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Wie Animations-Künstler Hisko Hulsing Kurt Cobain ein Gesicht gab


Ich finde es ist nie zu spät. Vor allem nicht für ein gutes Gespräch, dass sich um die Ikone aus den 90er-Jahren, Kurt Cobain, dreht. Und wenn der Mann, der ihn für den gelungenen Dokumentarfilm „Montage of Heck: Kurt Cobain“ animiert hat, auch noch in derselben Stadt lebt wie ich, dann finde ich: Nothing in the way.

Erster Kontakt – Come as a friend

„Hoi Claudia, ich bin gerade in L.A. und bin nächste Woche zurück.“ Hisko Hulsing, Künstler und Animator ist ein total unkomplizierter Typ. Seit er die Animationen für den Dokumentarfilm über Grunge-König Kurt gemacht hat, ist er immer wieder mal in L.A. Doch auch wenn er gerade viel um die Ohren hat – für ein Interview ist er total offen und nimmt sich dafür gerne die Zeit. Ich treffe ihn in seinem Studio. Ich erwarte an die 20 Mitarbeiter. Da sitzt allerdings nur einer. Als ich den Raum betrete ist Hisko auf Twitter und sieht sich die letzten Reaktionen an. Er spricht gleich drauflos. Als würden wir uns schon lange kennen. Aus dem Interview wird demnach auch nichts. Dafür wird es ein langes Gespräch – wie unter Freunden.

Hollywood ruft an – Oh, me

Der Dokumentarfilm „Montage of Heck: Kurt Cobain“ stand. Der Regisseur Brett Morgen wusste, dass der Film solide war. Die Animationen waren die Achillesferse. Szenen, mit welcher die Dokumentation schwach oder brillant ausfallen konnte. Dann stiess Morgen auf Hisko Hulsing, ein Künstler in Amsterdam. Morgan sah den Animationsfilm „Junkyard“ der Hulsing von A bis Z selber produziert hatte (selbst die Musik hat er komponiert, der Film hat mittlerweile an die 24 Preise gewonnen). Danach rief er Hisko einfach an.

Claudia Müller: Wie war es für Dich zu hören, dass du Kurt Cobain, ein Gesicht, dass jeder kennt, zum Leben erwecken solltest?
Hisko Hulsing: Der Regisseur wollte zuerst nicht, dass man sein Gesicht sieht. Er glaubte nicht, dass es funktioniert. Aber mein digitales Modell hat ihn doch überzeugt. Allerdings war es sehr schwierig, ihn zu zeichnen. Er hat ein sehr schönes Gesicht, keine echten Merkmale. Als ich dann seine Schwester gesehen habe, die ihm doch ähnlich sieht, hatte ich mehr Anhaltspunkte.

Auftragsarbeit – Rape me

Wie war für dich die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Brett Morgen?
Als er mich anrief, dachte ich, dass ich viel mehr Freiheit hätte. Er sendete mir das Script und ich schrieb Kommentare dazu. Das war natürlich nicht so gedacht (lacht, ich auch, weil sein Lachen so ansteckend ist).

