Das Regiedebüt von Anna Rose Holmer ist eine poetische, ruhige und doch aufwühlende Geschichte über das Heranwachsen und Frauwerden eines jungen afroamerikanischen Mädchens.
In Tonis (Royalty Hightower) Alltag gibt es nur das Boxen. Tagtäglich trainiert sie in der Boxhalle mit ihrem älteren Bruder ihre Technik, die Schnelligkeit ihrer Schläge, stählt ihren jungen Körper mit Situps und Klimmzügen, steigert ihre Kondition mit endlosem Treppenlaufen. Und die burschikose Toni fühlt sich wohl in dieser Welt, umgeben von jungen Männern, die dasselbe tun. Bis sie in der Turnhalle nebenan das Mädchentanzteam beim Üben ihrer kraftvollen Choreographien und den Tanzbattles beobachtet. Fasziniert tritt Toni der Gruppe bei, und taucht ein in die feminine Welt des Tanzes. Doch kurz darauf ereignen sich merkwürdige Dinge: Eine nach der anderen der älteren Mädchen geraten beim Training in heftige Schüttelanfälle und Atemnot. Wie jemand, der in einem Voodoozauber von einem bösartigen Geist befallen wird, oder wie die puritanischen Mädchen im frühneuzeitlichen Salem, die von Hexen verflucht worden sein sollen.
Die Ursache, so wird vermutet, sei verunreinigtes Trinkwasser in der Sportanlage. (Die Parallelen zur Trinkwasserkrise im amerikanischen Flint lassen sich, wohl durchaus gewollt, kaum ignorieren). Aber steckt da nicht doch was anderes dahinter? Diese Frage stellt sich auch Toni, geängstigt und zugleich fasziniert von den Vorfällen. Könnte es nicht auch sein, dass die Anfälle etwas mit der Weiblichkeit der Mädchen, mit ihrer Reife, zu tun hat? Schliesslich trifft es die älteren Mädchen, deren Körper schon entwickelt sind, die schon sexuelle Erfahrungen gemacht haben, mit den Jungs flirten.
Kindsein und Frauwerden
«The Fits» ist denn auch zuallererst eine Reflexion über diesen fragilen und beängstigenden Moment zwischen Kindsein und Frauwerden, und allen Veränderungen, Unsicherheiten, Gefahren und Chancen, die dieser mit sich bringt. Der Film zeigt Toni, wie sie – neugierig und ängstlich zugleich – langsam in eine neue, weibliche Sphäre eintaucht. So sticht sie sich zunächst mutig Diamantstecker ins Ohrläppchen, lässt sich Klebtattoos und Nagellack auftragen, nur um diese später wieder abzuklauben, die Ohrringe rauszunehmen. Die (körperlichen) Veränderungen sind Toni noch unwohl, der Wunsch dazuzugehören ist stärker.
«The Fits» ist denn auch zuallererst eine Reflexion über diesen fragilen und beängstigenden Moment zwischen Kindsein und Frauwerden, und allen Veränderungen, Unsicherheiten, Gefahren und Chancen, die dieser mit sich bringt.
Der Kontrast zwischen der femininen Welt des Tanzes und der maskulinen Boxhalle zieht sich durch den ganzen Film, narrativ und visuell. Die Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Geschlecht ist das zentrale Thema. Dabei schafft „«The Fits» eine fast traumhafte Atmosphäre. Man erlebt die Geschichte aus der Perspektive dieses jungen Mädchens, welches nicht immer versteht, was um sie herum passiert. Dabei kommt «The Fits» fast gänzlich ohne Dialoge aus, hier sprechen die Körper der Figuren. Die Bewegungen sind oft in Zeitlupe, der Ton ausgeblendet, sodass sich der Blick auf den körperlichen Ausdruck fokussiert. Es ist ungewohnt und aussergewöhnlich schön, dass farbige Körper so in Szene gesetzt werden: Kraftvoll, nicht sexualisiert, athletisch, nicht aggressiv. Was nicht zuletzt auf die umwerfende schauspielerische Leistung der damals gerade mal 10-jährigen Royalty Hightower zurückzuführen ist.
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Regie: Anna Rose Holmer / DarstellerInnen: Royalty Hightower, Alexis Neblett, Lauren Gibson, Inayah Rodgers, Da’Sean Minor. 72 Min
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