten Teil für die einprägsamen Songs verantwortliche Lin-Manuel Miranda («Hamilton», «In the Heights») macht Platz. Für ihn neu an Bord ist das Duo Abigail Barlow und Emily Bear, die vor allem für ihr grammyprämiertes Fan-Musical-Album zur Serie «Bridgerton» (2020– ) bekannt sind.
«Die Beziehung zwischen Moana und ihrer kleinen Schwester Simea ist glaubhaft und berührend inszeniert und eine der wenigen grossen Stärken des Films.»
Es überrascht wenig, dass «Moana 2» angesichts so vieler Debütant*innen nicht unbedingt vor Experimentierfreude sprüht. Der Film orientiert sich an den wichtigsten Pfeilern des ersten Teils: Erneut muss die junge Moana ihr Dorf auf der Insel Motonui verlassen, um irgendwo auf den Weiten des Ozeans einem übernatürlichen Unheil entgegenzutreten, welches das beschauliche Leben auf ihrer Insel bedroht. Diesmal heisst das Unheil Nalo, ist ein missgünstiger Sturmgott und sorgt dafür, dass die Menschen von Motonui keine Möglichkeit haben, Menschen aus anderen Regionen der Welt kennenzulernen. Es ist eine holprige Erklärung, die der Film für seinen MacGuffin – eine mysteriöse verschollene Insel, die es zu suchen gilt – liefert.
Dass «Moana 2» eine Film gewordene Aneinanderreihung von Serienepisoden ist, merkt man ihm in vielerlei Hinsicht an – ebenso bei der Erzählstruktur, die von Plot Point zu Plot Point hüpft und jeden davon in bester «Adventure of the Week»-Manier säuberlich abschliesst, wie bei der Vielzahl an neuen «witzigen» Nebenfiguren, die dem Publikum vorgesetzt werden. Schade nur, dass sich der Film selber kaum für diese zu interessieren scheint, sodass wir die meisten von ihnen bereits beim Abspann wieder vergessen haben. Eine Ausnahme ist da Moanas kleine Schwester Simea (Stimme: Khaleesi Lambert-Tsuda): Die Beziehung zwischen den beiden ist glaubhaft und berührend inszeniert und eine der wenigen grossen Stärken des Films.
Während «Moana 2» visuell zumindest deutlich macht, warum er auf die grosse Leinwand gehört, bleibt uns der Film ansonsten eine Rechtfertigung für seine Existenz schuldig. Auch musikalisch versucht die Fortsetzung wenig Neues. Abigail Barlow und Emily Bear liefern für jeden Song des ersten Teils ein passendes Pendant: Auf Moanas Sehnsuchts-Song «How Far I’ll Go» aus dem ersten Film folgt hier die gleichermassen sehnsüchtige Ballade «Beyond»; auch Mauis launige Selbstbeweihräucherungshymne «You’re Welcome» bekommt mit «Can I Get a Chee Hoo?» ein lüpfiges Gegenstück. Schlecht sind diese neuen Songs zwar nicht, aber sie sind nicht annähernd so eingängig wie ihre Vorgänger.
«Fans des Vorgängers verpassen nichts, wenn sie ‹Moana 2› nicht schauen.»
Dasselbe gilt auch für den Film selber, der dem ersten Teil zu keinem Zeitpunkt – pardon – das Wasser reichen kann. Fans des Vorgängers verpassen nichts, wenn sie «Moana 2» nicht schauen. Wer es trotzdem tut, wird zumindest nicht bestraft und hin und wieder sogar ganz gut unterhalten. Dass diese Fortsetzung eine Hauruck-Filmumsetzung einer ursprünglich als Serie konzipierten Geschichte ist, bei der anstelle einer etablierten Crew eher unerfahrene Filmschaffende am Werk waren, merkt man dem Film aber leider deutlich an.
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Kinostart Deutschschweiz: 28.11.2024
Filmfakten: «Moana 2» / Regie: David Derrick Jr., Jason Hand, Dana Ledoux Miller / Mit: Auli’i Cravalho, Dwayne Johnson, Hualālai Chung, Rose Matafeo, David Fane, Awhimai Fraser, Khaleesi Lambert-Tsuda, Temuera Morrison, Nicole Scherzinger, Rachel House / USA / 100 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 The Walt Disney Company Switzerland. All Rights Reserved.
«Moana 2» erzählt von der Reise zu neuen Ufern und dem Mut zu Neuem – also all den Dingen, die dem experimentierfaulen Film selber fehlen.
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