Nach «Love, Actually» erzählt der britische Drehbuchautor Richard Curtis einmal mehr eine Weihnachtsgeschichte. Der charmante Animationsfilm «That Christmas», bei dem der Schweizer Simon Otto Regie führte, erzählt von einem verschneiten, beinahe scheiternden Weihnachtsfest in einem kleinen Küstenstädtchen. Das verwirrte Drehbuch machen Curtis und Otto mit viel Charme und liebenswerten Figuren wett.
«I hate the lovely old Christmas film», schimpft der kleine Junge in «That Christmas», dem Regiedebüt des Schweizer Animationsfilmers Simon Otto. Der Filmausschnitt, der zuvor zu sehen war, und auf den sich der Junge bezieht, stammt aus «Love, Actually», der Kult-Schmonzette des Briten Richard Curtis aus dem Jahr 2003. Und natürlich kann es sich ebendieser Curtis nicht verkneifen, im von ihm geschriebenen «That Christmas» einen kleinen Seitenhieb auf seinen anderen Weihnachtsfilm zu verstecken – fast, als wollte er sagen: «Jetzt reicht’s, gebt den Jungen neue Weihnachtsklassiker!»
Denn 2003 ist schon ein Weilchen her, und dass es seither keinem Weihnachtsfilm mehr gelungen ist, sich so richtig im Gedächtnis der Allgemeinheit zu verankern, dürfte auch Curtis nicht entgangen sein. Aus diesem Grund schickte er sich vor einigen Jahren an, zusammen mit dem Drehbuchautor Peter Souter («Married Single Other») drei eigene Kinderbücher zu einem Animationsfilm zusammenzuführen. «That Christmas» dreht sich um das Leben einiger Kinder – und ihrer Familien – im fiktiven Küstenstädtchen Wellington-on-Sea, das an Weihnachten von einen grossen Schneesturm mächtig auf den Kopf gestellt wird. Da kann selbst der Weihnachtsmann (gesprochen von Brian Cox) nur begrenzt für Ordnung sorgen.
Dass «That Christmas» und «Love, Actually» aus der Feder desselben Mannes stammen, überrascht nicht – dafür sind sich die Filme viel zu ähnlich. Curtis, der als Drehbuchautor für moderne Klassiker wie «Four Weddings and a Funeral» (1994), «Notting Hill» (1999) oder «Bridget Jones’s Diary» (2001) verantwortlich ist, ist auch in «That Christmas» – wenngleich an ein jüngeres Publikum gerichtet – noch immer der gleiche alte Romantiker, der an das Gute in den Menschen und die eine wahre Liebe glaubt und das alles mit ein bisschen Magie anreichert. Auch hier verwebt Curtis die Erlebnisse mehrerer Individuen zu einem grossen Ganzen, wenn auch mit dem Unterschied, dass «That Christmas» nicht in London, sondern in einem kleinen Küstenstädtchen spielt und es dadurch weniger spektakulär ist, dass sich die einzelnen Figuren kennen. Trotzdem: Die Formel ist ähnlich – ja sogar das wirre Krippenspiel mit seinen sonderbaren Tieren und der hoffnungslos in ein Mädchen aus der Schule verknallte Junge aus «Love, Actually» finden in «That Christmas» ihr Gegenstück.
Vielleicht liegt es daran, dass «That Christmas» eher an ein jüngeres Publikum gerichtet ist – und somit die Liebesgeschichten, bis auf die erwähnte Schulschwärmerei des jungen Danny (Jack Wisniewksi), in den Hintergrund rücken –, aber der Film ist erzählerisch eine holprige Angelegenheit, die nicht so richtig zusammenfinden will. Das beginnt beim rasanten Start, bei dem einem die Beziehungen der einzelnen Figuren etwas gar lange verschwiegen werden, und endet beim plötzlich ungemein dramatischen dritten Akt, der mit dem restlichen Tonfall des Films überhaupt nicht harmoniert.
«Alleine dafür, dass ‹That Christmas› die ganzen unfassbar toxischen Beziehungen von ‹Love, Actually› fehlen, muss man den Film gernhaben.»
