Ein in allen Belangen monumentales dreieinhalbstündiges Nachkriegsepos in VistaVision: «The Brutalist» von Brady Corbet ist nachdrücklich «grosses» Kino. Doch die Substanz wird der Ambition gerecht.
Nomen est omen in «The Brutalist» – denn die dritte Regiearbeit des Ex-Schauspielers Brady Corbet («The Childhood of a Leader», «Vox Lux») ist selber ein durch und durch brutalistisches Objekt: geradlinig, scharfkantig, monumental, eher zum Bewundern als zum Lieben, aber dennoch mit einem «harten Kern der Schönheit», und ausgestattet mit einer rigorosen strukturellen Symmetrie.
Säuberlich eingeteilt in eine Ouvertüre, einen ersten Akt («The Enigma of Arrival»), eine 15-minütige, in den Film eingebettete Pause, einen zweiten Akt («The Hard Core of Beauty») und einen Epilog, erzählt Corbets Film in stattlichen 215 Minuten von eineinhalb Jahrzehnten im Leben des fiktiven ungarisch-jüdischen Architekten László Tóth (Adrien Brody).
«‹The Brutalist› ist selber ein durch und durch brutalistisches Objekt: geradlinig, scharfkantig, monumental, eher zum Bewundern als zum Lieben, aber dennoch mit einem ‹harten Kern der Schönheit›.»
Der Holocaust-Überlebende emigriert in den Vierzigerjahren in die USA, wo er sich ausserhalb von Philadelphia im Möbelgeschäft seines längst assimilierten Cousins Attila (Alessandro Nivola) einquartiert. Nach einer zunächst alles andere als wohlwollend aufgenommenen Renovationsarbeit, bei der László alle seine vor dem Krieg antrainierten Bauhaus-Muskeln spielen lässt, wird Anfang der Fünfzigerjahre schliesslich der grossspurige Industrielle Harrison Lee Van Buren (herausragend: Guy Pearce) auf ihn aufmerksam und beauftragt ihn mit dem Bau eines riesigen, amerikanisch-protestantisch geprägten Gemeindezentrums.
So kann László nicht nur seinen künstlerischen Ambitionen frönen und seinem Kumpel Gordon (Isaach de Bankolé), mit dem er in Philadelphia jahrelang Kohle schippte und sich dem Heroin hingab, eine feste Anstellung verschaffen, sondern er kann – dank Van Burens politischen Einflusses – endlich den Nachzug seiner Ehefrau Erzsébet (Felicity Jones) und seiner verwaisten Nichte Zsófia (Raffey Cassidy), die immer noch in europäischen Nachkriegs-Auffanglagern festsitzen, in die Wege leiten. Doch er lernt schon bald, dass die Gunst der Van-Buren-Sippe ein ebenso fragiles Gut ist wie die Toleranz der Vereinigten Staaten gegenüber ihren Einwander*innen.

Adrien Brody und Felicity Jones in «The Brutalist» / © Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.
Dass «The Brutalist», zumindest im wertfreien Sinn, «grosses Kino» ist, dürfte wohl niemand abstreiten – zuallerletzt Brady Corbet selbst. Ein mehr als dreieinhalbstündiges Epos, das sich stilistisch augenscheinlich an Filmen wie Francis Ford Coppolas «The Godfather» (1972), Sergio Leones «Once Upon a Time in America» (1984) und Paul Thomas Andersons «The Master» (2012) orientiert, metaphorisch überhöht vom Kampf zwischen Kapital und Kunst, zwischen Amerika und seinen Arbeiter*innen und Immigrant*innen, erzählt, dazu gewichtige Thematiken wie die Shoah und die Staatsgründung Israels anschneidet und nach althergebrachtem VistaVision-Prozess auf 35-Millimeter-Film gedreht wurde: Dass Corbet hier gezielt den Vergleich mit einer aus der Mode gekommenen Kinoform und -dimension sucht, liegt auf der Hand.
