In der schwindelerregend überladenen – und genau darum so beeindruckenden – Netflix-Produktion «Da 5 Bloods» widmet sich Kult-Regisseur Spike Lee zwei amerikanischen Kriegen: dem in Vietnam und dem, den die USA Tag für Tag gegen ihre schwarze Bevölkerung führt.
Seit er 1986 mit der Lo-Fi-Beziehungskomödie «She’s Gotta Have It» sein Langspielfilmdebüt feierte, hat sich Spike Lee als einer der wichtigsten Kino-Chronisten der modernen afroamerikanischen Geschichte etabliert. Struktureller und interpersoneller Rassismus, aber auch schwarze Männlichkeit und die Identitätskrisen, die 400 Jahre der Unterdrückung mit sich bringen, sind die Kernthemen, auf die der eigensinnige New Yorker in Filmen wie «Do the Right Thing» (1989), «Malcolm X» (1992), «Clockers» (1995), «Bamboozled» (2000) oder «BlacKkKlansman» (2018) immer wieder zurückkommt – und das nicht selten mit einer Anspielungsdichte und einer ästhetischen Kreativität, die in Hollywood ihresgleichen suchen.
Allein schon deshalb darf «Da 5 Bloods» – ein Film, der ursprünglich mit weissen Protagonisten und Oliver Stone auf dem Regiestuhl hätte gedreht werden sollen – als ein Schlüsselwerk in Lees Schaffen bezeichnet werden. Denn im Grunde rechnen er und seine Co-Autoren Danny Bilson, Paul DeMeo und Kevin Willmott hier mit einer berauschenden Mischung aus Buddy-Komödie, Kriegsfilm, aktivistischer Dokumentation und historischem Videoessay mit den letzten 50 Jahren US-Politik, -Kultur und -Gesellschaft ab.
«Im Grunde rechnen Lee und seine Co-Autoren hier mit einer berauschenden Mischung aus Buddy-Komödie, Kriegsfilm, aktivistischer Dokumentation und historischem Videoessay mit den letzten 50 Jahren US-Politik, -Kultur und -Gesellschaft ab.»
Die erzählerische Basis dieses Rundumschlags ist eine etwas andere Schatzsusche im Stile von John Hustons Abenteuerklassiker «The Treasure of the Sierra Madre» (1948) und J. C. Chandors Drogengeld-Odyssee «Triple Frontier» (2019). Die schwarzen Vietnamkriegsveteranen Paul (Delroy Lindo), Otis (Clarke Peters), Eddie (Norm Lewis) und Melvin (Isiah Whitlock Jr.) – benannt nach dem originalen Line-Up der Motown-Band The Temptations – kehren nach vier Jahrzehnten an ihre alte Wirkungsstätte zurück, um die sterblichen Überreste ihres gefallenen Anführers Norman (Chadwick Boseman) zu bergen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: In seiner Nähe liegt nämlich auch eine Kiste Goldbarren begraben, die ihrer Entdeckung harrt.
In gewollt lose getakteten zweieinhalb Stunden arbeitet sich Lee durch die zahlreichen Traumata seiner Protagonisten, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren von ihrer Regierung damit beauftragt wurden, in Südostasien für die «Freiheit» zu kämpfen, die ihnen in ihrer Heimat selbst konsequent verwehrt blieb.
Dialogfetzen über den amerikanischen Vietnam-Mythos («You’d think we won the war») und Flashbacks, in denen die angejahrten Darsteller ungeschminkt und unverjüngt an der Seite des jungen Norman kämpfen, unterstreichen, dass der Krieg für sie nie zu Ende gegangen ist. Exkurse über die von Afroamerikanern dargebrachten Opfer für die Nation – von Crispus Attucks über Milton Olive III bis Black Lives Matter – demonstrieren, wie die bis heute unter den Teppich gekehrte Behandlung der schwarzen Vietnamsoldaten, die in überdurchschnittlichen Zahlen eingezogen und als Kanonenfutter an die Front geschickt wurden, untrennbar mit der langen Geschichte des amerikanischen Rassismus zusammenhängt. Lee findet sogar Platz für Szenen, in denen mithilfe von Untertiteln und Verweisen auf die französische Kolonisierung «Indochinas» die in Hollywood beliebte Dämonisierung der Vietcong-Soldat*innen differenziert wird.
Letztlich mögen diese überwältigende Dichte an Referenzen und Diskursen sowie der immer explosiver werdende Plot den Rahmen des Films sprengen; doch auch das ist Lee in Reinform: «Da 5 Bloods» ist eine engagierte, empathische und zornige Auseinandersetzung mit all den sich überlagernden Ungerechtigkeiten, die sich Amerika seit seiner Entstehung hat zuschulden kommen lassen.
«‹Da 5 Bloods› ist eine engagierte, empathische und zornige Auseinandersetzung mit all den sich überlagernden Ungerechtigkeiten, die sich Amerika seit seiner Entstehung hat zuschulden kommen lassen.»
Dabei sticht insbesondere die schlichtweg überwältigende Performance des Lee-Veteranen Delroy Lindo heraus. Sein an posttraumatischen Belastungsstörungen leidender Paul ist eine Mensch gewordene Kriegsversehrung – ein energiegeladener, psychisch labiler, misanthropischer, sich selbst hassender Trump-Wähler, dem die Last der Historie quasi ins Gesicht geschrieben steht. Lindos ungestüme und verletzliche Interpretation dieser geradezu griechisch-tragischen Figur verdient es, als eine der grossen Schauspielleistungen des modernen US-Kinos bezeichnet zu werden; und ihr Höhepunkt – ein minutenlanger, direkt in die Kamera gerichteter Monolog über Pauls sturen Überlebenswillen – wird noch lange in Erinnerung bleiben.
«Vor dem Hintergrund der Fälle George Floyd, Breonna Taylor und Rayshard Brooks sowie der daraus entstandenen globalen Antirassismus-Proteste könnte man sich kaum einen zeitgemässeren Film als ‹Da 5 Bloods› vorstellen.»
Dasselbe gilt für den Film als Ganzes, dessen wahre Grösse und Tiefe sich wohl erst nach wiederholten Visionierungen vollauf offenbaren werden. Fest steht jedenfalls, dass Lee auch nach über 40 Jahren im Kinogeschäft den Finger immer noch am Puls der Zeit hat: Vor dem Hintergrund der Fälle George Floyd, Breonna Taylor und Rayshard Brooks sowie der daraus entstandenen globalen Antirassismus-Proteste könnte man sich kaum einen zeitgemässeren Film als «Da 5 Bloods» vorstellen.
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Filmfakten: «Da 5 Bloods» / Regie: Spike Lee / Mit: Delroy Lindo, Clarke Peters, Norm Lewis, Isiah Whitlock Jr., Jonathan Majors, Chadwick Boseman, Johnny Trí Nguyễn, Mélanie Thierry, Jasper Pääkkönen, Paul Walter Hauser, Jean Reno, Lê Y Lan, Veronica Ngo / USA / 154 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DAVID LEE/NETFLIX © 2020
«Da 5 Bloods» platzt vor lauter Ideen und historischen Referenzen aus allen Nähten. Doch genau das macht den Film zu einem derart wichtigen Beitrag zur aktuellen Antirassismus-Bewegung.
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