Sicher, dazwischen finden sich einige Curtis’sche Perlen, bei denen der Meister des Kitsches noch einmal eindrücklich seine Stärken ausspielt: Die ungleiche Freundschaft zwischen Danny und seiner strengen Lehrerin ist liebevoll und authentisch inszeniert; und wenn der von Brian Cox («Succession») gesprochene Weihnachtsmann von Weihnachten als «emotional magnifying glass» spricht, also als Emotionslupe, die Menschen, die sich glücklich fühlen, noch glücklicher fühlen lässt und traurige noch trauriger, dann wird einem zwangsläufig ein bisschen warm ums Herz. Und alleine dafür, dass «That Christmas» die ganzen unfassbar toxischen Beziehungen von «Love, Actually» fehlen, muss man den Film gernhaben.
Dass wir bei all dem noch nicht über den Regisseur dieses Films geredet haben, liegt an seiner untergeordneten Rolle in diesem Projekt, das von Netflix auch mit Betonung auf den Co-Autor Curtis beworben wird, soll aber nichts über seine Arbeit aussagen. Für Simon Otto, der bis vor fünf Jahren noch bei DreamWorks angestellt war, wo er für das Figurendesign der beliebten Drachenwesen in der «How to Train Your Dragon»-Reihe verantwortlich zeichnete, ist «That Christmas» nämlich ein gelungenes Regiedebüt, das die Stärken des Drehbuchs so sehr herausstreicht, dass die Schwächen beinahe kaschiert werden.
Auch für das britische Studio Locksmith Animation ist «That Christmas» ein gefühltes Debüt, ist der Film nach «Ron’s Gone Wrong» (2021) doch erst der zweite Langfilm. Dass die von Rupert–Murdoch-Erbin Elisabeth Murdoch finanzierte Trickfilmbude zwar über beträchtliche Mittel verfügt, aber dann doch nicht ganz so viele wie amerikanische Animationsschmieden, merkt man dem Film zwar an; wirklich ins Gewicht fällt das aber nicht. Denn auch hier können Otto und Locksmith allfällige budgettechnische Unzulänglichkeiten mit viel Charme und liebevollen Details übertünchen und dem Städtchen Wellington-at-Sea und seinen Bewohner*innen viel Leben einhauchen. Es hilft sicher auch, dass diese über gut besetzte Stimmen verfügen: Insbesondere Fiona Shaw («Harry Potter», «Andor», «True Detective: Night Country») als strenge Lehrerin und Rhys Darby («What We Do in the Shadows», «Our Flag Means Death») als schusseliger Familienvater sind eine Freude. Einmal mehr gilt: Günstig muss nicht billig heissen.
«Der Film punktet mit viel Liebe, Witz und solidem Animationshandwerk.»
Dass «That Christmas» wohl eher nicht der erste grosse Weihnachtsklassiker seit «Love, Actually» sein wird, ist nicht weiter schlimm, denn der Film punktet auch so mit viel Liebe, Witz und solidem Animationshandwerk. Das ist sowohl für das junge Studio Locksmith Animation als auch für den Regiedebütanten Simon Otto allermindestens eine vielversprechende Ausgangslage.
Über «That Christmas» wird auch in Folge 79 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
Regisseur Simon Otto hat sich in einem Interview-Special vom Maximum Cinema Filmpodcast mit Olivier Samter über «That Christmas» unterhalten.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Filmfakten: «That Christmas» / Regie: Simon Otto / Mit: Brian Cox, Fiona Shaw, Jodie Whittaker, Bill Nighy, Lolly Adefope, Alex Macqueen, Katherine Parkinson, Sindhu Vee / Grossbritannien, USA / 92 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Cr. Courtesy of Netflix © 2024
Was dem Animationsfilm «That Christmas» beim Skript fehlt, macht er mit charmanten Figuren und viel Herz wett. Es wird spannend sein, zu sehen, an was sich Simon Otto als Nächstes heranwagt.
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