Brett Morgen war sieben Jahre lang damit beschäftigt, den Dokumentarfilm auf die Beine zu stellen. Die zehn Studios in Hollywood, die er für Animationen angefragt hatte, überzeugten ihn nicht. Natürlich freute sich Hulsing über den Auftrag. Doch als selbständiger Künstler und Animator, der sich gewohnt ist seine Entscheidungen selbst zu fällen, war es nicht immer einfach. Hisko Hulsing, der lebendig und energetisch von seiner Erfahrung erzählt, sagt denn auch: „Die ersten zwei Monate waren schwierig, danach hatten sie Vertrauen und es ging besser.“ Der Regisseur Brett Morgen, der selbst auch nervös war, zeigte sich die ersten zwei Wochen mit den Vorschlägen nicht zufrieden, obwohl Hisko mit den besten seines Fachs zusammen arbeitete. Zur gleichen Zeit machten die Produzenten Druck, dass er die Deadlines einhielt. Amerika wurde wach, als Hisko eigentlich zu Bett gehen sollte. Doch nachts kamen die Anrufe, das Feedback. Mit dem Kopf voller Gedanken viel es Hisko schwer müde zu werden. „Mein Herz schlug nicht mehr so, wie es sollte.“ Der Zeitdruck machte aus dem Einmann-Atelier ein Studio. Hisko musste Freelancer beauftragen, da er nicht wie bei seinem eigenen Film, alles selber zeichnen und auch noch animieren konnte. Dafür war die Zeit zu knapp. Der Auftrag wurde zum Monsterprojekt, dass ihn fast erdrückte. „Eines Nachts sah ich um ein Uhr wieder einen Anruf in Abwesenheit. Ich dachte, ich muss aufhören, sonst kriege ich einen Herzinfarkt.“ Hisko schrieb eine Nachricht als Entwurf, indem er sich vom Auftrag zurück ziehe. Aus Versehen drückte er auf den falschen Knopf. Versenden. Es war eine Kurzschlussreaktion, welche Hisko aber auch den Regisseur in Panik versetzte. Am nächsten Tag ging es weiter. Hisko sass wieder in seinem Studio und malte. Nach einem grossen Screening in Amerika war klar: Die Animationen, des Fillms Achillesferse, wurde zur Stärke. Das Publikum aber auch die Familie von Cobain war von Hiskos Animationen begeistert. Von da an war der Regisseur beruhigt. Und Hisko arbeitete weiter, jeden Tag an die 14 Stunden. Als Künstler und Projektleiter: täglich malte er eines der insgesamt 55 Ölgemälde, den Rest der Zeit, koordinierte er die Arbeit der anderen.

Arbeitsweise – Bambi slaughter

Der Regisseur hat dich wegen deines „rauen Stils“ gewählt. Ich fand die Animation allerdings sehr schön. Was ist mit „rau“ genau gemeint?
Damit ist der Pinselstrich gemeint, man sieht den Strich, da ist keine Perfektion wie bei computeranimierten Landschaften. Man sieht, dass es von Hand gemalt ist.

Walt Disney’s Bambi ist ein Film, der Hisko gerne als Vorbild nimmt, für eine künstlerische Ausführung, die es heute fast nicht mehr so gibt. „Natürlich ist Bambi ein bisschen Kitsch, aber ich sehe eine künstlerische Ambition dahinter, die ich heute in grossen Produktionen nicht mehr sehe.“ So arbeitete zu Beginn Disney beispielsweise mit Künstlern wie Salvador Dali oder dem Komponisten Igor Stravinsky zusammen. Heute ist der künstlerische Aspekt verloren gegangen, findet Hisko. Im Mittelpunkt steht die Unterhaltung. So aufwendig wie der sympathische Künstler arbeitet heute fast niemand mehr. Ölbilder werden bei ihm zum Leben erweckt. Wie zu Zeiten von Bambi eben. Trotz den vielen Komplimenten und der grossen positiven Resonanz ist der Künstler doch kritisch. Die Gesichter wirken – das findet sein 11-jähriger Sohn vor allem – mehr computeranimiert als noch in seinem letzten Film, „Junkyard“, für den er sechs Jahre brauchte.

Zwischen Dokumentation und Fiktion – Smells like Teen spirit

Im Dokumentarfilm sieht man in einem der animierten Szenen Kurt Cobain mit ein paar Freunden in Aberdeen, die jeweils ein Haus aufsuchen, wo ein dickes Mädchen lebt. Dem Tonband nach wollte Kurt mit dem Mädchen schlafen.

Hattest du für die Szene mit den Teenagern und dem Mädchen im Haus Fotos?
Nein. Dieses Mädchen hat es wahrscheinlich nie gegeben.

