Ein erwachsen gewordener Guy Ritchie überrascht uns mit einer rasanten Gaunerkomödie vom Feinsten, die durch zahlreiche Handlungsebenen und fortlaufende Erzählwendungen die totale Aufmerksamkeit des Zuschauers erfordert. «The Gentlemen» ist eine spritzige, mit knallharten, witzigen und intelligenten Dialogen bepackte Schnitzeljagd, welche die vielen Figuren und Storys am Ende zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfügt – ohne dass allzu viel Blut fliesst.
Wovon träumt ein Mann, der sich ein Imperium aus Marihuanaplantagen aufgebaut hat, das Millionen abwirft? Er träumt davon, sich zurückzuziehen, eine Familie zu gründen und Golf mit der englischen Oberschicht zu spielen. Michael «Mickey» Pearson (Matthew McConaughey), ein Exil-Amerikaner, der vor über 20 Jahren an der Universität in Oxford mit dem Dealen von Gras erfolgreicher war als mit dem Studium, bietet sein Lebenswerk dem nicht minder exzentrischen amerikanischen Milliardär Matthew Berger (Jeremy Strong) an, dessen Weste sauber zu sein scheint. Dieser will aber Sicherheiten, gibt sich als guter Freund, ist in Wahrheit aber nicht bereit, die vereinbarte Summe zu bezahlen.
Irgendwie scheint sich dieses Vorhaben in Londons Unterwelt herumgesprochen zu haben, denn plötzlich wollen alle Klein- und Grosskriminellen ein Stück des begehrten Gras-Kuchens mit Tricks, Erpressung, zwielichtigen Angeboten und anderen Gaunereien für sich beanspruchen. Mickeys rechte Hand Ray (Charlie Hunnam) ist mit allerlei Aufräumarbeiten beschäftigt, und muss mit viel Geschick den schmierigen Ermittler Fletcher (grossartig: Hugh Grant) in Schach halten.
«Die Ereignisse überschlagen sich und vom Zuschauer wird die volle Aufmerksamkeit gefordert.»
Die Anfangssequenz beginnt mit einer Detailaufnahme, wo die ersten (wenigen) Blutspuren spielerisch im Bierglas versinken, was auf eine gewisse Noblesse hindeutet, die anders ist, als wir sie von der ungehobelten Pub-Britishness von «Lock, Stock and Two Smoking Barrels» und dem blutgetränkten Hinterhofcharme von «Snatch» kennen. Ein weiterer Unterschied zu diesen Filmen ist, dass Guy Ritchie in «The Gentlemen» ausnahmsweise auf schnelle Montagesequenzen verzichtet, was gut ist, denn die Geschehnisse überschlagen sich ohnehin schon und verlangen vom Publikum die volle Aufmerksamkeit. Nicht nur die parallelen Handlungsstränge und die zahlreichen Figuren verdichten den Film; auch die fortlaufenden Storywendungen machen ihn rasant und fügen sich erst gegen Ende schlüssig zu einem Ganzen zusammen. Insgesamt hat Ritchie hier unverkennbare Charaktere geschaffen, wie wir sie schon aus seinem Frühwerk kennen und schätzen.
Auch greift er auf bewährte Schauspieler*innen zurück und lässt seine Darstellenden in Rollen schlüpfen, die von ihren üblichen Filmfiguren abschweifen. So kennt man etwa Michelle Dockery hauptsächlich als die gute Seele Lady Mary Crawley von «Downtown Abbey». In der Rolle von Mickeys tougher Ehefrau brilliert sie durch Eloquenz, Sexiness und extremer Coolness (was so gar nicht ihrem Filmnamen «Rosalind» entspricht). Hugh Grant wiederum hat als schleimiger Ermittler, nach eigenen Angaben, mehr Text als in all seinen bisherigen Filmen zusammen – und wenn man «Four Weddings and a Funeral» oder «Notting Hill» als Vergleich herbeizieht, dürfte das durchaus zutreffen. Und gerade deshalb spielt er mit seinen grotesk-witzigen und gekonnt schwülstigen Monologen alle anderen an die Wand. Auch Matthew McConauhey («Dallas Buyers Club») überzeugt durch Raffinesse, Witz und messerscharfe Sprüche («Are you looking for your goolies or the exit?»), die so massgeschneidert sind wie die Anzüge, die er trägt.

Colin Farrell als gutmütiger Coach
Derweil hätte Colin Farrell («In Bruges») als schrulliger, aber gutmütiger Coach allein schon wegen seinem Outfit (und seiner Brille!) mehr Präsenz im Film verdient. Etwas zu kurz kommt auch Jeremy Strong als Mickeys Gegenspieler Matthew, der sonst mit jeder seiner Filmrolle bis ins kleinste Detail verschmilzt und erst nach den Dreharbeiten wieder zu sich kommt. Zu vorhersehbar und steif ist seine Rolle hier: Er dient mehr als Platzhalter, sodass er nicht die Brillianz entfalten kann, die man von ihm zum Beispiel aus der Serie «Succession» (2019) kennt.
Generell lebt der Film von den Nebenschauplätzen und den sich dort tummelnden Charakteren, darunter der durchgeknallte Dry Eye («Crazy Rich Asians»-Star Henry Golding), der seine Unberechenbarkeit nicht im Griff hat (und Mickeys Frau zu sehr unterschätzt). Zu den Höhepunkten gehören hier die skurrile Verfolgungsszene von Mickeys Troubleshooter, um an die Handys einiger Teenager zu gelangen, sowie die Choreografie eines Überfalls auf eine Hanfplantage. Ritchie rückt diese Nebenszenen, die parallel zur Story laufen, detailliert ins Bild, was seine Präzisionsarbeit unterstreicht und alle noch so scheinbar bösartigen Charaktere sympathisch macht. In seiner Detailverliebtheit nahm sich Ritchie sogar die Freiheit, dem hervorragenden Kostümdesigner Michael Wilkinson nachzuhelfen und mit Charlie Hunnam shoppen zu gehen, um ihn für den Film komplett einzukleiden.

Grossartig: Hugh Grant
«Ein Film für alle, die den schrägen Humor einer Gangsterkomödie und ihre schrulligen Charaktere lieben – wo selbst die abartigsten Sätze wie Poesie klingen und wir dabei viel über die Schwerkraft lernen.»
Fazit: Ein Film für alle, die den schrägen Humor einer Gangsterkomödie und ihre schrulligen Charaktere lieben – wo selbst die abartigsten Sätze wie Poesie klingen und wir dabei viel über die Schwerkraft lernen. Guy Ritchie nimmt nach seinen Hollywood-Auftragsarbeiten «King Arthur: Legend of the Sword» (2017) und «Aladdin» (2019) die Dinge wieder selbst in die Hand – daraus konnte ja nur etwas Gutes entstehen.
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Kinostart Deutschschweiz: 27.2.2020
Filmfakten: «The Gentlemen» / Regie: Guy Ritchie / Mit: Matthew McConaughey, Charlie Hunnam, Michelle Dockery, Jeremy Strong, Hugh Grant, Colin Farell, Henry Golding, u.v.m. / Grossbritannien / 108 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Ascot Elite Entertainment Group
Ein Film für alle, die den schrägen Humor einer Gangster-Komödie lieben. In Guy Ritchies Drehbuch klingen selbst die abartigsten Sätze wie Poesie.
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