Der erste Teil von Kevin Costners megalomanischem Herzensprojekt «Horizon: An American Saga» ist der gelungene und vielversprechende Auftakt zu dem auf stolze vier Filme ausgelegten «Western aller Western», der sich auf die Fahne geschrieben hat, nicht weniger als den Gründungsmythos der weissen Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents neu zu erzählen. Herausgekommen ist ein gewaltiger Appetithappen, der trotz seiner drei Stunden Laufzeit Lust macht, direkt den nächsten Teil anzuhängen.
Auch wenn Kevin Costners erster nennenswerter Schauspieleinsatz eher unglamurös ausfiel – als Leiche in Lawrence Kasdans Komödie «The Big Chill» (1983) –, war dies der Startschuss zu einer eindrücklichen und turbulenten Hollywood-Karriere, die von imposanten Höhenflügen («JFK») bis groben Bauchlandungen («The Postman») alles abdeckt. Bereits zwei Jahre nach «The Big Chill» fand sich Costner – wieder unter der Regie von Kasdan – unter illustren Hochkarätern wie Kevin Kline, Rosanna Arquette, Danny Glover und Jeff Goldblum im Action-Western «Silverado» (1985) wieder, wo wohl seine Liebesbeziehung zum Westerngenre begann, dem er bis heute – entgegen allen Widrigkeiten und bisweilen auch gegen jede Vernunft – die Treue schwört.
Auf «Silverado» folgten Brian De Palmas «The Untouchables» (1987), ein Western im Prohibitionsgewand, und ein längeres Intermezzo mit Baseball-Filmen, einem weiteren US-Heiligtum, bevor er 1990 mit «Dances with Wolves» seine erste grandiose Western-Grosstat vollbrachte. Costner bemühte sich, seinen Western von den Klischees zu entfernen, die dem Genre seit jeher anhafteten. Besonders die Zeichnung der amerikanischen Ureinwohner, denen im klassischen Western meistens die Rolle der Plünderer, Diebe und Feinde zukam, wurden in ein realistischeres Licht gerückt und von der konventionellen Schwarzweiss-Darstellung weitgehend befreit. Gerade für diese Bestrebungen waren sieben Oscars für den Film und für Costner die Bestätigung, dass es in der Filmwelt einen Platz gibt für seine Herzensprojekte.
Ein solches trägt er mit «Horizon: An American Saga» seit gut 30 Jahren mit sich herum. Und wie beim echten Horizont schien sich sein Ziel immer weiter nach hinten zu verschieben, je mehr er sich darauf zubewegte. Seine Western-Liebe konnte er in der Zwischenzeit mehrfach ausleben und hat im Kino in einigen der schönsten («Open Range») und bildgewaltigsten («Wyatt Earp») Western der Neuzeit mitgewirkt und das Genre zusammen mit Taylor Sheridan,in der enorm erfolgreichen Serie «Yellowstone» (2018– ), auch ins jüngste Serien-Zeitalter gehievt.
Über Costners Ausstieg auf der Zielgeraden von «Yellowstone» wurde lang und breit spekuliert und diskutiert, hatte letzten Endes aber wohl mit einer Unvereinbarkeit der beiden Drehpläne zu tun. Costner hatte lange genug gewartet und wollte sich endlich seinem Western-Leinwandepos widmen, das ihm offenbar wirklich wichtig ist: Nicht nur finanziert er einen beträchtlichen Teil des Projekts aus der eigenen Tasche (wie dieses Jahr auch Francis Ford Coppola bei seinem dekadenten Dekadenwerk «Megalopolis»); auch heissen sowohl seine Hauptfigur als auch sein Sohn Hayes – sozusagen eine lebende Erinnerung daran, sein Herzensprojekt nicht aus den Augen zu verlieren.
«Entgegen dem Zeitgeist hat sich Costner löblicherweise gegen das Fernsehen entschieden und gönnt seinem Monument die grosse Leinwand – wo der Film definitiv hingehört.»
Nun hätte er es sich einfach(er) machen können und, auf seinem beträchtlichen «Yellowstone»-Erfolg aufbauend, aus dem voraussichtlich zwölfstündigen «Horizon»-Material eine weitere (Mini-)Serie drehen können. Doch entgegen dem Zeitgeist hat sich Costner löblicherweise gegen das Fernsehen entschieden und gönnt seinem Monument die grosse Leinwand – wo der Film definitiv hingehört. Hier lassen sich die typischen Schauplätze – die Weiten, die Prärien, die matschigen Schneelandschaften, die sonnendurchfluteten Waldlandschaften in den Bergen Wyomings – am schönsten betrachten.
Und von denen gibt es einige in dieser Geschichte, die hauptsächlich im Jahr 1861 in New Mexico angesiedelt ist. Der amerikanische Bürgerkrieg steht vor der Tür und die ersten Vorboten des Grauens erschüttern den Süden Nordamerikas. Weisse Pioniere versuchen, das Gebiet der Apachen zu besetzen, stossen dabei auf brutale Gegenwehr. Aber auch unter den Siedlern, die allesamt auf der Suche nach einem neuen Zuhause in der als Zufluchtsort versprochenen Stadt Horizon sind, wachsen die Konflikte zunehmend. Als der Vater der berüchtigten Sykes-Brüder Caleb (Jamie Campbell Bower) und Junior (Jon Beavers) getötet wird, sinnen die beiden auf blutige Rache. Ihr Weg kreuzt sich dabei auch mit dem Cowboy Hayes Ellison (Costner).
