Es sind die grossen Themen des Lebens, denen sich Celine Song in ihrem Debütfilm annimmt: Es geht um das Schicksal, die grosse Liebe und die Frage, wo man hingehört. «Past Lives» ist die berührende Geschichte zweier Menschen, die versuchen, nach vorne zu schauen, während ein Teil ihrer Herzen in der Vergangenheit verweilt.
Was, wenn doch alles anders gekommen wäre? Eine Frage, die sich einige von uns vielleicht auch schon gestellt haben. Die Frage was Schicksal bedeutet und ob alles so kommt, wie es eben kommen muss, spielt in «Past Lives» eine zentrale Rolle. Der Film handelt von den Freunden Nora und Hae Sung, denen wir an drei verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben begegnen – zum ersten Mal, als sie zwölf Jahre alt sind und gemeinsam die Schule in Südkorea besuchen. Die beiden verbindet eine sehr tiefe Freundschaft und Nora ist sich sicher, dass sie Hae Sung einmal heiraten wird, wie sie ihrer Mutter verrät. Schon bald trennt das Schicksal die beiden aber ein erstes Mal: Noras Familie wandert nach Kanada aus und die beiden verlieren sich aus den Augen.
Das Werk der koreanisch-kanadischen Regisseurin Celine Song ist autobiografisch geprägt. Auch sie emigrierte mit ihrer Familie von Südkorea nach Kanada, als sie noch ein Kind war. Ihre Kindheit erlebte sie, wie ihre Hauptfigur Nora, in einem anderen Land, in einer anderen Kultur, was die Zeit davor wie ein anderes Leben erscheinen liess. «Past Lives» ist ihr erster Spielfilm, zuvor feierte sie im Jahr 2019 die Premiere ihres Theaterstücks «Endlings»; ihre ersten Erfahrungen als Drehbuchautorin sammelte sie als Teil des Autor*innen-Teams für die erste Staffel von «The Wheel of Time» (2021).
Zwölf Jahre später finden Nora (Greta Lee) und Hae Sung (Teo Yoo) erneut zusammen. Die mittlerweile erwachsene Nora ist vor Kurzem in die USA gezogen, wo sie an ihrer Karriere als Theaterautorin arbeitet. In langen Telefongesprächen wird schnell klar, dass eine Dekade der Distanz kein Hindernis für die tiefe Verbindung der beiden war. Doch ihre Lebenspläne passen nicht zueinander und ihre Wege trennen sich erneut. Nora, die ihre literarische Karriere fest im Blick hat, zieht es in eine Künstler-Kolonie, wo sie ihre zukünftigen Ehemann Arthur (John Magaro) kennenlernt.
«Im Koreanischen beschreibt ‹In-yun› eine Form des Schicksals, das bestimmt, wie sich zwischenmenschliche Beziehungen im Verlauf mehrerer Leben entwickeln. In-yun geht davon aus, dass das Universum Seelen wiedervereint, die in früheren Leben eine Verbindung hatten.»
Nora erzählt Arthur von «In-yun», was im koreanischen eine Form des Schicksals beschreibt, die bestimmt, wie sich zwischenmenschliche Beziehungen im Verlauf mehrerer Leben entwickeln. In-yun geht davon aus, dass das Universum Seelen wiedervereint, die in früheren Leben eine Verbindung hatten. Damit greift Song ein Thema auf, das in koreanischen Liebesfilmen öfters eine grosse Rolle spielt. Oft zeichnen sich Beziehungen durch schicksalhafte Begegnungen aus, sei es durch wiederkehrende, scheinbar zufällige Begegnungen oder durch die Andeutung einer Verbindung aus einem früheren Leben.
Und tatsächlich: Nora und Hae Sung begegnen sich nach zwölf weiteren Jahre später erneut. Diese Begegnung wird endgültig darüber entscheiden, ob die Wege der beiden nach 24 Jahren wieder zusammenfinden, oder ob es bei einem vergangenen gemeinsamen Leben bleibt.
«Songs Dialoge sind einfach, ihre Figuren keine Übermenschen. Als Zuschauer*in erlebt man die Spuren, die das Leben der beiden hinterlässt, ohne dass man viel davon sehen muss.»
Was auf den ersten Blick wie ein klassischer Liebesfilm aussehen mag, ist weit mehr als das. Die sanften goldig-blauen Farbtöne und die leicht verwaschenen Bilder von Kameramann Shabier Kirchner («Small Axe») geben dem Film eine geradezu traumähnliche Stimmung. Detailreiche Aufnahmen von Spiegelbildern, Regentropfen auf dem Asphalt und Lichtern im Hintergrund unterstreichen dieses Gefühl.
Mit ihrer vielschichtigen Schreibweise schafft es Song zudem, reflektiert über verschiedene Lebensabschnitte und deren Bedeutung für ihre Protagonist*innen nachzudenken. Begegnet man Menschen manchmal einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, oder hat das Leben von Beginn an andere Pläne? Songs Dialoge sind einfach, ihre Figuren keine Übermenschen. Als Zuschauer*in erlebt man die Spuren, die das Leben der beiden hinterlässt, ohne dass man viel davon sehen muss. Sie lassen einen mitfiebern, sowohl mit Nora als auch mit Hae Sung und Arthur.
Und auch wenn der Gedanke schmerzhaft sein kann: Der Film spendet Trost mit dem Gedanken, dass das Leben auch dann schön sein kann, wenn man gleichzeitig immer einen Platz der Trauer für ein vergangenes Leben im Herzen hält, das genauso wahr hätte sein können. Es ist nicht verwunderlich, dass «Past Lives» nach seiner Premiere am Sundance Film Festival grosses Lob erntete. Ein starkes Debüt von Celine Song, auf deren zukünftigen Projekte man sich freuen darf.
Über «Past Lives» wird auch in Folge 62 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 17.8.2023
Filmfakten: «Past Lives» / Regie: Celine Song / Mit: Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro / USA / 106 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi Zürich AG
Mit ihrem Langspielfilmdebüt «Past Lives» bringt Celine Song eine berührende Geschichte mit viel Tiefgang auf die Leinwand. Ein guter Grund, ins Kino zu gehen.
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