Am Wochenende veröffentlichte «Atlanta»-Schöpfer und -Star Donald Glover, als Rapper bekannt unter dem Pseudonym Childish Gambino, zwei neue Songs und einen Videoclip. Der Clip zu «This Is America» ist surreal, verstörend und genial.
«Yeah, I’ma go into this», sagt Glover in die Kamera. Was genau er mit «this» meint, bleibt offen, lässt sich wohl am besten mit «Amerika im Jahr 2018» zusammenfassen. Inszeniert von «Atlanta»-Regisseur Hiro Murai, zeigt das Video eine albtraumhafte Kamerafahrt durch ein Lagerhaus: Was mit freudigem, wenn auch textlich ambivalentem Gesang zu beschaulicher Gitarrenmusik beginnt, wandelt sich schnell zum Schlachtfeld. Ein sich von Stil zu Stil tanzender Glover erschiesst erst den Gitarrenspieler, später einen ganzen Kirchenchor, während im Hintergrund, in der Unschärfe, mörderisches Chaos herrscht.
Ihr Thema künden Glover und Murai bereits im Titel von Video und Song an: «This Is America» – ein Rassist ist Präsident, umgeben von Rassisten und Kriminellen; Waffengewalt dominiert das Tagesgespräch; Minderheiten sind von Deportation bedroht; Polizeigewalt scheint im Wochentakt schwarze Leben zu fordern. Bebildert haben die beiden die Lage der Nation in spielerischer, sardonischer, erschreckender und vor allem hochgradig komplexer Manier – so komplex, dass sogar Film Crit Hulk, der Filmsemiotiker schlechthin, vor einer Analyse zurückschreckte:
This is one of the most brilliant, loaded semiotic pieces of art of the year and I am nowhere near equipped to take it on. https://t.co/2FofI7tmaI
— FILM CRIT HULK (@FilmCritHULK) May 6, 2018
Tatsächlich sollte die Auseinandersetzung mit «This Is America» auf keinen Fall mit der vorliegenden Annäherung, geschrieben von einem weissen Europäer, enden. Weiterführende Lektüren finden sich etwa bei Abiola Oke, Justin Simien («Dear White People»), Isaiah Persons und @kyalbr.
Doch wie Hulks Tweet zeigt, ist der Clip schlicht zu brillant, um ihn gänzlich unkommentiert zu lassen. Mit gnadenloser Schärfe verweben hier Glover und Murai Tanz-Memes mit amerikanischem Waffenwahn, (dem buchstäblichen) Jim Crow und – als Glover die Schnellfeuerwaffe auf den Gospel-Chor richtet – dem Terroranschlag von Charleston, South Carolina, bei dem am 17. Juni 2015 ein weisser Nationalist neun schwarze Kirchenbesucher ermordete.
Heraus kristallisiert sich ein messerscharf kritischer Blick auf eine Kultur, die sich durch Aufmerksamkeit heischende Manöver – etwa einen shirtlos tanzenden Donald Glover – von der tief in der Geschichte verwurzelten Gewalt des amerikanischen Alltags ablenken lässt. Polizisten stürmen durchs Bild, Autos brennen, Menschen werden hingerichtet, Waffen mit Samthandschuhen angefasst. «Guns in my area / I got the strap / I gotta carry ‚em» – die rassistischen Zyklen der Gewalt sind ersichtlich, von Black-Lives-Matter-Aktivisten mit Handykameras festgehalten, doch man konzentriert sich lieber auf andere, fröhlicher stimmende Dinge.
Und wenn Glover am Ende, wie Daniel Kaluuya in «Get Out», mit panisch weit aufgerissenen Augen vor einer unscharfen – aber unverkennbar weissen – Menge flieht, wird klar, dass sich Rassismus nicht aus der Welt lächeln lässt. Frei nach James Baldwin: «Not everything that is faced can be changed. But nothing can be changed until it is faced.» Das ist es, was «This Is America» von uns will: dass wir dem sozialen Horror ins Auge blicken.
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Filmfakten: «This Is America» / Artist: Childish Gambino / Regie: Hiro Murai / Mit: Donald Glover, SZA / USA / 4 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Donald Glover / Glassnote Records
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