Das kann einem zu kalkuliert pompös, zu demonstrativ «künstlerisch» vorkommen; und mitunter tappt «The Brutalist» tatsächlich in diese Falle. Gerade in der zweiten Hälfte, wenn das von Corbet und seiner Partnerin Mona Fastvold verfasste Skript das Augenmerk vermehrt auf die schwierige Beziehung zwischen László und Erszébet legt, finden sich bisweilen Szenen, die eher obligatorisch als organisch wirken – so, als hätten sie es nicht in den fertigen Film geschafft, weil sie die Geschichte optimal ergänzen, sondern weil das Publikum Szenen dieser Art in einem Film über einen Künstler im Amerika der Fünfzigerjahre erwartet.
«Corbet sucht hier gezielt den Vergleich mit einer aus der Mode gekommenen Kinoform und -dimension.»
Auch der einschneidende Moment im Marmorsteinbruch von Carrara, in dem Corbet und Fastvold das ausbeuterische Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem mächtigen Mäzen Van Buren und dem in seinem Haus «geduldeten» jüdischen Geflüchteten László mittels eines gewaltsamen Übergriffs verbuchstäblicht, ist ein auf Schockwert abzielender Erzählkniff von der eher plumpen Sorte.
Doch der Grund, warum diese Szenen überhaupt erst negativ auffallen, ist, dass sie Teil eines Films sind, der sich anderweitig durch narrative Eleganz, thematische Raffinesse und anregende, mit dem Inhalt hervorragend harmonierende formale Entscheidungen auszeichnet.

© Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.
Diese Qualitäten zeigen sich schon in den ersten Minuten des Films. Begleitet von Felicity Jones‘ Stimme, die einen Brief von Erszébet vorliest, sowie Daniel Blumbergs Musikscore – genauer gesagt, der ersten Version seines ebenso eindringlichen wie einprägsamen Leitmotivs, die klanglich irgendwo zwischen Hans Zimmer’scher Filmmusik, avantgardistischen Klängen à la Krzysztof Penderecki und Luftangriffssirene anzusiedeln ist –, schneiden Corbet und Editor Dávid Jancsó von einem kargen Zimmer im kriegsversehrten Ungarn zum in New York einlaufenden Atlantikdampfer, mit dem Lászlo in seiner neuen Heimat ankommt. Mit Müh und Not kämpft sich der entkräftete Architekt durch den düsteren Schiffsbauch und die darin eingepferchten Menschenmassen, schafft es schliesslich an Deck und erblickt endlich die geschichts- und symbolträchtige Freiheitsstatue.
«Es ist diese Mischung aus grossen, metaphorisch aufgeladenen ästhetischen Gesten, fantasievoll getakteten Sequenzen und einem starken historischen Bewusstsein, die ‹The Brutalist› letztlich zu einem zutiefst einnehmenden Kunstwerk macht.»
Diese wird jedoch von Kameramann Lol Crawley kopfüber eingefangen: Das Versprechen von einer besseren Zukunft in Freiheit wird von Anfang an pervertiert, auf den Kopf gestellt. László erreicht nicht das gelobte Land, sondern einen Ort, der Nazideutschland nur widerwillig den Krieg erklärte, einen Ort, an dem Rassismus und Antisemitismus auch grassieren, einen Ort, der seine Immigrant*innen kaum je vergessen lässt, dass ihr Aufenthaltsrecht an ihre wirtschaftliche Nützlichkeit gebunden ist. Es ist diese Mischung aus grossen, metaphorisch aufgeladenen ästhetischen Gesten, fantasievoll getakteten Sequenzen und einem starken historischen Bewusstsein, die «The Brutalist» letztlich zu einem zutiefst einnehmenden Kunstwerk macht.

© Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.