Was?
Wir hatten alleine das Tonmaterial von Kurt Cobain selbst. Wir wissen nicht, ob es so war. Ich habe mich mit Aberdeen und den Menschen die dort leben auseinandergesetzt. Danach konnte ich aus dem Kopf heraus die Figuren zeichnen. Die einzige Quelle war das Tonband. Diese ist nicht wörtlich zu nehmen.

Dass ein Dokumentarfilm mit Animation und Footage auskommt, ist seit dem Film des israelischen Regisseurs Ari Folman Waltz with Bashir (2008) nicht mehr neu. Trotzdem: Implizieren reale Videoaufnahmen nicht eine Realität, welche bei den eingebetteten Animationen denselben Anspruch erheben könnten? „Vor allem in Russland wird zurzeit Animation als Propagandamittel benutzt. Die Menschen glauben, was sie sehen, wenn es um den Flugzeugabsturz der MH17 geht,“ sagt Hulsing. Ein Beispiel, wie Animation Realität wird. Doch beim Dokumentarfilm über Kurt Cobain, da funktionieren die Animationen als eine emotionale Innenwelt, die sich mit der Tonbandspur optimal ergänzt. Wird der Dokumentarfilm in Zukunft mehr mit Animationen arbeiten? Vielleicht auch, weil „Montage of Heck: Kurt Cobain“ so gut angekommen ist? Darauf weiss Hulsing aber auch ich keine Antwort.

Des Künstlers Luxusproblem – Something in the Way

Jetzt steht dir alles offen, du könntest auch dein eigenes Projekt tun?
Ja, aber ich weiss nicht, was ich tun möchte.
Wenn du ein Projekt machen würdest, wäre es dann eher etwas Persönliches?
Schau, der Dokumentarfilm Montage of Heck ist so erfolgreich, wie ich es nie erwartet hatte. Darum möchte ich jetzt zuerst schauen, was für Angebote reinkommen. Aber ich weiss, dass ich tief in meinem Herzen einfach schönes Schaffen will.

Hisko stellt die Musik an, wir hören ein klassisches Stück von Dimitri Shostakovich, einem russischen Komponisten. Er taucht ab in seine Welt der Bilder, sieht ein visuelles Spektakel vor sich. Die Musik ist gewaltig. Das Telefon klingelt: „Sorry, ja, ich hab die Musik abgestellt.“ Sein 11-jähriger Sohn ruft an, um seinen Vater zu warnen, dass die ganze Nachbarschaft die Musik hören kann. Es ist eine der vielen Ideen, die Hisko hat. Das mit dem Musikstück. Er lässt seinen Gedanken freien lauf, zensuriert diese nicht. Seit dem Erfolg mit Dokumentarfilm über Kurt Cobain stehen dem holländischen Künstler viele Türe offen. Er könnte seinen eigenen Feature Film machen, ein Musikvideo für einen bekannten US-Rapper drehen oder einfach sein eigenes Ding drehen. Doch dies bereitet dem Künstler Kopfzerbrechen. Er kann zwischen vielen Optionen wählen. Ein Luxusproblem, wie er selbst findet. Nevermind. „Am liebsten würde ich allerdings einfach malen,“ sagt er.

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Vita
Hisko Hulsing (1971) hat an der Willem de Kooning Academie in Rotterdam studiert. Seine eigenen Filme (Seventeen, 2004 und Junkyard 2012) hat er selbst geschrieben und produziert. Junkyard ging 2013 als Bester Animationsfilm ins Rennen für die Oscars und hat bisher an die 24 Preise gewonnen. Neben seiner Arbeit als Künstler arbeitete er auch immer wieder als Illustrator oder entwickelte Storyboards für Werbeunternehmen. Hisko wohnt zusammen mit der Violistin Carmen Eberz und seinem Sohn Dario (11) in Amsterdam.
www.hiskohulsing.com

Bilder: http://cobainfilm.com/

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