In «His Three Daughters» von Azazel Jacobs werden drei Schwestern nach Jahren der gegenseitigen Entfremdung in der Wohnung ihres sterbenden Vaters wieder vereint. Doch gibt es ausser dem Tod überhaupt noch etwas, was das Trio verbindet?
Vincent (Jay O. Sanders) liegt in einer kleinen New Yorker Wohnung, die er mit seiner jüngsten Tochter Rachel (Natasha Lyonne) bewohnt, im Sterben. Um gemeinsam ihren Vater auf seinem letzten Wegstück zu begleiten und von ihm Abschied zu nehmen, kehren Rachels Schwestern Katie (Carrie Coon) und Christina (Elizabeth Olsen) nach Hause zurück. Doch das Abschiednehmen erweist sich als alles andere als harmonisch.
Katie, die älteste der drei Schwestern, zeigt sich entsetzt über die Zustände, die sie zu Hause vorfindet. Die einzigen vorhandenen Lebensmittel sind Äpfel in der Gefriertruhe, und anstatt sich um Vater und Haushalt zu kümmern, verbringt Rachel ihre Zeit anscheinend lieber mit Kiffen und Sportwetten. Die zunehmenden Spannungen zwischen Katie und Rachel setzen Christina stark zu. Wenn sie nicht gerade ihrem sterbenden Vater Lieder vorsingt, bemüht sie sich darum, zwischen ihren Schwestern zu vermitteln, ja sogar eine Annäherung herbeizuführen. Doch gibt es nach all den Jahren überhaupt noch etwas, was die drei so unterschiedlichen Frauen, abseits des sterbenden Vaters, verbindet?

Carrie Coon und Elizabeth Olsen in «His Three Daughters» / Cr. Sam Levy/Netflix ©2024.
Azazel Jacobs‘ Film besticht mit einer stark reduzierten Inszenierung. Es gibt hauptsächlich zwei Handlungsorte: das Appartement – meist nur das Wohnzimmer und die Küche – und eine Parkbank in der Wohnsiedlung, wo Rachel ihre Joints raucht, nachdem sie von Katie aus der Wohnung verbannt wurde. Dadurch entsteht eine Ausweglosigkeit, einerseits vor dem Tod, andererseits aber eben auch vor der Konfrontation mit den Lebenden. Ebenso überschaubar wie die Orte fällt das Figurenensemble aus: Neben den drei titelgebenden Schwestern treten nur eine Handvoll weiterer Figuren auf, darunter der Hospizmitarbeiter Angel (Rudy Galvan) – und auch das nur kurz.
«Jacobs gelingt es dank kluger Dialoge und eines herausragenden Casts, diese Klischees nach und nach aufzubrechen und die darunterliegenden Persönlichkeiten im weiteren Verlauf immer stärker in den Vordergrund treten zu lassen.»
Im Zentrum stehen also ganz klar Vincents Töchter. Auf den ersten Blick liesse sich Regisseur und Drehbuchautor Jacobs («French Exit») vielleicht der Vorwurf machen, er zeichne seine drei Protagonistinnen etwas gar klischeehaft: Katie die herrische älteste Schwester, Rachel die verwahrloste Kifferin, Christina das naive Prinzesschen. Doch eben nur auf den ersten Blick. Denn Jacobs gelingt es dank kluger Dialoge und eines herausragenden Casts, diese Klischees nach und nach aufzubrechen und die darunterliegenden Persönlichkeiten im weiteren Verlauf immer stärker in den Vordergrund treten zu lassen. Und schliesslich sind es Coon («Fargo», «Ghostbusters: Afterlife»), Lyonne («Russian Doll», «Poker Face») und Olsen («Godzilla», «WandaVision»), die mit ihrem nuancierten Spiel dem nüchtern inszenierten, formal etwas streng geratenen Film die nötige Menschlichkeit verleihen.
Eine wichtige Figur ist bisher aber noch fast unerwähnt geblieben: Vincent, der sterbende Vater. Interessanterweise ist der Vater im deutschen Titel «Drei Töchter» komplett verloren gegangen, obwohl die Formulierung des Originaltitels «His Three Daughters» eben durchaus mit Bedacht gewählt ist. Denn der Vater spielt, auch wenn er bis kurz vor dem Ende unsichtbar bleibt, keine unwichtige Nebenrolle, ist er doch das Bindeglied zwischen den drei Schwestern und der Grund, warum sie noch einmal zusammenkommen.

Natasha Lyonne in «His Three Daughters» / Cr. Sam Levy/Netflix ©2024.
Ihm widmet das Drehbuch gegen Ende des Films eine zentrale Szene, die so plötzlich kommt, dass man sich von ihr fast ein wenig überrumpelt fühlt. Sie irritiert, weil sie Erzählrhythmus und -perspektive unerwartet aufbricht. Dieser Auftritt Vincents, von Jay O. Sanders («True Detective», «Bardo, falsa crónica de unas cuantas verdades») lustvoll zwischen widerständigem Trotz und Verletzlichkeit gespielt, mag darum fast schon wie ein Fremdkörper wirken. Doch gerade im Rückblick wird deutlich, wie die Szene den Film bereichert.
«Jacobs zeigt kein Interesse daran, sich am Leid oder der Tragik des Sterbens zu ergötzen. Er nimmt diese universelle menschliche Erfahrung als Anlass, die in ihr zum Vorschein tretenden, zutiefst menschlichen Werte, die uns als Menschen verbinden, auf ein filmisches Podest zu heben.»
Obwohl es in «His Three Daughters» primär ums Sterben, Abschiednehmen und um familiäre Konflikte geht, handelt es sich nicht um einen deprimierenden, bitteren Film. Im Gegenteil: Jacobs zeigt kein Interesse daran, sich am Leid oder der Tragik des Sterbens zu ergötzen. Er nimmt diese universelle menschliche Erfahrung als Anlass, die in ihr zum Vorschein tretenden, zutiefst menschlichen Werte, die uns als Menschen verbinden, auf ein filmisches Podest zu heben. Und das gelingt ihm und seinem Cast bar von Kitsch und überzeichneten Pathos.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Filmfakten: «His Three Daughters» / Regie: Azazel Jacobs / Mit: Carrie Coon, Natasha Lyonne, Elizabeth Olsen, Jay O. Sanders, Rudy Galvan, Jose Febus, Jovan Adepo / USA / 101 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 Netflix, Inc.
Auf ebenso kluge wie empathische Weise setzt sich Azazel Jacobs' «His Three Daughters» mit universellen Themen des menschlichen Lebens und Sterbens auseinander.
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