Als wäre die Aufgabe, auf das oscarprämierte Meisterwerk «Moonlight» einen neuen Film folgen zu lassen, nicht schon schwierig genug, hat sich Regisseur Barry Jenkins obendrein dazu entschieden, einen der notorisch komplexen Romane des einflussreichen schwarzen Schriftstellers James Baldwin zu verfilmen. Doch Jenkins’ «If Beale Street Could Talk» meistert die Herausforderung souverän.
Wie gross der Umfang dieses Projekts ist, hält bereits der Text fest, der noch vor der ersten Einstellung auf der Leinwand eingeblendet wird. Zitiert wird James Baldwin – dessen Wirken als Kritiker der weissen US-Bevölkerung das Thema von Raoul Pecks Dokumentarfilm «I Am Not Your Negro» (2016) war –, wie er den Titel seines Romans aus dem Jahr 1974 versteht: «Beale Street is a street in New Orleans, where my father, where Louis Armstrong and the jazz were born. Every black person born in America was born on Beale Street … Beale Street is our legacy.»
Diesem Anspruch, etwas Grundlegendes über das schwarze Leben im modernen Amerika zu sagen, trägt Barry Jenkins gebührend Rechnung. Handelte «Moonlight» (2016) nicht zuletzt davon, in einem Land aufzuwachsen, das nicht für einen gemacht ist – «that has not in its whole system of reality evolved any place for you» (Baldwin) –, ist «If Beale Street Could Talk» der logische nächste Schritt: ein wunderschönes, bewegendes und zugleich wütendes Drama darüber, sich unter diesen widrigen Umständen, in denen das Private immer auch politisch ist, ein Leben aufzubauen.
Genau das versucht hier das junge Paar Tish (KiKi Layne) und Fonny (Stephan James) Anfang der Siebzigerjahre im New Yorker Stadtteil Harlem. Doch Fonny wird fälschlicherweise wegen Vergewaltigung verhaftet – eine Ungerechtigkeit, gegen welche die schwangere Tish mithilfe ihrer Eltern (Regina King, Colman Domingo) und eines weissen Anwalts (Finn Wittrock) vorgehen will.
Jenkins folgt keiner linearen Dramaturgie. Vielmehr adaptiert er Baldwins verschlungenen, collageartigen Erzählstil, in dem Zeitebenen und Handlungsstränge einander überlagern und sich bisweilen sogar miteinander verflechten. Entsprechend vielschichtig ist der daraus resultierende Film.
Mit seinen schwelgerischen farbgetränkten Bildern und Nicholas Britells herausragender Musik ist «Beale Street» zwar eine zutiefst berührende Romanze auf den Spuren von «Call Me by Your Name» (2017), welche die Liebe als quasireligiöse Erfahrung darstellt. Gleichzeitig jedoch ist das Ganze auch eine ebenso klarsichtige wie ernüchternde Auseinandersetzung mit den soziopolitischen Mechanismen, denen ein junges afroamerikanisches Paar ausgesetzt ist. Viele der am meisten nachklingenden Szenen des Films illustrieren abstrakt wirkende Alltagsphänomene – von Wohnungsdiskriminierung bis hin zu Klassenunterschieden innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung – auf eindringlich intime Art und Weise.
«Mit seinen schwelgerischen farbgetränkten Bildern ist ‹If Beale Street Could Talk› eine zutiefst berührende Romanze, welche die Liebe als quasireligiöse Erfahrung darstellt.»
Angesichts dieser emotionalen, politischen und historischen Komplexität ist es verkraftbar, dass «Beale Street» insgesamt etwas weniger formvollendet wirkt als «Moonlight» – ein diesbezüglich wohl kaum zu übertreffender Film. Barry Jenkins’ hat mit seiner Baldwin-Adaption dennoch ein begeisterndes, hoch relevantes Kunstwerk geschaffen.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.2.2019
Filmfakten: «If Beale Street Could Talk» / Regie: Barry Jenkins / Mit: KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Brian Tyree Henry, Finn Wittrock, Ed Skrein / USA / 117 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DCM Film
«Moonlight»-Regisseur Barry Jenkins schafft den Spagat zwischen betörend vorgetragener Liebesgeschichte und politisch aufgeladenem Porträt schwarzen Lebens in den USA.
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