Transitzone Lampedusa
Der neue Film von Gianfranco Rosi zeigt, wie Einheimische und Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa in zwei verschiedenen Welten leben. Ausser Menschsein, verbindet sie wenig.
Lampedusa ist Ankerplatz für Flüchtlinge, wenn sie es überhaupt soweit schaffen. Eine Insel der Hoffnung für die einen, Heimat für die anderen. Auf diesem schmalen Landstreifen, der ungefähr 130 Kilometer von Tunesien entfernt ist, war ich selbst einmal Besucher. Am Flughafen standen Flüchtlinge hinter Gittern. Die Dritte Welt trifft auf die Unsere, wie Feuer auf das Wasser.
„Setz dich auf den Steg, dann gewöhnst du dich an den Wellengang, “ sagt der Vater zu Samuele. So sitzt der 12-jährige Sohn immer wieder dort, wo Schiffe anlegen. Von den Flüchtlingen, die dehydriert, vom Benzin verbrannt oder tot angekommen sind, bemerkt der Kleine nichts.
„Du bist das gewöhnt, du hast schon so viele Kadaver gesehen“, sagen meine Freunde. „Aber das stimmt nicht, wie kann man sich daran gewöhnen, tote Kinder und tote schwangere Frauen zu sehen „ sagt der Arzt Pietro Bartolo, der die Flüchtlinge ärztlich behandelt, wenn es überhaupt noch etwas zu tun gibt. Wenn das Wetter schlecht wird, ist das Überqueren mit überladenen Booten schwieriger. Für die Fischer wird es ebenfalls ein hartes Unterfangen, auf offener See zu sein. Dann wünscht sich Maria das Lied „Fuocoammare“. Ein Begriff aus der Kriegszeit, der soviel bedeutet wie Kriegsschiffe feuern Raketen. Sie hofft damit auf Wetterbesserung.
Starke Momente
Der italienische Regisseur Gianfranco Rosi zeigt mit unaufgeregten aber aussagekräftigen Aufnahmen das Leben der Inselbewohner und das Schicksal der vielen Flüchtlinge, die die gefährliche Reise Richtung Lampedusa hinter sich gebracht haben. Misericordia, zu Deutsch Barmherzigkeit, steht auf dem Bus, aus dem Überlebenden umhüllt in goldenen Alumuniumfolien aussteigen. Im Chor singen Flüchtlinge über die Gräueltaten in Lybien, Syrien und Nigeria. Vor allem die Nachtaufnahmen, die Rosi mit einer speziellen Kamera aufgenommen hat, lassen den Zuschauer in diese Zwischenwelt im Mittelmeer abtauchen.
Eigentlich hatte Rosi einen Kurzfilm geplant, merkte aber schnell, dass er der Komplexität des Problems so nicht gerecht werden würde. Als er auf Lampedusa wegen einer Bronchitis zum Arzt muss, begegnet er zum ersten Mal Pietro Bartolo. Dieser erzählt ihm von seiner Arbeit mit den Flüchtlingen. Rosi beschliesst darauf einen Dokumentarfilm zu drehen. Rosi möchte ein anderes Bild der Insel zeigen, das normalerweise in den Medien vorherrscht. Doch die Schönheit und Naturbelassenheit der Insel bleibt dem Zuschauer verwehrt. Wie damals, als ich auf der Insel war, weiss ich auch jetzt nicht, wie die Inselbewohner mit ihrem Schicksal umgehen.
Gianfranco Rosi wurde an der diesjährigen Berlinale für den Film „Fuocoammare“ mit dem Goldenen Bär ausgezeichnet.
Kinostart: 01.09.2016 / Regie: Gianfranco Rosi / Mit: Samuele Pucillo, Mattias Cucina, Samuele Caruan
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