Corbet bannt hier nichts weniger als die Ursprünge – und die unbequem enge Verbindung – der modernen USA und der zeitgenössischen Kunstszene auf die Leinwand: Die sich als grosse Wohltäterin aufspielende Imperialmacht macht sich die öffentlichkeitswirksamen Visionen von Künstler*innen wie László und die körperliche Arbeit von Menschen wie Gordon zu eigen, um sich auf der Weltbühne in einer Führungsrolle zu präsentieren – und im eigenen Land die bestehenden Hierarchien zu wahren.
«Corbet bannt hier nichts weniger als die Ursprünge – und die unbequem enge Verbindung – der modernen USA und der zeitgenössischen Kunstszene auf die Leinwand.»
Was ist die Verantwortung der oder des Kuntschaffenden in dieser Gleichung? Ist es besser, von Auftraggeber*innen und Finanzierungskomitees abhängige Kunst zu kreieren und physisch und künstlerisch zu überleben? Oder ist das Ausbleiben eines künstlerischen Erbes einem von Grund auf kompromittierten Vermächtnis vorzuziehen? Man muss nicht allzu weit denken, um in diesen Fragen auch das Dilemma eines modernen Hollywood-Auteurs wie Corbet wiederzuerkennen – gerade in einem Film, der wegen seines vergleichsweise kleinen Budgets von rund zehn Millionen Dollar, wie seine Hauptfigur, immer wieder an die Grenzen seiner Ambitionen stösst.
Ein Viertel des 21. Jahrhunderts mag schon vorbei sein, doch gerade mit seinen Überlegungen über die Kunst im Dienste des Kapitals – über den Carrara-Marmor, mit dem italienische Partisanen einst Faschisten erschlugen und mit dem László nun einen Tempel erbauen soll, der einem reichen Rassisten geweiht ist – macht «The Brutalist» deutlich, wie relevant das letzte Jahrhundert für die Diskurse der Gegenwart noch immer ist.

Guy Pearce, Adrien Brody und Isaach de Bankolé in «The Brutalist» / © Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.
Dazu passt auch der gallige, am besten als sarkastischen Kommentar verstandene Epilog: Ein Techno-Remix von Blumbergs Leitmotiv führt eine Retrospektive von Lászlós Lebenswerk ein, bei der in blumigen Worten über die seinen architektonischen Designs innewohnende historische, politische und gesellschaftliche Bedeutung schwadroniert wird. Das angebliche Fazit: Nicht auf den Weg kommt es an, sondern auf das Ziel – und das nach dreieinhalb Stunden Film, 13 Jahren im Leben des László Tóth, sehr viel Weg und sehr wenig Ziel.
«Mit diesem grossartigen, gewollt irritierenden Schlusspunkt verwandelt sich ‹The Brutalist› von einem ohnehin schon mitreissenden Nachkriegsepos und einer klugen kritischen Auseinandersetzung mit den Monstern, die der US-amerikanische Fünfzigerjahre-Boom in die Welt setzte, in eine noch viel umfassendere Abrechnung.»
Mit diesem grossartigen, gewollt irritierenden Schlusspunkt verwandelt sich «The Brutalist» von einem ohnehin schon mitreissenden Nachkriegsepos und einer klugen kritischen Auseinandersetzung mit den Monstern, die der US-amerikanische Fünfzigerjahre-Boom in die Welt setzte, in eine noch viel umfassendere Abrechnung mit jenen oftmals reaktionären Kräften, die in einer Kunst, die Mehrdeutigkeit und Interpretationsspielraum zulässt, eine Bedrohung sehen.
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Kinostart Deutschschweiz: 30.1.2025
Filmfakten: «The Brutalist» / Regie: Brady Corbet / Mit: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy, Alessandro Nivola, Isaach de Bankolé, Stacy Martin, Emma Laird, Jonathan Hyde / Ungarn, Grossbritannien, USA / 215 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved.
«The Brutalist» ist nicht nur ein thematisch anregendes historisches Epos über Kapital und Kunst, sondern auch eine willkommene Erinnerung daran, wie gross und immersiv Kino sein kann.
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