Dies sind nur einige der mindestens sechs Handlungsstränge, die in «Horizon: An American Saga – Chapter 1» angerissen werden. Wie es bei so einem Mammutprojekt zu erwarten ist, setzt sich das übliche Westernpersonal über die gesamte Laufzeit wie ein grosses Mosaik langsam zusammen: verwegene Abenteurer auf der Suche nach Erfüllung, ein Siedlertreck auf der Suche nach einer neuen Heimat, dreckige Banditen auf der Suche nach dem nächsten Skalp, den sie verschachern können, und eine dreckige Redneck-Sippe, die zuerst ballert und dann keine Fragen stellt. Auch der edle Offizier mit einem Herz für die Native-Americans, die Greenhorns, die ebendiese wie Tiere im Zoo bestaunen, und die Sexarbeiterin mit einem Herz für aufrechte Männer und kleine Kinder haben ihren Auftritt, ebenso wie jene Indigenen, die nicht verstehen, was all die Weissen in ihrem Land wollen und sich brutal gegen die Invasoren wehren, und jene, die bedacht mit der Situation umgehen wollen.
«Bei dieser Menge an Personal werden die einzelnen Figuren verständlicherweise noch nicht komplett ausgeleuchtet – dafür bleibt in der geplanten Tetralogie (hoffentlich) noch genug Zeit.»
Bei dieser Menge an Personal werden die einzelnen Figuren verständlicherweise noch nicht komplett ausgeleuchtet – dafür bleibt in der geplanten Tetralogie (hoffentlich) noch genug Zeit. Aus dem unübersichtlich grossen Ensemble stechen eine Handvoll Figuren hervor: Sienna Miller («American Sniper», «The Lost City of Z») lässt einen als eine der wenigen Überlebenden eines blutigen Apachen-Angriffs mächtig mitfühlen; Jamie Campbell Bower («The Twilight Saga: Breaking Dawn», «Stranger Things») lässt einen an seinem Klaus–Kinski-Channeling teilhaben; Sam Worthington («Hacksaw Ridge», «Avatar: The Way of Water») ist als Offizier ausnahmsweise nicht ein blasses Abziehbild, sondern zieht einen mit seiner ehrlich-naiven Art auf seine Seite; während Abbey Lee («Old», «Lovecraft Country») als Prostituierte ebenso verführerisch wie sympathisch-einnehmend ist. Michael Rooker («The Walking Dead», «Guardians of the Galaxy») wiederum lädt als Sergeant mit Herz einfach dazu ein, ihn lange und doll drücken.
Die Rolle des bescheidenen und aufrichtigen Cowboys mit der flinken Schusshand hat Kevin Costner natürlich für sich selbst reserviert und füllt seine Figur mit viel Wärme und gewinnender Präsenz – auch wenn sein erster Auftritt eine geschlagene Stunde auf sich warten lässt. An dieser Stelle darf man auch erwähnen, dass es ein Genuss ist, Costner beim Reiten zuzuschauen – denn kein*e Hollywood-Mim*in beherrscht das so geschmeidig wie er.
Die restlichen Figuren sind klar genug gezeichnet, dass ihre Motivation jederzeit nachvollziehbar ist, man stets mitfiebert und gespannt ist, wie sie die kommenden Abenteuer meistern werden. Dazu tragen auch zwei brutal-intensive Actionszenen bei, die zu den potenziell stärksten des Kinojahrs zählen dürften und welche die Spannungsschraube zwischenzeitlich zünftig anziehen, bis es dann wieder mit den diversen interessanten Storyentwicklungen weitergeht.
«Erzählerisch ist ‹Horizon: An American Saga – Chapter 1› zugegebenermassen zwar nur ein dreistündiger Prolog – aber was für einer.»
Irritierenderweise geht der Film am Schluss, nach ganzen drei Stunden, fast fliessend in den Trailer für den nächsten Teil über und lässt auf einen möglichst zeitnahen Release von «Chapter 2» hoffen. Möglicherweise kann die Tetralogie «Horizon: An American Saga» letzten Endes nur als Gesamtwerk bewertet werden, aber in diesem ersten Kapitel von Kevin Costners wahnwitzig-ambitioniertem Traum ist seine Liebe für das Genre in fast jeder Einstellung zu spüren. Erzählerisch ist «Chapter 1» zugegebenermassen zwar nur ein dreistündiger Prolog – aber was für einer.
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Filmfakten: «Horizon: An American Saga – Chapter 1» / Regie: Kevin Costner / Mit: Kevin Costner, Sienna Miller, Sam Worthington, Jena Malone, Owen Crow Shoe, Tatanka Means, Abbey Lee, Michael Rooker, Jamie Campbell Bower, Danny Huston, Luke Wilson, Jon Beavers / USA / 181 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.
«Horizon: An American Saga» könnte als Tetralogie die Krönung von Kevin Costners Schaffen werden. «Chapter 1» ebnet den Weg mit viel Leidenschaft und grossartigen Bildern.
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